The Pied Piper

MOH (126): 15. Oscars 1943 - "The Pied Piper"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 23. September 2025

In unserer letzten Folge mussten unsere Protagonisten in einer amerikanischen Kleinstadt allerlei Schicksalsschläge erdulden. Geographisch noch prekärer ist die Situation für unsere heutige Hauptfigur, die sich während des Zweiten Weltkrieges im besetzten Frankreich durchschlagen muss.

The Pied Piper

Land
Jahr
1942
Laufzeit
87 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
6
6/10

Gibt es eigentlich gute Propaganda? Heute ist der Begriff, gerade durch den Zweiten Weltkrieg, gerade in Deutschland ja sehr stark negativ besetzt. Dabei bedeutet das Wort Propaganda eigentlich, frei übersetzt, nur die gezielte Verbreitung von Ideen oder Informationen. Im Fall von "Pied Piper", der angesichts des Grauens des Zweiten Weltkrieges eine Botschaft von Menschlichkeit, Zusammenhalt und Opferbereitschaft unter das amerikanische Volk bringen möchte, könnte man also eigentlich von einer angenehmen Version der Propaganda sprechen. Wenn die aber trotz einer niedlichen Grundidee so berechenbar und hölzern daherkommt wie hier, bleibt das Filmvergnügen dabei doch spürbar auf der Strecke.

Nachdem der Engländer John Sidney Howard (Monty Woolley) von seiner Regierung für den Einsatz im Zweiten Weltkrieg als zu alt befunden wurde, gönnt sich dieser im scheinbar noch unberührten Südfrankreich ein paar Urlaubstage. Vom folgenden Angriff Deutschlands auf Frankreich überrascht, entscheidet sich Howard aber schnell dazu, den beschwerlichen und nun auch gefährlichen Rückweg in die Heimat anzutreten. Das wird er aber nicht alleine tun, denn seine Gastgeber bitten ihn, doch ihre zwei Kinder Ronnie (Roddy McDowall, "Schlagende Wetter") und Sheila (Peggy Ann Garner) mitzunehmen, um diese bei ihrer Tante in Plymouth in Sicherheit zu bringen. Gerade vom ziemlich aufgeweckten Ronnie ist John, der generell nicht gerade ein Kinderfreund ist, aber eigentlich ziemlich genervt. Am Ende stimmt er aber zu – nichtsahnend, dass auf der abenteuerlichen Rückreise noch das ein oder andere hilfsbedürftige Kind auf ihn warten wird.
 


Wer ein wenig des Englischen mächtig ist, wird schon merken, auf was das hier herausläuft. "The Pied Piper" ist nämlich nichts anderes als der englische Begriff für den Rattenfänger von Hameln. Und so ist auch unsere Hauptfigur hier bald in Begleitung einer kleinen Kinderschar. Irgendwie wirkt der Titel aber auch etwas unpassend, da die Motive von John doch ganz anders gelagert sind als in der Sage. Weder macht er das hier geplant, da die Kinder ihm eher aufgezwungen werden und dabei meist zu einem kurzen Aufstöhnen bei ihm führen. Noch dazu ist das hier keine düstere Racheaktion, sondern eine (wenn auch nur semi-gewollte) Rettungsaktion.

Aufgezogen ist die Reise durch das besetzte Frankreich dabei als eine Art Buddy-Road-Movie. Wobei klassisch beide Seiten miteinander erst einmal fremdeln, was vor allem daran liegt, dass unsere Hauptfigur diese kleinen Wesen eher als Plagen empfindet. Das hat natürlich Potenzial für einen niedlichen Wohlfühlfilm, doch so wirklich wird sich dieses Gefühl nur hier und da mal einstellen. Das liegt mit daran, dass der Film relativ behäbig rüberkommt. In Sachen Inszenierung habe ich mich an manche Filme in den ersten Jahren dieser Oscar-Reihe erinnert, da vieles eher statisch wirkt und oft einen teils zu künstlichen Studiolook versprüht. Ein wenig mehr Musikuntermalung hätte hier und da sicher auch für etwas Auflockerung gesorgt. Zur Verteidigung muss aber gesagt sein – und das erinnert ebenfalls an die Anfangsjahre in dieser Reihe –, dass "The Pied Piper" heute nicht gerade in einer guten technischen Qualität vorliegt. Der Film ist wohl nie offiziell auf DVD erschienen und hat so dann auch vermutlich nie eine halbwegs ordentliche Aufbereitung bekommen – und das sieht und hört man dem Film an.
 


Dass das alles ein bisschen steif wirkt, liegt aber auch an einer Geschichte, die zwar eine sehr niedliche Grundidee hat, diese aber meist auf Autopilot verfolgt. Hier und da gibt es schon mal nette Momente, die sich aber vor allem auf das jeweilige Auftauchen neuer Kinder beschränken – von denen es am Ende übrigens gar nicht so viele gibt, wie man anfangs glaubt. Das Hauptproblem des Films ist aber, dass viel zu selten eine interessante Dynamik zwischen unserem alten Herrn und unseren jungen Begleitern aufkommt. Was mit daran liegt, dass man scheinbar nicht so richtig interessiert an den Kindern als dreidimensionale Wesen ist. Gerade die Auswirkungen des Schreckens des Krieges auf diese werden viel zu wenig aufgegriffen. Was schade ist, da man ja mit dem späteren "Planet der Affen"-Veteranen Roddy McDowall einen wirklich talentierten Kinderdarsteller zur Hand hat (wie wir ja gerade erst in "Schlagende Wetter" sehen konnten). Der bekommt hier, abgesehen von einem netten kleinen Schlagabtausch mit John zu Beginn, aber viel zu wenig Interessantes zu tun.

Erschwerend kommt dann auch noch hinzu, dass unsere eigentliche Hauptfigur nicht wirklich eine Wandlung durchmacht. John ist und bleibt durchgehend der eben etwas grummelige Opa. Klar, das hat manchmal so seine Momente. Man spürt aber nie, dass seine Bindung zu den Kindern jetzt auf der Reise enger wird. Die Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller für Monty Woolley wirkt dann auch eher dem Thema des Films als der eigentlichen, relativ einseitigen Schauspielleistung geschuldet. So vertraut der Film lange einfach nur der netten Ausgangssituation, unternimmt aber keine Anstrengung, mehr als nur harmloses inhaltliches Geplänkel zu bieten. Gegen Ende verliert man die Kinder dann gefühlt sogar noch mehr aus den Augen, da man mit einem Fluchtplot rund um eine Bekannte von John (gespielt von Anne Baxter) und einen Nazi-Major wieder ein paar Erwachsene ins Boot holt.
 


Zugegeben, jetzt kommt zumindest etwas Spannung und dadurch Abwechslung auf. Doch der später vor allem als Regisseur bekannt gewordene Otto Preminger ("Anatomie eines Mordes") spielt seinen Nazi-Major so klischeehaft, dass man eher von einer Karikatur als einem echten Menschen sprechen kann. Dadurch verpufft dann auch die Wirkung dieses interessanteren Handlungsstrangs – inklusive der kleinen Überraschung, die man sich noch für das Ende aufgehoben hat. Diese letzte halbe Stunde ist noch dazu ein sehr offensichtlicher Akt der Kriegspropaganda, dessen Botschaft zwar gut gemeint ist, aber einfach zu oberflächlich kommuniziert wird, um zu berühren. Dass Kriegsflüchtlinge in den USA immer willkommen sind, wird da gleich mehrmals mit Pathos stolz verkündet, was man angesichts dessen, was dann passiert, so offen gar nicht hätte aussprechen müssen. Was irgendwie gut zu einem Film passt, der sein Herz zwar am rechten Fleck trägt, sein Anliegen aber einfach etwas zu plump präsentiert. Da kann man dem Film angesichts der Zeit und der Umstände jetzt natürlich nur bedingt böse für sein, gut 80 Jahre später sorgt das aber eben auch nur bedingt für einen interessanten Filmabend.
 

"The Pied Piper" ist aktuell als DVD auf Amazon in Deutschland leider nicht mehr verfügbar. Alternativ kann man den Film auf Youtube finden. 

 


Ausschnitt: Es fährt kein Zug nach irgendwo. Immerhin, die Szene enthält den besten Gag des Filmes.
 


Ausschnitt: Otto Preminger als etwas klischeehafter Nazi.
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge zeigt sich der Hauptdarsteller des Films als deutlich talentierter und spritziger – und macht im Vergleich zu vorherigen Filmen bei mir deutlich an Boden gut.


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