"Gran
Torino" ist vielleicht der bescheidenste, kleinste Film, den
Clint Eastwood je gemacht hat. Trotzdem spielte er am US-Startwochenende
30 Millionen Dollar ein, das erfolgreichste Ergebnis in Eastwoods
Regiekarriere und deutlich mehr als etwa sein Weltkriegs-Epos "Flags
of our Fathers", der kontroverse Oscar-Gewinner "Million
Dollar Baby" oder sein Star-besetzter "Der
fremde Sohn", der eigentlich das programmatische Eastwood-Highlight
für dieses Jahr sein sollte. Die enorme und überraschende
Popularität von "Gran Torino" zeigt jedoch das versteckte
Kassenknüller-Verursacher-Potential
von Eastwoods alteingesessener Fangemeinde. Menschen, die wie er
ihrem Lebensabend entgegen blicken, die mitten im Saft standen,
als Clint in den 70er Jahren als "Dirty Harry" grimmig
und eigenmächtig für Gerechtigkeit sorgte, und die ihrem
alten Helden nur allzu gerne noch einmal dabei zusehen wollen, wenn
er für Ordnung sorgt, wo sich sonst keine herstellen lässt.
Das klingt vielleicht ein bisschen martialisch, aber diese alte
"Dirty Harry"-Seele liegt eindeutig unter diesem Film,
und wenn man sich den amerikanischen Trailer ansieht, merkt man
deutlich, dass "Gran Torino" gezielt in diese Richtung
vermarktet wurde. Dass der Film in Wirklichkeit weit weniger spannungsgeladen
und reißerisch daher kommt, als es der Trailer suggeriert,
verwundert aufgrund Eastwoods enorm reflektierter Altersweisheit
kaum.
Ein missmutiges Knurren, viel mehr als das hört man erstmal nicht von Walt Kowalski. Übellaunig und leicht reizbar vergrätzt er angriffslustig sowohl seine Familie, die ihn nach dem Tod seiner Ehefrau trösten will, als auch den wohlmeinenden jungen Priester, der sich auf Bitten der verstorbenen Gattin um Walts Wohlbefinden kümmern will. Den Vorschlag seiner Kinder, einen Umzug in ein Alterheim in Erwägung zu ziehen, lehnt Walt sehr nachdrücklich ab. Dabei gibt es eigentlich nichts, was ihn noch in seinem Haus hält. In der ehemals komplett weißen Nachbarschaft ist Walt nun der "letzte Mohikaner", umgeben von einem wilden Minderheiten-Mix aus Schwarzen, Latinos und asiatischen Immigranten. Grimmig widersetzt sich Walt jedem freundlichen Kontaktversuch seiner Nachbarn, einer Familie von Hmong-Asiaten. Doch als der junge Sohn von einer Straßengang genötigt wird, als Mutprobe Walts geliebten Gran Torino (ein amerikanischer "Muscle car"-Klassiker) zu klauen, gerät Walt langsam in Konflikt mit gleich mehreren Trupps junger Schläger und Möchtegern-Gangster. Er bietet ihnen trotzig und beharrlich die Stirn, und wird so unfreiwillig zum Held der Nachbarschaft, um schließlich gegen seinen Willen doch anzufangen, Sympathie und Freundschaft für die schutzlosen Kinder seiner Nachbarn zu entwickeln.
Das ist natürlich die eigentliche Geschichte von "Gran
Torino", für die der Konflikt-Plot um die Straßengangs
nur die Folie ist. Dies ist nicht "Dirty Harry 6", sondern
ein gefühlvoll und elegant erzählter Film (wie sollte
man es von Eastwood auch anders erwarten) über einen verbohrten
alten Griesgram, der in seinem Lebensabend doch noch fähig
ist, seine reaktionären Vorhaltungen zu überdenken und
seinen Mitmenschen als Individuen zu begegnen. Walt ist Veteran
des Korea-Krieges und dementsprechend kein großer Freund von
Asiaten im Allgemeinen, lernt
jedoch nachhaltig, dass er so pauschal nicht denken kann. Die Hmong-Asiaten
sind ein über mehrere südostasiatische Nationen verstreutes
Volk, das in jedem seiner Heimatländer eine Minderheit bildet.
Im Vietnamkrieg unterstützten sie die USA, und waren als Folge
dessen nach dem Krieg Ausgestoßene. Viele wanderten nach Amerika
aus, und einige von ihnen sind jetzt Walts Nachbarn. Und die sollen
wirklich nichts in seinem Land verloren haben? Im Land der Freien,
dem Beschützer der Unterdrückten?
Es ist allerdings auch Walts Vergangenheit als bärbeißiger
Soldat, die es ihm überhaupt ermöglicht, den jungen Rowdies
mit ihren Einschüchterungstaktiken die Stirn zu bieten, hat
er doch selbst ein beeindruckendes Gewehr im Schrank stehen, das
er gern in die Hand nimmt. So schwört Walt aber auch einen
Konflikt herauf, der aufgrund der machtlosen oder komplett abwesenden
Ordnungsmächte des Staates nur ein blutiges Ende nehmen kann
- die Straßengangs werden den Angriff auf ihre Macht nicht
hinnehmen, und Walt wird sich moralisch und emotional zu weit verstricken,
um sich noch zurückziehen zu können. "Gran Torino"
beschwört so geschickt ein beachtliches Dilemma herauf, denn
wie soll der Kampf gegen diese Jung-Gangster endgültig gewonnen
werden, ohne wirklich Blut zu vergießen und so letztlich die
Grundsätze zu verletzen, die man zu verteidigen sucht? Walt
findet dafür eine beeindruckende Lösung.
An manchen Stellen merkt man, dass der Film Ereignisse nur einstreut, um zu seinem angestrebten Ende zu kommen, wieso z.B. die asiatische Straßengang so versessen darauf ist, Walts Nachbarsjungen für ihren Verein zu rekrutieren, bleibt relativ unverständlich, ist aber ein notwendiger Plot-Motor. Das stößt ein bisschen negativ auf, wird aber mühelos abgefedert von den großen Momenten in den kleinen Details des Films. Wie sich Walt und seine Nachbarn härter und abgeklärter geben, als sie sind, um keine Schwäche zu zeigen durch die Offenbarung von Zuneigung; und wie sich aus banalen Alltäglichkeiten Augenblicke sympathischen Humors ergeben auf der Reibungsfläche zwischen Walts herausgekehrter Verachtung und dem widerwillig aufkommenden Respekt füreinander.
"Gran Torino" ist Eastwood-Kino in Reinkultur, nicht nur weil sich die langsam entwickelnde Geschichte hervorragend für Eastwoods bedächtige, zurückhaltende Inszenierungsweise eignet und weil der alte Haudegen die absolut perfekte Besetzung für die Hauptrolle ist; sondern nicht zuletzt auch, weil es diesen Film ohne Eastwood nie gegeben hätte. Wohl niemand außer ihm kann in Hollywood einen Film über einen faltigen Kriegsveteranen realisieren, in dem ansonsten nicht ein berühmter Name auftaucht und sich alles nur um die deprimierende weil lösungslose Minderheitenproblematik dreht. Jeder Hollywood-Studio-Analyst würde sofort abwinken mit dem Hinweis, dass so etwas doch niemand sehen will. "Gran Torino" hat mittlerweile in den USA über 120 Millionen Dollar eingespielt. Quod erat demonstrandum.
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