Wenn ein Skandalroman wie "Elementarteilchen" (1998) von Michel Houellebecq auf einen provokativen Regisseur wie Oskar Roehler ("Suck my dick", "Agnes und seine Brüder") trifft, was passiert dann wohl? Die Antwort darauf verwundert: Roehlers Adaptation des Romans ist eher brav und konventionell, liefert aber einen runden Film voller großartiger Schauspieler, der fernab des bitterbösen Zynismus des französischen Autors eine Brüdergeschichte mit einer Art Happyend erzählt.
Im Berlin kurz nach der Jahrtausendwende leben zwei Halbbrüder,
Bruno und Michael, deren gemeinsame Mutter ihnen das Leben schon
in ihrer Kindheit verpfuschte. Jane (Nina Hoss, "Die
weiße Massai"), ein It-Girl, welches eher an Partys,
Selbstfindung und jüngeren Männern interessiert war, ließ
die Söhne bei den Großmüttern beziehungsweise im
Internat aufwachsen, wo sie sich zu ganz unterschiedlichen, aber
gleichermaßen sozial gestörten Menschen entwickelten.
Der Lehrer Bruno (Moritz Bleibtreu, "Lammbock")
steht auf junge Mädchen, hasst die Cellulite seiner Frau und
gibt seinem Baby sogar Beruhigungstabletten, damit es ihn nicht
beim Schreiben stört. Michael (Christian Ulmen, "Herr
Lehmann") hingegen ist ein Forscher der Molekularbiologie,
der keinerlei Gefühle gegenüber anderen Menschen hat und
derzeitig erforschen will, wie sich Mensch und Tier ohne Sex fortpflanzen
können. Er sagt er suche die Wahrheit, die wie ein Elementarteilchen
sei, sie könne nicht weiter zerlegt werden.
In
der Lebensmitte begegnen diese beiden gestörten Gestalten der
jeweilig passenden Partnerin. Bruno trifft Christiane (Martina Gedeck,
"Das Leben der Anderen", "Bella Martha") im
"Ort der Wandlung", einer Hippie-New Age-FKK-Kommune,
in die er fährt, nachdem seine und Michaels Mutter gerade gestorben
ist. Christiane ist Swingerclub-Fan und lebt ihr Leben bis zum Äußersten.
Währenddessen begegnet Michael nach vielen Jahren seiner platonischen
Schulliebe Annabelle wieder, für die diese männliche Jungfrau
um die Vierzig sich vielleicht doch noch erwärmen kann.
Bei den Zuschauern muss man zuerst unterscheiden in jene, die das
Buch gelesen haben und in diejenigen, die die literarische Vorlage
nicht kennen. Während Houellebecq-Leser entweder erleichtert
sein werden, wie harmlos und positiv dieses Werk verfilmt wurde,
oder aber sauer-enttäuscht darüber, dass sie keine Sex-Orgien
und ausufernde Gewalt zu sehen bekommen haben, werden die Neulinge
eher geschockt sein von "Elementarteilchen". Man darf
sich nicht davon täuschen lassen, dass in den Filmkritiken
steht, dieser Film sei harmlos. Er ist es auch, jedoch nur im Vergleich
zum Buch betrachtet. Der Stoff an sich ist trotzdem teils harter
Tobak und wird sich wie das Original den Vorwurf der Frauenfeindlichkeit
und des Zynismus anhören werden müssen.
Da
Roehler den Film alles andere als werkgetreu umsetzte, lassen sich
Vorlage und Bearbeitung schlecht vergleichen. Während Houellebecq
die Geschichte beider Männer dazu nutzt, die moralischen und
gesellschaftlichen Dilemmata des Menschen im ausgehenden Jahrtausend
aufzudecken und zu kritisieren, kreist Roehlers Film durchgehend
um diese beiden zentralen Figuren. Die philosophischen Exkurse des
Buchs sind fast verschwunden, nur noch selten finden sich Betrachtungen
wie zum Beispiel über Aldous Huxleys (negative) Utopie "Schöne
neue Welt" (1932). Besonders der Handlungsstrang, der das Klonen
betrifft, ist überaus schwach und zum Teil sogar einfach mit
Texttafeln am Ende des Films abgedeckt. Und während das Buch
krass und negativ für die Menschen endet, hat Roehler ein quasi
Happyend eingefügt.
Doch abgesehen davon funktioniert "Elementarteilchen" als Film recht gut. Vor allem die Schauspieler sind natürlich zu loben, da dieser Film bis in kleinste Rollen hinein mit der Crème de la Crème des deutschen Schauspieladels besetzt ist. Besonders Moritz Bleibtreu zeigt in dieser Rolle, auf die ihn schon sein sexgeiler Bibliothekar aus "Agnes und seine Brüder" vorbereitete, was in ihm steckt. Dafür gab's auch gleich einen Bären für die beste schauspielerische Leistung bei der diesjährigen Berlinale. Auch Martina Gedeck ist hervorzuheben, da sie sowohl die erotische Präsenz, aber auch die Zerbrechlichkeit einer für den Sex lebenden Frau überzeugend darstellt. Interessant ist, dass man zwei Schauspieler kaum erkennt: Nina Hoss ist tatsächlich als alte Greisin Jane unter einem Haufen Schminke verschwunden und Uwe Ochsenknecht ist als Vater ein solch widerlicher, versiffter Alkoholiker, dass man zweimal hinschauen muss.
So ist "Elementarteilchen" zwar nicht gerade das, was man von einem Regisseur wie Roehler bei einer solch umstrittenen Vorlage erwartete, wird aber mit dem Ruf des Skandals viele ins Kino locken. Und da die Sexszenen keusch gefilmt oder gleich weggelassen wurden, muss man für diesen Film auch nicht ins Pornokino. Roehler und der Produzent Bernd Eichinger können mit sich zufrieden sein: "Elementarteilchen" wurde während der Berlinale schon in 32 Länder verkauft, noch bevor er überhaupt bei uns startete.
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