
Sagen wir es mal so: Die Geschichte der Verfilmungen von Comics des Autoren Alan Moore ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Da die ersten Adaptionen "From Hell" und "Liga der außergewöhnlichen Gentlemen" zwar brauchbare Unterhaltung boten, dabei aber nicht annähernd die Vielschichtigkeit und Komplexität ihrer jeweiligen Vorlage berücksichtigten, hatte der Comic-Guru schnell jegliche Lust verloren sich mit diesen und weiteren Verfilmungen überhaupt noch irgendwie zu beschäftigen und lässt seitdem seinen Namen sogar aus den Credits streichen. Aber dann wurde es besser und es kam mit "V wie Vendetta" ein feiner und intelligenter Film heraus, der angenehm überraschte. Und wenn das geklappt hat, dann könnte man sich ja doch auch vielleicht an die "Watchmen" wagen, Moores weithin als unverfilmbar geltendes Opus Magnum und so Respekt einflößend, das bis dahin noch jeder Drehbuchansatz verworfen und jeder interessierte Regisseur vergrault wurde. Dann geschah noch etwas, nämlich die genauso konsequente wie ungewöhnliche Comicadaption "300", die zu einem der überraschendsten Blockbuster der letzten Jahre geriet und mit Regisseur Zack Snyder plötzlich den richtigen Mann für das unmögliche Unterfangen auf dem Silbertablett servierte. So ist es nun also soweit, die "Watchmen" kommen tatsächlich ins Kino. "Werktreue" wurde dabei versprochen und Werktreue bekommen wir.
Ein Komödiant ist gestorben. Genauer gesagt, ein Mann namens "Comedian", der früher einmal als kostümierter Held in einer Gruppe Gleichgesinnter aktiv war und zuletzt im Auftrag der amerikanischen Regierung agierte. An der Spitze dieser Regierung des Jahres 1985 steht Richard Nixon, der dank eines Übermenschen in seinen Reihen den Vietnamkrieg siegreich beenden konnte und seitdem regelmäßig wiedergewählt wird. Von den selbstherrlichen, selbsternannten Gesetzeshütern und maskierten Helden hatte das Volk aber irgendwann die Nase voll uns seit einem entsprechenden Erlass im Jahre 1977 sind diese Geschichte. Der Mann namens "Night Owl" und die Frau namens "Silk Spectre" haben ihre bürgerliche Identität niemals bekannt gegeben und trauern den alten Zeiten nach. "Ozymandias", seines Zeichens klügster Mensch der Welt, hingegen hat seine Identität gelüftet und vermarktet geschickt seine eigene Person. Und das mächtigste Wesen des Planeten überhaupt, der durch einen Unfall mutierte Dr. Manhattan, sorgt mit seiner bloßen Präsenz dafür, dass die USA im kalten Krieg gegen die Sowjetunion einen entscheidenden Abschreckungs-Vorteil besitzen. So ist auch der psychisch labile "Rorschach" der Einzige, der sich näher mit dem Tod des "Comedian" beschäftigt und bald eine Verschwörung wittert. Es scheint, als habe es irgendjemand bewusst auf die ehemaligen "Masken" abgesehen. Doch in Wahrheit steckt noch etwas viel Größeres hinter den Mordanschlägen.…
Mindestens genauso bedeutend wie die Handlung der "Watchmen" ist der Entwurf einer alternativen Realität, eine Vision der Gesellschaft und politischen Machtverhältnisse wie sie sich hätten entwickeln können, wenn es denn so etwas wie "Superhelden" tatsächlich gegeben hätte. Die Akribie und Detailverliebtheit, mit der Alan Moore vor rund 25 Jahren so eine Welt entwarf, machen einen großen Teil der Faszination aus, welche die "Watchmen" laut zahllosen Umfragen zum besten Superhelden-Comic aller Zeiten werden ließen, obwohl oder gerade weil die Geschichte und Figuren ein für sich stehendes Einzelwerk sind und nicht Teil einer über Dekaden fortgeschriebenen Franchise.
Fortsetzung ausgeschlossen heißt es hier ungewöhnlicherweise, und genauso ungewohnt kommt die Erzählstruktur daher, die dem Leser bzw. Zuschauer erst langsam und keineswegs chronologisch vermittelt, wo er sich befindet und wie es dazu kam. Wie bei einer Zwiebel enthüllt und erschließt sich einem dabei Schicht um Schicht, bis sich alles irgendwann zum großen Gesamtbild zusammenfügt. Diese dramaturgische Vorgehensweise der Vorlage macht es natürlich dem Publikum nicht einfach, aber es war für Regisseur Zack Snyder absolut selbstverständlich, auch bei seiner Filmversion genauso vorzugehen. Und so werden uns also die zwölf Kapitel der Vorlage Szene für Szene in der exakt gleichen Reihenfolge präsentiert, und es fehlt wirklich kaum etwas.
Das ist erfreulich, hat aber seinen Preis in einer gerade noch konsumierbaren Laufzeit von 162 Minuten. Wer "300" kennt durfte es so erwarten, doch war dort die Geschichte natürlich wesentlich kompakter und weniger komplex. Der Konsum von "Watchmen" ist dagegen fast schon harte Arbeit und die Möglichkeit des Nachlesens und Zurückblätterns im Film nicht gegeben - man sollte also besser konsequent aufpassen. Aber immerhin: Dass man in Hollywood überhaupt auf diese Art an eine Comicadaption herangeht, anstatt nur den Titel und ein paar Elemente zu übernehmen, das wäre vor nicht allzu langer Zeit noch völlig undenkbar gewesen. Jetzt aber ist eine klare Linie zu erkennen, von Peter Jackson über Sam Raimi bis zu Zack Snyder. Die Fanboys haben das Zepter übernommen, huldigen ihren Vorlagen und machen das, was sie für richtig halten. Und das wiederum ist zum überwiegenden Teil auch sehr gut so.
Was also macht Zack Snyder bei seinen "Watchmen"? Er liefert zuallererst einmal einen visuell ansprechenden, zeitweise sogar wunderschönen Film ab. Auch wer vorher mit dem Thema noch nicht vertraut war und daher nicht nach Wiedererkennungswerten sucht, dürfte von dem Feuerwerk an Bildern und makellosen Effekten beeindruckt sein. Meisterhaft gleich die Collage zu Beginn, welche die wesentlichen Punkte der Vorgeschichte der maskierten Helden abhandelt und zweifelsohne die Auszeichnung als "bester Vorspann" abräumen würde, so es die denn geben würde. Alles, von dem man bei Kenntnis der Vorlage befürchten könnte, dass es im Film vielleicht lächerlich aussehen könnte, überzeugt mühelos, sei es die Darstellung des blauhäutigen (und die meiste Zeit nackten) Überwesens Dr. Manhattan oder auch der Einsatz des Kampfschiffes "Eule".
Es sieht dabei nicht nur alles sehr gut aus, es wird auch wirklich jede kleine Nebenfigur exakt so präsentiert wie sie vor mehr als 20 Jahren mal von Dave Gibbons gezeichnet wurde. Und was nicht passt wird mittels Make-Up und Computerverfremdung eben passend gemacht, wie bei der Transformation eines Jackie Earle Haley zum maskenlosen Rorschach zu erkennen ist. Sämtliche Darsteller sind nicht allzu bekannt, aber talentiert und gut - auch das sicher eine richtige Wahl und Entscheidung. Lediglich der von Matthew Goode dargestellte Ozymandias wirkt bei seinen ersten Auftritten eher wie ein affektierter eitler Fatzke und nicht wie einer der mächtigsten und klügsten Männer der Welt, entwickelt sich aber im weiteren Verlauf. Vor einer "weichgespülten" Version braucht ebenfalls niemand Angst zu haben, denn vor einer recht expliziten Sexszene wird genauso wenig zurück geschreckt wie vor der einen oder anderen fast als "Splatter" zu bezeichnenden Gewalt-Eskalation.
Alles perfekt also im "Watchmen"-Kinoland? Mission erfüllt und allen bewiesen, dass es geht? Im Grunde ja, und das nun folgende "Aber" mag bei einigen auf Unverständnis stoßen und keine Anerkennung als ernsthafter Kritikpunkt finden. Wir können nun endgültig bescheiden, dass Zack Snyder genau der richtige Mann ist, wenn man ein erfolgreiches Remake ("Dawn of the Dead") produzieren oder eine Comicvorlage möglichst werkgetreu und mit einem Auge für visuelle Details umgesetzt sehen möchte. Es dürfen dabei auch gerne etwas komplexere und "heilige" Werke eingereicht werden, deren Adaptionspotential nicht von vornherein offensichtlich ist, der Zack, der macht das schon und man darf ziemlich sicher sein, etwas Ordentliches und Ansprechendes geliefert zu bekommen.
Selten aber nutzt dieser Regisseur die Möglichkeiten seines Mediums, um selbst etwas hinzuzufügen. Gut, die im Comic nur zitierten Songs können jetzt angespielt werden, aber dieser Mehrwert war ja ziemlich naheliegend. Doch sonst wird man auf der Suche nach einer eigenen Vision hier nicht fündig. Zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung waren die "Watchmen" etwas Revolutionäres, nicht zuletzt im zeitlichen Kontext der Handlung, welche damals die ganz gegenwärtige Angst vor einer atomaren Apokalypse repräsentierte. Und der düstere Abgesang auf das Superhelden-Genre mit den hiesigen, höchst ambivalenten Protagonisten war derart einschneidend, dass danach eigentlich gar nichts mehr hätte kommen dürfen (was natürlich nicht der Fall war). Dieser Film aber wird keinen vergleichbaren Eindruck hinterlassen, schon allein weil der Kalte Krieg vorbei und die hier beschworenen Schreckensszenarien nicht mehr aktuell sind. Er ist einfach nur die Illustration der Vorlage in bewegten Bildern. Hübsch anzusehen und kompetent gemacht, aber auch nicht mehr.
Doch halt. Nachdem man also spätestens in der Mitte des Films zu diesem Urteil gelangt und trotzdem weiterhin das ansprechende Geschehen auf der Leinwand genießen kann, überrascht der Film die Kenner der Vorlage am Ende mit einer nicht gerade marginalen Änderung in der Ausführung des großen Plans, der hinter allem steckt. Und nachdem die Schockstarre ob dieser so unerwartet auftretenden kreativen Eigenmächtigkeit überwunden ist, kann man durchaus zu der folgenden Erkenntnis gelangen: Diese Änderung ist gut, sie macht Sinn, sie ist - darf man das überhaupt sagen? - eigentlich sogar besser als das, was sich der ja weithin als Genie verehrte alte Grantler Alan Moore damals ausgedacht hatte. Ein Aha-Erlebnis, das auch bei der finalen Bewertung nicht ganz ignoriert werden kann. Warten wir also vielleicht lieber doch noch etwas mit unserem endgültigen Urteil über diesen Regisseur. "Watchmen" ist ein sehr guter, starker Film - aber kein Meisterwerk.
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