Die Entdeckung der Unendlichkeit

Originaltitel
The Theory of Everything
Jahr
2014
Laufzeit
123 min
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 2. November 2014

Stephen Hawking wird gern als einer der klügsten Menschen der Welt genannt. Was der Tatsache zu verdanken ist, dass er aus dem Zirkel der tatsächlich klügsten Menschen der Welt, die sich fast ausnahmslos in der nicht-massenkompatiblen Welt der Akademiker und Universitäten tummeln, es als so ziemlich einziger zu einer etwas breiteren Bekanntheit gebracht hat. Das ist zum einen des recht beeindruckenden Bestseller-Erfolgs seiner populärwissenschaftlichen Aufarbeitung "Eine kurze Geschichte der Zeit" zu verdanken, die zentrale Überlegungen der Astrophysik und Kosmologie einer breiteren Masse verständlich machte, und zum anderen der noch beeindruckenderen Tatsache, dass Hawking eine überwältigende wissenschaftliche Karriere hinlegte trotz der Tatsache, dass er seit Jahrzehnten an einer schweren Nervenkrankheit leidet, die ihn so gut wie bewegungsunfähig gemacht hat. Die Entdeckung der UnendlichkeitDas genügt jedenfalls für genug Dramatik und Tragik, als dass nun auch Stephen Hawking als Material für ein biopic ausgewählt wurde. Wobei Hawkings erste Ehefrau Jane in dieser Geschichte mindestens so wichtig ist wie ihr Mann. Schließlich basiert "Die Entdeckung der Unendlichkeit" auch auf Jane Wildes Autobiografie über ihr Leben mit dem genialen Wissenschaftler.

Stephen und Jane lernen sich Anfang der 60er Jahre an der Universität in Cambridge kennen, als er noch ein linkischer Nerd ist, dessen phänomenaler Geist kurz vor seiner Entdeckung steht. Jane findet Gefallen an dem etwas eigenwilligen Kauz, doch kaum dass diese Liebesgeschichte begonnen hat, wird bei Stephen die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert, und die Ärzte prognostizieren, dass er kaum noch zwei Jahre zu leben haben wird. Jane jedoch treibt dies nicht in die Flucht, sondern zu einem Entschluss aus aufrichtiger Liebe: Sie will bei Stephen bleiben und ihn im Zweifelsfall bis zu seinem Tod begleiten. So beginnen die Hawkings eine Ehe zu führen, die mit Normalität kaum etwas zu tun hat, während Stephens motorische Fähigkeiten immer mehr degenrieren und er bald auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Die Entdeckung der UnendlichkeitDer prophezeite baldige Tod trifft jedoch nicht ein, Stephens ALS bleibt in einem dauerhaft nicht-tödlichen Zustand, so dass er nicht nur die Chance hat, mit Jane drei Kinder zu zeugen und auch aufwachsen zu sehen, sondern auch eine bahnbrechende wissenschaftliche Karriere zu machen, während Jane zur Managerin seines Lebens wird. Eine Rolle, die ihre gesamte Aufopferung braucht. Eine Aufopferung, zu der sie voll und ganz bereit war. Von der sie aber auch gedacht hatte, dass sie nach wenigen Jahren ihr Ende finden würde...

Damit hier gar nicht erst falsche Erwartungen entstehen: "Die Entdeckung der Unendlichkeit" ist weniger ein Film über Stephen Hawking, den Wissenschaftler. Seine größten Errungenschaften und wichtigsten Theorien finden nur in groben Strichen Einzug in den Film, ihre jeweilige Entdeckung bildet kaum mehr als eine Etappenmarkierung in der dramatischen Struktur des Films. Wer sich von diesem Film also tiefere Einblicke in Hawkings Gedankenwelt erhofft hat und eine nähere Bekanntschaft mit dem großen Geist, der in diesem so fragilen Körper gefangen ist, wird unweigerlich enttäuscht sein. Der Fokus liegt hier deutlich mehr auf der Geschichte einer außergewöhnlichen Ehe. Wenig verwunderlich, basiert der Film ja auch auf Janes Buch, und generell ist solch ein Film natürlich auch leichter einem breiteren Publikum zugänglich zu machen als ausschweifende Abhandlungen über theoretische Physik (siehe auch "Interstellar"). Und natürlich liegt es auch im Naturell von Hawkings Krankheit, dass er gezwungenermaßen in vielen Situationen seines Lebens zur Passivität verurteilt und auf die Hilfe seiner Frau angewiesen war, die wichtige Schlachten für ihn schlug. 

Die Entdeckung der UnendlichkeitSo wird Jane über weite Strecken zur eigentlichen Hauptfigur und Heldin dieses Films, und in der Tat sind die Opfer, die sie für ihre Ehe gebracht hat, in ihrer Enormität beeindruckend - ebenso wie die Größe ihrer Liebe, denn selbst in Situationen größter Zweifel und Schwäche war Jane stets da, wenn sie wirklich gebraucht wurde. Der Film verkommt dadurch trotzdem nicht zu einer unreflektierten Huldigung der sich aufopfernden Ehefrau, und die inneren Konflikte und unterdrückten Sehnsüchte, die Jane in den Jahren ihres Zusammenseins durchstehen musste, werden zum eigentlichen Salz in dieser dramatischen Suppe, die wiederum so geschickt zubereitet ist, dass die Art und Weise, wie die Ehe der Hawkings schließlich doch zu einem Ende kam, durchaus zu überraschen weiß.

Doch auch wenn der dramatische Fokus ziemlich gerecht zwischen den beiden Hauptfiguren aufgeteilt wird - schauspielerisch betrachtet ist das hier natürlich eine One-Man-Show. Da braucht sich die durchaus überzeugende Felicity Jones auch gar nicht gegen stemmen - wenn ihr Gegenüber einen Part wie Stephen Hawking spielen darf, steht er automatisch im Rampenlicht. Es sind Rollen wie diese, die eine Oscar-Nominierung so gut wie garantieren, wenn man sich nicht völlig doof anstellt, und in der Tat darf man fest mit dem Namen Eddie Redmayne rechnen, wenn im kommenden Frühjahr die großen Filmpreise verliehen werden. Schon zu Beginn des Films weiß er einnehmend eine Idee davon zu entwickeln, wie Hawking war bevor seine Krankheit ihm fast seine gesamte physische Ausdruckskraft nahm. Mit dem Entwicklungsverlauf der Krankheit werden die Restriktionen für Redmaynes Spiel dann immer größer, und damit auch die Herausforderung für ihn, trotzdem noch ein emotionales Innenleben seiner Figur zu transportieren, obwohl ihm fast alle Formen des Ausdrucks nach und nach genommen werden (1985 verlor Hawking nach einer Lungenentzündung die Fähigkeit zu sprechen und kommunziert seitdem mithilfe eines Sprachcomputers). Die Entdeckung der UnendlichkeitEs ist tatsächlich eine eindrucksvolle Leistung, wie Redmayne zwischen all die unfreiwilligen Bewegungen in Hawkings Gesicht immer wieder eine Spur einer bewussten Bewegung pflanzt, um über die Körpersprache doch noch etwas zu transportieren. Seine Vorstellung ist jedenfalls so präzise ausgearbeitet und ausgeführt, dass man Redmayne aus dem erweiterten Favoritenkreis für einen Oscar nicht wird ausschließen können.

Auch der Film an sich ist im Prinzip frei von groben Fehlern, wenn man von der Tatsache absieht, dass er sich halt in einem bereits ordentlich abgesteckten und bestens bekannten Rahmen bewegt. Innovationslos orientiert sich "Die Entdeckung der Unendlichkeit" am standardisierten Grundgerüst für biopics dieser Art, beeindruckt innerhalb dieser formelhaften Grenzen aber immerhin durch eine sehr gute und beizeiten visuell richtig beeindruckende Inszenierung. Das ist auch von daher erwähnenswert, als dass Regisseur James Marsh bis dato vor allem Dokumentationen gemacht hat (für "Man on Wire" gewann er 2008 sogar einen Oscar). Das einzige, was in der filmischen Umsetzung nicht so richtig überzeugen kann, ist die Leistung von Maske und Ausstattung beim glaubwürdigen Überbrücken der Handlungszeit des Films. Der Plot erstreckt sich über mehr als drei Jahrzehnte, vom ersten Kennenlernen der Hawkings bis hin zur Veröffentlichung von "Eine kurze Geschichte der Zeit" und der Trennung des Ehepaares bald darauf. Ein entsprechender Alterungsprozess ist den Figuren aber nur sehr bedingt anzusehen. Das hat man in anderen Filmbiografien schon deutlich überzeugender gesehen.

Nichtsdestotrotz: Wirklich vorwerfen kann man diesem Film nichts. Er ist handwerklich sehr gut ausgeführt und hat eine zentrale Schauspielleistung zu bieten, die mehr als nur ein bisschen zu beeindrucken weiß. Angesichts der inhäherenten Schwächen eines biopics und im Rahmen dessen, was möglich war, macht "Die Entdeckung der Unendlichkeit" so ziemlich das Beste aus seinem Material. Und das ist doch auch schon mal was.

Bilder: Copyright

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