Hätte vor einigen Jahren jemand gesagt, dass er sich schon auf die ersten 3D-Filme von Werner Herzog und Wim Wenders freut, hätte man wohl gelacht. 2011 ist das ein ganz normaler Tag auf der Berlinale. Den beiden Urgesteinen des deutschen Autorenfilms ist es gelungen, den 3D-Trend des Popcorn-Massenkinos in den Mikrokosmos der Arthouse-Enthusiasten und Dokumentationen zu übertragen. Herzog mit "Cave of forgotten dreams"; Wim Wenders ("Paris, Texas", "Buena Vista Social Club") mit "Pina", mit dem er einen der visuell schönsten Filme erschaffen hat, die man bisher in 3D sehen konnte. Wenders und die Tanztheater-Ikone Pina Bausch verband eine lange Freundschaft, seit Wenders bei der ersten Begegnung mit der Kunst der Choreographin 1985 in Tränen ausbrach, als er Pina in ihrem Stück "Café Müller" tanzen sah. Bei ihrem ersten Gespräch sagte er sofort, er wolle einen Film über ihre Kunst machen. Pina lächelte erst mal nur. Dieser gemeinsame Film wurde ein Running Gag zwischen den beiden, gedreht wurde er nicht. Wenders sichtete alle Tanzfilme, derer er habhaft werden konnte, und fand doch kein befriedigendes Mittel, mit dem er Pinas extrem raumfüllendes, sinnliches und körperlich so ausdrucksstarkes Tanztheater angemessen filmisch umsetzen konnte. Zwei Tage vor Drehbeginn starb Pina Bausch überraschend an Krebs, der erst fünf Tage zuvor bei ihr diagnostiziert worden war. Wenders brach das Filmprojekt ab. "Pina" sollte Bauschs Arbeit dokumentieren und ihren präzisen und so besonderen Blick für die Ewigkeit festhalten, doch diesen Blick gab es nun nicht mehr. Oder, um es mit den Worten Wenders' von der Trauerfeier für Pina zu sagen: "Pina hat gesehen, wo wir anderen im Dunkeln tappen." Pinas Theater ist von großer Kraft und Eindringlichkeit, doch wird es durch den Einsatz von 3D so erfahrbar, wie es nicht einmal im Zuschauerraum in Wuppertal sein kann. Bausch liebte die Elemente und baute im Laufe der Jahrzehnte immer mehr davon in ihre Stücke ein. Da besteht der Boden in Stravinskys "Le Sacre de Printemps" aus Torf, der beim Tanzen durch die Gegend fliegt, da steht in "Vollmond" später ein riesiger Monolith auf der Bühne und die Tänzer schwimmen im Wasser über die Bühne. Der Zuschauer sieht bei Wenders nun die Erdkrümel auf die Arme der Schauspieler fallen und jeder Wassertropfen scheint erkennbar. Aber am schönsten sind die Bewegungen der Körper, an denen man so nah dran scheint. Ein wenig schade ist an dieser Stelle, dass sich ein Laie mitunter in dieser überwältigenden Bilderflut verliert. Durch einzelne Sätze der Tänzer über die Arbeit mit Pina Bausch klärt sich immerhin vieles im Laufe des Films. Doch das Handicap, hier alle Stücke nur in Ausschnitten zu sehen, so dass sich ihr Zusammenhang also oft nicht erschließt, kann der Film nicht überwinden. Da erscheint auch der Untertitel passend: "Ein Film für Pina Bausch", den eigentlich auch nur Pina komplett verstehen würde. Wie bei Wisemans "La Danse" (http://www.filmszene.de/kino/l/ladanse.html ) wird nichts erklärt, aber auch Pina erklärte ja nichts - nicht einmal ihren Schauspielern, was diese anfänglich oft verwirrte. Es ist beeindruckend, Pinas Inszenierungen "Le Sacre de Printemps" "Café Müller", "Kontakthof" und "Vollmond" hier zu sehen, doch zu Tränen rühren tatsächlich die Sequenzen, in denen die Tänzer selbst sprechen und durch ihren Tanz zeigen, was Pina ihnen bedeutete. Verwelken anderswo Ballerinas schneller als gepflückte Wicken, so pflegte Pina ihre Tänzer jahrzehntelang immer weiter zu entwickeln. Wie eine der Tänzerinnen sagt: "Als ich 40 wurde, da dachte ich, da ist so viel Raum, so viel Raum, den man [mit dem Tanz] füllen kann." Dabei galt Pinas Interesse immer der Sehnsucht des Menschen - oder wie sie sagte: "Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, mich interessiert, was sie bewegt." Bausch mochte den direkten Blick von vorn auf die Bühne und so zeigt auch Wenders ihn, beschönt und verschleiert nichts. Ist der Bühnenraum schon elegant umgesetzt, so wirken die Szenen in und um Wuppertal noch surrealer und bleiben umso mehr im Gedächtnis. Das Duett zweier Liebender an einer Kreuzung, während die Schwebebahn vorbeifährt. Ein klassischer Spitzentanz der Tänzerin Christiana vor der Kokerei Zollverein mit Kalbfleisch in den Schuhen. In den Industrielandschaften scheint wie zufällig immer die Sonne und Wuppertal sah wohl noch nie so schön aus. Wenders suchte diese Außendrehorte selbst aus. Pina Bausch und er wuchsen beide in der Nähe auf und schon seinen Film "Alice in den Städten" drehte er in Wuppertal. Die Eroberung des Raumes mit der Kamera gelingt Wenders und seinen Kameraleuten Jörg Widmer und Hélène Louvart wunderbar. Neue Medien liegen diesem Autorenfilmer, der auch als erster eine digital gefilmte Dokumentation ins Kino brachte: Den seinerzeit irrwitzig erfolgreichen "Buena Vista Social Club". In der Welt des Dokumentarfilms ist das digital gefilmte Medium mittlerweile wichtiger Bestandteil. Für Wenders ist jedoch 3D im Dokumentarischen noch um einiges aufregender: 3D entfaltet sich nicht nur in imaginären Galaxien, sondern kann gerade für die Darstellung unserer realen Welt wirkungsvoll eingesetzt werden. Die technischen Innovationen gehen so schnell voran, dass sich schon während des Drehs von "Pina" die Technik komplett veränderte: Wurden die Stücke im Herbst auf der Wuppertaler Bühne noch mit riesigen Kameramonstern an Kränen gedreht, so ging dies im Frühjahr schon mit Steadycams im Wald. Wenders hat mit "Pina" Grenzen überschritten. Er hat einen Raum kreiert, den es für den Zuschauer im dokumentarischen Tanzfilm noch nicht gab. Nun darf er bald einen weiteren Bühnenraum erschaffen, der für ihn auch wieder Neuland darstellt: 2013 soll Wim Wenders zum 200. Geburtstag Richard Wagners den "Ring des Nibelungen" in Bayreuth inszenieren. Nach "Pina" traut man ihm immerhin den gekonnten Umgang mit diesem Bühnenraum zu. |
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