Großes Kino benötigt keine großen Geschichten, und Guillermo del Toro ("Hellboy", "Blade 2") liefert mit seinem wundervollen Fantasydrama "Pan's Labyrinth" einen beeindruckenden Beweis dafür. Trotz einem etwas zu hoch geratenen Gewaltgehalt zeigt der Film mehr als eindrucksvoll, zu was die Vision und das Herzblut eines Filmemachers in der Lage sein können, vorausgesetzt man lässt sie ungestört zur Entfaltung kommen. Das Resultat ist ein kleines Meisterwerk, dessen 114 Minuten purer Kinomagie nicht nur für Cineasten einen Pflichttermin im neuen Kalenderjahr darstellen. Es sind Filme wie dieser, die uns daran erinnern, warum wir uns einst ins Kino verliebt haben, und die uns für all die schlechten Filme entschädigen, denen man sich im Laufe eines Kinojahres ausgesetzt sieht.
Parallelen zu del Toros exzellentem Horrorstreifen "The Devil's Backbone" lassen sich bezüglich der Handlung von "Pan's Labyrinth" nicht von der Hand weisen. Wieder ist ein Kind Protagonist im düsteren Szenario des vom Bürgerkrieg geplagten Spaniens in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Diesmal ist es die junge Ofelia (Ivana Baquero), welche mit ihrer schwangeren und schwerkranken Mutter (Ariadna Gil) im Hauptquartier ihres Adoptivvaters, dem brutalen faschistischen Capitán Vidal (Sergi López), ein Leben umgeben von Gewalt führen muss. Nicht nur macht Vidal auf äußerst brutale Weise kurzen Prozess mit den gegen Franco und für die Freiheit kämpfenden Rebellen in den umgebenden Wäldern, ihm liegt auch nicht allzu viel am Wohlehrgehen seiner schwangeren Frau, solange diese ihm nur einen gesunden Sohn gebärt.
Doch als Ofelia in einem angrenzenden kleinen Labyrinth das geheimnisvolle Fabelwesen Faun (Doug Jones) entdeckt, scheint sich für das Mädchen plötzlich die Chance auf ein besseres Leben abseits des brutalen Kriegsalltags zu eröffnen. Faun hält Ofelia nämlich für die Wiedergeburt einer verschollenen Prinzessin eines unterirdischen Königreiches und drängt diese nun dazu, doch in ihre einstige Heimat zurückzukehren. Ofelia ist begeistert, doch Faun will auf Nummer Sicher gehen und hat deswegen drei schwierige Prüfungen für sie parat, welche ihre wahre Identität bestätigen sollen.
"Bei der kritischen Beurteilung - der Rezension - eines Spielfilms werden Handlung, schauspielerische Leistungen und technische Details bewertet". So definiert Wikipedia die Arbeit eines Filmkritikers. Recht scheinen sie zu haben, schließlich greift unsere Zunft fast immer auf eine seit Jahrzehnten verinnerlichte Liste von zu untersuchenden Kriterien zurück, mit deren Hilfe wir uns auf sicheren Pfaden unserem wohlbegründeten finalen Urteil nähern. Manchmal aber gibt es Filme wie "Pan's Labyrinth", bei denen man selbst nach der ausführlichsten Besprechung von Darstellerleistungen, Kameraführung oder auch Inszenierung das Gefühl nicht los wird, doch eigentlich am entscheidenden Punkt vorbeizureden.
Ja, man kann die Darsteller loben, allen voran Ivana Baquero, die sich als kleines Juwel entpuppt, und sowohl die Entschlossenheit als auch die Verletzbarkeit ihrer Figur auf beeindruckende Weise verkörpert. Ja, man mag dem Skript zu Buche schreiben, dass es seinen Charakteren viel Entwicklungsfreiraum gibt und auf konsequente Weise auf ein noch viel konsequenteres und berührendes Ende hinarbeitet. Lorbeeren können auch an Regisseur del Toro verteilt werden, der mit einer gefühlvollen Inszenierung dem Film keine Chance gibt, Spannung oder Tempo zu verlieren, und der Special-Effects nicht einfach nur zum Selbstzweck zum Einsatz kommen lässt, sondern nur wenn sie auch wirklich die Geschichte vorantreiben. Ebenso lobenswert ist die wundervolle Arbeit von Kameramann Guillermo Navarro, die gepaart mit dem oft leicht melancholisch angehauchten Soundtrack von Javier Navarrete großen Anteil daran hat, dass man sich bereits nach wenigen Minuten in Ofelia's real-irrealer Welt verliert.
Doch all das macht "Pan's Labyrinth" noch nicht zu dem, was es ist, nämlich ein bewegendes Kinoerlebnis. Es sind stattdessen Worte wie Vision oder Herzblut die fallen müssen, Worte die weitaus weniger greifbar sind. Trotzdem sind sie da auf der Leinwand, sind 114 Minuten lang spürbar und ziehen uns bereits nach wenigen Augenblicken in ihren Bann. Del Toro zaubert eines der schönsten Kinomärchen der letzten Jahre auf die Leinwand, dessen Magie sich nur schwer in Worte fassen oder gar zu vollkommener Zufriedenheit erklären lässt.
Nur eines ist sicher: Einen großen Anteil an der Wirkung des Films trägt die Tatsache, dass sich del Toros Geschichte lediglich in einem sehr kleinen, geradezu intimen Rahmen abspielt. Obwohl der Film sowohl in ein Kriegsszenario als auch in eine Fabelwelt eingebettet ist, begibt er sich nie auch nur in die Nähe eines Epos. Vom Krieg bekommen wir nur wenig mit, da sich das Meiste im Hauptquartier des Capitán abspielt, und auch die Fabelwelt bleibt uns meistens verborgen, nach einer kurzen Einführung zu Begin liegt der Fokus hier stattdessen fast ausschließlich auf der Beziehung zwischen Ofelia und Faun. Wer also riesige Fabelwelten, große Schlachten, Unmengen an seltsamen Gestalten und eine ganze Gruppe von Helden erwartet hat (kurz: einen weiteren "Herrn der Ringe"), der wird hier enttäuscht werden. Effizienter Minimalismus ist angesagt, denn gute Fantasy braucht nicht immer die Landschaften Neuseelands oder die epischen Kamerafahrten eines Peter Jackson. Stattdessen ist der Zuschauer immer dicht bei der einzigen wirklichen Protagonistin des Films und ihren ganz privaten Problemen: die Krankheit ihrer Mutter, der Kampf gegen ihren Adoptivvater oder die charmanten Wortgefechte mit Faun.
Vielleicht kann der schönste Dialog des Films uns dabei helfen, den Zauber von "Pan's Labyrinth" greifbarer zu machen. Als Faun sich eines Abends bei Ofelia nach den Fortschritten bei den ihr gestellten Prüfungen erkundigt, antwortet diese mit weinender Stimme, dass sie dafür gerade leider keine Zeit hätte, da es doch ihrer Mama im Moment so schlecht geht. Wem beim Lesen dieser Zeile ein kleines Lächeln über die Lippen gehuscht ist, der wird sich der Magie des Films nicht erwehren können. Eine Fantasywelt, die sich den privaten Problemen eines kleinen Mädchens unterzuordnen hat, soviel Charme kann man sich nun wirklich schwer entziehen.
Vielerorts wird "Pan's Labyrinth" als Märchen für Erwachsene bezeichnet, doch dies ist zumindest teilweise irreführend. Diese Aussage ist wohl vor allem im Lichte des düsteren Kriegsszenarios und den expliziten Gewaltdarstellungen zu verstehen, doch bezüglich ersterem sollte man sich doch daran erinnern, dass einige der besten Kindergeschichten auch deutlich düstere Züge aufweisen (man denke da nur an "Krabat"). So ist es hauptsächlich die in einigen Stellen doch sehr explizit geratene Gewaltdarstellung, welche dem Film die Empfehlung für eine etwas jüngere Zielgruppe raubt.
Hier hebt sich dann auch das einzige Mal schüchtern der kritische Zeigefinger, denn es wäre durchaus möglich gewesen, diesen wundervollen Film auch ohne großen Verlust seiner Wirkungskraft einem etwas jüngeren Publikum zugänglich zu machen. Denn manchmal stellt sich dann doch die Frage, ob die Kamera nun wirklich hätte draufhalten müssen, wenn Backen mit Messern aufgeschlitzt oder später wieder mit Nadel und Faden zugenäht werden. Die düstere Grundstimmung und die Kämpfe gegen die Rebellen reichen doch bereits völlig aus, um Ofelias Ängste und Gefangenschaft in dieser brutalen Welt zu verdeutlichen, noch drastischere Gewaltdarstellungen wären nicht nötig gewesen und wirken dann auch eher befremdlich.
Genau diese kleine Schwäche eines sonst bewegend-magischen Films wird "Pan's Labyrinth" wohl gehörige Schwierigkeiten bei der Vermarktung bereiten und so leider wohl den (finanziellen) Erfolg verhindern, den del Toros faszinierendes Fantasydrama eigentlich verdient hätte. Drum noch einmal mit Nachdruck: Für alle, die dank Hollywood-Einheitsbrei ihre Liebe zum Kino in den letzten Jahren verloren haben, gibt es ab dem 15. Februar 2007 die Möglichkeit, sie wiederzuentdecken.
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