Spionagethriller bedeuteten in den letzten Jahren Actionsequenzen, schnelle Schnitte und eine Menge an männlicher Coolness: Ob Bourne, ob Bond, am Ende flog vor grandiosen Kulissen immer etwas spektakulär in die Luft. Doch fernab dieser Showeffekte gibt es nun endlich wieder einen anderen Typen von Spion zu beobachten, den Schreibtischtäter, Geek oder Nerd, der hinter den Kulissen jede kleinste Regung des Gegners analysiert, um daraus das große Ganze zu erkennen. Der berühmteste unter diesen ist „Smiley“ aus den Romanen John Le Carrés.
Smileys Name wurde ihm aufgrund seiner Ernsthaftigkeit und seines stoischen Gesichtsausdruckes von Le Carré ironisch verliehen. Der Bestseller „Dame, König, As, Spion“ von 1974 wiederum ist der wichtigste Roman über den bebrillten Meister-Spion, den der schwedische Regisseur Tomas Alfredson nun hochspannend als Kinofilm mit der Crème de la Crème britischer Schauspielkunst umsetzt und mit der Melancholie und Düsterkeit seines berühmten Vampirfilms „So finster die Nacht“ versieht, der ihm den internationalen Durchbruch brachte.
Der Zuschauer findet sich in „Dame, König, As, Spion“ in Smileys Welt der 70er Jahre wieder, ausgestattet mit heute antiquiert wirkenden, damals jedoch hochmodernen technischen Gadgets. Alles ist in trübes Grau und Braun gehüllt und das Hauptquartier des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 scheint einem Labyrinth von Escher entnommen worden zu sein. Der Kalte Krieg wird ausgefochten von Spionen, Doppelspionen oder sogar Doppel-Doppel-Spionen und der Feind kann überall lauern.
Es ist das Jahr 1973. Der Chef des „Circus“, wie John Le Carré den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 nennt, „Control“ (John Hurt), schickt einen seiner Spione nach Budapest, um einen General zu treffen, der angeblich weiß, wer der russische Spion beziehungsweise „Maulwurf“ ist, der den Circus von unten unterwandert hat und sich nun in der obersten Führungsriege befinden soll. Der Einsatz scheitert spektakulär und Control wird in den Ruhestand versetzt, wie auch sein Gefolgsmann Smiley. Nachdem Control stirbt, gibt es jedoch weiterhin Gerüchte, dass es einen Maulwurf gibt und so wird Smiley gebeten, den Doppelspion zu enttarnen. Er findet heraus, dass Control fünf Personen unter Verdacht hatte, darunter auch Smiley selbst. Alle sind ehemalige Kollegen, man kennt sich seit Jahrzehnten und jeder ist ein ausgebildeter Spion, der sich nicht in die Karten schauen lässt. Im Laufe seiner Suche merkt Smiley schnell, dass er sich in Wirklichkeit mit dem brillanten „Karla“ misst, einem sowjetischen Superspion, und dass jeder seiner Züge in diesem hochkomplexen Schachspiel vielleicht schon vorausgeahnt wurde.
John Le Carré wusste 1974, wovon er schreibt, denn er hatte in den 50ern und 60ern selbst für MI5 und MI6 gearbeitet und die Enttarnung zweier britischer Agenten als Doppelspione (Kim Philby und George Blake) erleben müssen. Der Fall Philby von 1963 war die Vorlage für den Maulwurf in „Dame, König, As, Spion“. Le Carré wollte diese geschlossene Welt zeigen, in der jeder jeden kennt, aber plötzlich die Paranoia umgeht, jeder der Feind sein könnte und in der sich die Menschen auch in ihrem Wesen ändern. Jahrzehnte später schlug der Drehbuchautor Peter Straughan „Dame, König, As, Spion“ dem britischen Produzenten Tim Bevan vor, der gerade den deutschen Oscargewinner „Das Leben der Anderen“ gesehen hatte und nun ebenfalls einen Thriller produzieren wollte, in dem fast vergessene ideologische Konflikte private Tragödien auslösen.
Angefragte Hollywoodstudios schreckten vor dem Projekt zurück, zu komplex der Stoff, zu unsicher die Zuschauerzahlen. Somit wurde dieses zu einem rein europäischen Projekt, produziert von einem unabhängigen Studio und mit einem schwedischen Regisseur. Dies erwies sich als Glücksfall, denn das labyrinthartige Buch wurde hier stilsicher destilliert auf seine Essenz: Auf das Schweigen und die Blicke, auf scheinbare Kleinigkeiten, an denen sich das Ganze erkennen lässt, und mit einer Langsamkeit versehen, zu der Hollywood kaum fähig erscheint. Die Latte lag bei „Dame, König, As, Spion“ sehr hoch, denn das Buch war 1979 schon einmal von John Irvin als Mini-Serie fürs Fernsehen umgesetzt worden, die ebenfalls hervorragend besetzt war und den komplexen Inhalt in 315 Minuten Laufzeit natürlich besser wiedergeben konnte als dies im Kino in 127 Minuten möglich ist.
John Le Carré ist jedoch mit der Neuverfilmung fürs Kino zufrieden und der Zuschauer kann es auch sein. Le Carré hatte einen Wunsch, als Regisseur Alfredson begann: Man möge sich nicht zu sehr an das Original halten, also nicht das Buch 1:1 verfilmen, sondern etwas Neues schaffen. Dies ist eindeutig gelungen und das Drehbuch ist derzeitig verdient nominiert für den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch, da in zweistündiger Laufzeit unzählige Charaktere, Nebengeschichten, Ortswechsel und verschiedene zeitliche Ebenen untergebracht werden mussten – in einem Film, dessen wichtigstes Merkmal seine Langsamkeit sein sollte. Das Ehepaar Bridget O’Connor und Peter Straughan („Männer, die auf Ziegen starren“) fügte hierfür neue Szenen hinzu wie zum Bespiel die brillante Weihnachtsfeier, auf der der Weihnachtsmann eine Lenin-Maske trägt und alle britischen Spione die sowjetische Nationalhymne mitsingen, und verlegten den Ort der ersten Mission von der Tschechoslowakei nach Ungarn. Bridget O’Connor brachte den Regisseur dazu, auch Homosexualität unter den Spionen offen einzubringen. Zu Beginn der Dreharbeiten starb O‘Connor und so ist „Dame, König, As, Spion“ ihr gewidmet.
Obwohl das Werk eher ein Ensemblestück ist, dessen Schauspieler hervorragend sind (u. a. Colin Firth, „The King’s Speech“, Tom Hardy, „Inception“, Ciarán Hinds, „Rome“, Toby Jones, „Frost/Nixon“, Mark Strong, „The Guard – Ein Ire sieht schwarz“), sticht einer der Schauspieler klar heraus: Gary Oldman spielt die Rolle seines Lebens und ist hochverdient zum ersten (!) Mal Oscar-nominiert als bester Hauptdarsteller. Wer ihn mit grau gefärbten Haaren, Falten und der 70er-Brille nicht wiedererkennt: Gary Oldman spielte zum Beispiel Lee Harvey Oswald in „JFK – Tatort Dallas“, den irren Waffenhändler in „Das Fünfte Element“, Sirius Black in den „Harry Potter“-Filmen und den Polizeichef Jim Gordon in Christoper Nolans „Batman“-Filmen. Doch „Dame, König, As, Spion“ ist die Umgebung, in der er so viel Leinwandpräsenz entwickelt wie noch nie zuvor. Und dabei zeichnet ihn vor allem eins aus: sein Schweigen und sein stoischer Gesichtsausdruck. Der Zuschauerblick folgt ihm bei seinen Verrichtungen zu Beginn des Films, doch es dauert unglaubliche 18 Minuten, bis er zum ersten Mal etwas sagt. Das Publikum für sich einzunehmen mit einem Charakter, der kaum etwas sagt und kaum etwas mimisch oder gestisch zeigt, erfordert großes Können. Regisseur Alfredson bringt es auf den Punkt: „Gary kann seine Brillengläser mit einem Tuch putzen und ist dabei fesselnder als drei Actionstars.“
Alfredson schafft es auch mit mehr Geld, Schauspielern, Drehorten und zeitlichen Ebenen wieder die gleiche betörende Intimität im Werk zu erzeugen, wie er es bei „So finster die Nacht“ vermochte. Auch hier arbeitet er wieder mit seinem Kameramann Hoyte van Hoytema zusammen, dessen großes Talent sich mittlerweile international herumgesprochen hat. Die Bildaussschnitte sind fantastisch und trotz betont düsteren Braun- und Grautönen, die hier die Bürokratie, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit betonen, möchte man in den Bildern schwelgen. Der Soundtrack von Alberto Iglesias ist für den Oscar nominiert worden. Iglesias hatte davor schon eine andere hervorragende John-Le-Carré-Verfilmung orchestriert: „Der ewige Gärtner“ von Fernando Meirelles, für den er auch schon für den Academy Award nominiert worden war. Dort wie hier trägt die Musik hervorragend zur Atmosphäre bei.
Trotz allem kostet es sehr viel Aufmerksamkeit, der Handlung von „Dame, König, As, Spion“ zu folgen und auch am Ende ist man nicht sicher, ob man jetzt alles richtig dechiffriert hat. Das Buch ist jedoch ebenso komplex und schwer zu verstehen, obwohl es weit mehr Seiten hat als dieser Film Minuten. Alfredsons „Dame, König, As, Spion“ ist dennoch ein intelligenter, visuell und schauspielerisch überzeugender Film. Wäre es also so schlimm, ihn ein zweites Mal zu sehen, um ihn komplett zu verstehen? Bei solch einem filmischen Hochgenuss wie diesem sicherlich nicht.
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