Der Schriftsteller Ellison Oswalt (Ethan Hawke) zieht mit seiner Familie mal wieder um, denn er hat ein neues Projekt. Ellison ist "True Crime"-Autor, das heißt er schreibt Sachbücher über reale Verbrechen, die nicht aufgeklärt werden konnten, und im Optimalfall findet Ellison bei seinen Recherchen nicht nur eine spektakuläre neue Theorie, wer dahinter stecken könnte, sondern hat damit auch noch recht. Der örtliche Polizeichef ist von Ellisons Einzug nicht angetan, kommen die behördlichen Ermittler in Ellisons Büchern doch nie sonderlich gut weg, und Ellisons Frau Tracy (Juliet Rylance) wäre wohl auch etwas ungehalten, wenn ihr Gatte ihr erzählt hätte, dass das Haus, in dem sie sich mit den beiden Kindern Trevor (Michael Hall d'Addario) und der kleinen Ashley (Clare Foley) einrichtet, tatsächlich der Tatort des Verbrechens ist, über das Ellison schreiben möchte. Eine ganze Familie ist auf so spektakuläre wie merkwürdige Art und Weise in ihrem eigenen Garten erhängt worden, nur von der jüngsten Tochter fehlt jede Spur. Wurde sie entführt? Oder irgendwo anders umgebracht? Und wer hat die völlig unschuldige Familie auf dem Gewissen und warum?
Ellison hat gerade erst mit seiner Arbeit begonnen, als er auf dem eigentlich leeren Speicher des Hauses unerwarteterweise eine Kiste mit Super8-Filmen findet. Er ist ziemlich verdutzt, als sich der erste Film als Live-Aufnahme der Garten-Hinrichtung entpuppt. Er ist ernsthaft überrascht, als sich auf den anderen Filmen die Mitschnitte von weiteren Familien-Massakern finden, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen. Das alles ist ziemlich beunruhigendes und verstörendes Zeug. Für Ellison ist es aber zugleich eine potentielle Goldgrube: Ist er hier etwa einem bis dato unbekannten Serienmörder auf der Spur? Weil Ellison einen neuen Buch-Hit bitter nötig hat, weiht er niemanden in seinen Fund ein und recherchiert weiter, doch nun beginnen ihn des nachts merkwürdige Geräusche aus dem Schlaf zu reißen. Und das ist erst der Anfang einer Reihe unerklärlicher Ereignisse, die Ellison zunehmend an seinem Verstand zweifeln lassen....
Wir wären hier nicht in einem reinrassigen Genre-Streifen, wenn Ellisons Verstand wirklich aus den Fugen geraten wäre und hinter den Geräuschen, den Filmen und allem anderen Beunruhigendem hier nicht etwas ziemlich Schauriges stecken würde. Und das hier ist ein reinrassiger Horror-Thriller, und zwar ein ziemlich guter. Regisseur und Autor Scott Derrickson, der vor ein paar Jahren mit "Der Exorzismus von Emily Rose" bereits einen Genre-Kassenhit gelandet hat, erweist sich hier als echter Könner auf dem Gattungsklavier, und es ist auf gewisse Art wirklich erfrischend, wieviel Furcht und Schrecken Derrickson hier zusammenzaubert, ohne auch nur einmal auf wild spritzendes Blut oder ähnlichen Ekel setzen zu müssen.
Plötzlich ausgehendes Licht, merkwürdige Geräusche, beunruhigende Zeichnungen - die Mittel, derer sich Derrickson bedient, sind simpel, aber höchst effektiv eingesetzt. Dazu gehören auch und vor allem die zentralen Super8-Filme, mit denen Derrickson beweist, wie unheimlich dieses erste Heimvideo-Format sein kann, gerade weil es tonlos ist. Die Stummfilme, die Ellison sich anguckt, würden den Kinozuschauer wohl kaum so nachhaltig erschauern lassen und ihm auch den einen oder anderen echten Schrecken einjagen, wenn sie eine Tonspur hätten.
Derricksons eigene Tonspur ist hingegen leider etwas hyperaktiv und das einzige an "Sinister", was nicht durch Zurückhaltung an Wirkung gewinnt. Hier wird so emsig und fast schon penetrant mit Disharmonien, Verzerrungen, Aussetzern und jeder Menge anderer "verstörender" Toneffekte gearbeitet, als meinte man den Zuschauer damit entschädigen zu müssen für die Stille, die hier eigentlich über weite Strecken herrscht. Tatsächlich hätte "Sinister" mit einer reduzierten, fast stummen Tonspur wahrscheinlich sogar noch eine Ecke unheimlicher ausfallen können. Diese tonale Effekthascherei hat der Film jedenfalls nicht nötig, denn sein Spannungsaufbau und seine Bildsprache sind so meisterhaft konstruiert, dass das Publikum allein dadurch mühelos fast zwei Stunden lang in hoher Anspannung gehalten wird.
Einen großen Anteil daran hat auch Hauptdarsteller Ethan Hawke, der hier wirklich fabelhafte Arbeit leistet und sehr glaubwürdig Ellisons langsamen Zerfall in ein paranoides, verängstigtes Wrack fühlbar macht. Hawkes Arbeit hier beweist, wieviel effektiver ein Horrorfilm sein kann, wenn er von starken Darstellern getragen wird, und nicht von irgendwelchen austauschbaren Puppen, die nicht viel mehr tun als schreien.
Natürlich kommt auch "Sinister" Genre-typisch nicht umhin, sich seine eigene Sache mit ein paar Ungereimtheiten einfacher zu machen. Warum Ellison bei seinen nächtlichen Streifzügen durchs Eigenheim z.B. permanent darauf verzichtet, einfach mal das Licht an und die Sache für sich selbst gleich deutlich weniger unheimlich zu machen, sollte man nicht weiter hinterfragen. Trotz Kleinigkeiten wie dieser muss man "Sinister" ein Kompliment dafür machen, wie sauber er sein eigenes Story-Universums aufgebaut hat und wie konsequent er dieses ausspielt. Wer halbwegs aufpasst, weiß bereits gut 15 Minuten vor Schluss haargenau, wie die Auflösung des Films ablaufen wird, weil "Sinister" es einem quasi Punkt für Punkt vorbuchstabiert. Das Bemerkenswerte ist, dass dies den Schluss kein bißchen weniger effektiv oder unheimlich macht, sogar fast noch besser.
Ein Meilenstein des Horror-Genres ist "Sinister" deswegen zwar noch lange nicht. Ein durchweg fesselnder, fieser kleiner Erschrecker aber auf jeden Fall, und wohl mit der meiste Spaß, den mal als Freund gepflegten Horrors dieses Jahr im Kino haben kann.
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