
Eines der erstaunlichsten Dinge über diesen Film ist, wie schnell er entstand. Zwischen der Ermordung Osama bin Ladens am 2. Mai 2011 und dem Drehbeginn von "Zero Dark Thirty" lagen nicht einmal elf Monate. Und das bei einem Film, der sich rühmen kann, die jahrzehntlange Suche nach dem meistgesuchten Terroristen der Welt nicht bloß mit reichlich "kreativer Freiheit" nachzuerzählen, sondern etwas abzuliefern, das einem authentischen Tatsachenbericht so nahe kommt wie das nur möglich ist, wenn man die Tätigkeit von CIA-Agenten dokumentiert, deren wahre Identität verschleiert bleiben muss. Drehbuchautor Mark Boal hat in den Wochen und Monaten nach diesem 2. Mai 2011 nicht viel geschlafen, während er mit klassischer journalistischer Recherche und vielen intensiven Interviews der direkten Beteiligten alle komplexen Einzelheiten und entscheidenden Wendepunkte dieser größten Terroristenhatz der Geschichte zusammentrug, bis hin zu einer detailgetreuen Wiedergabe des nächtlichen Navy SEALS-Einsatzes, bei dem bin Laden schließlich zur Strecke gebracht wurde (und dessen Start-Uhrzeit in Militär-Sprech - 0:30 Uhr - diesem Film seinen Titel gibt).
Das Drehbuch, das Boal aus all diesen Informationen schließlich erschuf, wurde von Kathryn Bigelow dann ähnlich virtuos umgesetzt wie bei der letzten Zusammenarbeit der beiden - "The Hurt Locker" - die sowohl Autor als auch Regisseurin ihren ersten Oscar eingebracht hat. Ein Triumph, der sich mit "Zero Dark Thirty" durchaus wiederholen könnte, ist den beiden doch erneut ein absolut außergewöhnlicher, bemerkenswerter und durchweg fesselnder Film gelungen, ein sowohl formal als auch inhaltlich mutiges und herausforderndes Werk.
Dass es Boal und Bigelow dabei gelingt, ihre Zuschauer trotz der immensen Laufzeit von zweieinhalb Stunden permanent im Bann zu halten, liegt auch daran, dass die beiden nicht davor zurückschrecken, ihr Publikum zu fordern und ständige Aufmerksamkeit zu verlangen. Anstatt die Zuschauer mit einer gängigen und gut greifbaren Einführung der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und der zentralen Figuren an ihren Stoff heran zu führen, werfen Boal und Bigelow sie einfach mitten rein. Ohne jegliche Orientierung bezeugen die Zuschauer gleich in der ersten Szene des Films das Verhör eines Terrorverdächtigen in einem der berüchtigten Geheimlager des CIA, jener quasi rechtsfreien Räume, an denen unter der Bush-Regierung die Informationsbeschaffung per Folter betrieben wurde. Dass die "guten" Amerikaner damals sehr wohl gefoltert haben, macht "Zero Dark Thirty" in dieser ersten Szene gleich mit aller Deutlichkeit klar - und gibt dem Publikum damit erstmal gehörig etwas zu verdauen, genauso wie seiner Hauptfigur. Denn auch die CIA-Agentin Maya (Jessica Chastain) ist bei diesem Verhör dabei und noch so frisch an ihrem neuen Einsatzort, dass sie unpassenderweise ihren besten Anzug trägt. Maya muss sehr mit sich kämpfen, um ihre Erschütterung über die bezeugten Foltermethoden herunterzuschlucken und dabei zu bleiben - immerhin wird dies jetzt ihr tägliches Brot werden.
Maya ist das Rückgrat von "Zero Dark Thirty", eine von einer tatsächlichen CIA-Agentin inspirierte Figur, die in den folgenden acht Jahren zwischen dieser Eröffnungsszene aus dem Jahr 2003 und der schlussendlichen Tötung bin Ladens zur entscheidenden Jägerin des berüchtigten Terroristen wird. Und Maya ist ein absolutes Spektakel von einer Filmfigur. Einerseits erfährt man als Zuschauer in den kommenden zweieinhalb Stunden absolut nichts Persönliches über diese Frau - wo sie herkommt, was in ihrem Leben bisher wichtig war, oder warum sie sich derart obsessiv in die Jagd auf bin Laden verbeißt. Andererseits kann man trotzdem den faszinierenden Wandel dieser Frau mit ansehen, die am Anfang kaum ein Folterverhör bezeugen kann, und am Ende mit knallharter, entschlossener Kälte den Navy SEALS klar macht: "Bin Laden is there. And you're gonna kill him for me." Es ist ein mittelgroßes schauspielerisches Wunder, wie die unfassbar vielseitige Jessica Chastain diese Maya zum Leben erweckt. Man muss sich nachhaltig vor Augen führen, dass diese unnachgiebig verbissene, zu allem Entschlossene Jägerin von derselben Frau gespielt wird, die ein Jahr zuvor in Terrence Malicks "The Tree of Life" noch die ätherische Verkörperung von Güte und Gnade darstellte. Mit dieser grandiosen, atemberaubenden Vorstellung ist Chastain definitiv die Top-Anwärterin auf den diesjährigen Oscar als beste Hauptdarstellerin.
Man muss wie gesagt gut aufpassen in den zwei Stunden die es dauert, bis "Zero Dark Thirty" sein Finale erreicht, wenn man halbwegs nachvollziehen können will, aus welch komplexem, kleinteiligem Puzzle Maya und ihre Kollegen schließlich die Spur erarbeiteten, die sie zu bin Laden führte. Es braucht diese Zeit um angemessen zu dokumentieren, wie schwierig und mühsam diese Arbeit war, welch frustrierende und erschütternde Rückschläge damit einhergingen. Es ist die große Leistung von Kathryn Bigelow, dass das Zuschauen in dieser Zeit trotzdem nicht anstrengend und der Film nicht statisch wird, sondern die Inszenierung durchweg einen subtilen, aber entschiedenen Vorwärtsdrang vermittelt, eine Spannung und Rastlosigkeit aufrechterhält, die Mayas unstillbaren inneren Antrieb widerspiegelt: Das hier ist noch nicht zu Ende. Es geht weiter. Es muss weitergehen. Wir sind noch nicht am Ende.
Dieses Ende dann ist mit der größte Triumph von "Zero Dark Thirty" und dem unbedingten Willen von Boal und Bigelow, mit ihrem Film so nah wie irgend möglich an den Tatsachen zu bleiben. Man konnte damals im Mai 2011 ja schon so einiges lesen über bin Ladens Geheimversteck und wie die Kommandoaktion der Navy SEALS ablief. Hier nun kommt die bis ins kleinste Detail nachgestellte Dokumentation dazu. Damit auch alles stimmt, baute das Produktionsteam das Anwesen 1:1 nach und erzeugte so die Möglichkeit für einen Grad an "Echtheitsgefühl" in dieser Sequenz, das schon fast beängstigend ist - so kühl, kalkuliert und sachlich agieren die Soldaten während des Einsatzes. Auf die damals kontrovers diskutierte Frage, inwieweit bei dem Einsatz versucht wurde, bin Laden lebend zu fassen, liefert "Zero Dark Thirty" übrigens eine sehr eindeutige Antwort.
Das ist einer der Punkte, warum der Film - trotz Lobeshymnen seitens der Kritiker - in den USA etwas gespalten empfangen wurde und es Boal und Bigelow auch schwer fiel, den Film überhaupt zu finanzieren (schlussendlich mussten sie selbst eine Produktionsfirma gründen, weil sich niemand mit diesem Projekt die Finger verbrennen wollte). Denn natürlich ist "Zero Dark Thirty" trotz aller nüchternen Faktenwiedergabe ein sehr politischer Film, der ohne Beschönigung darlegt, wie die USA gerade unter der Bush-Regierung mit ihren Terrorverdächtigen umsprang. Und der unterschwellig, aber deutlich hervorhebt, dass diese Folter-Methoden letztlich zu nichts geführt haben. Die entscheidenden Durchbrüche gelingen Maya und ihren Kollegen mit einer Mischung aus klassischer Spionagetätigkeit und modernster Überwachungstechnik.
Ebenso wie Maya für ihren unbedingten Durchhaltewillen am Ende belohnt wurde, könnte es sich auch für Bigelow und Boal gelohnt haben, dieses Projekt gegen alle Widrigkeiten durchzuziehen. Schon jetzt werden beide als heiße Kandidaten für die diesjährigen Oscars gehandelt. Der einzig naheliegende Grund, warum sie dort nicht triumphieren sollten, wäre ein Widerwille bei der Oscar-Akademie, die beiden nach "The Hurt Locker" für ihren nächsten Film gleich schon wieder auszuzeichnen. Das ist ein Grund, aber kein Argument. "Zero Dark Thirty" wäre ein würdiger Preisträger für Film, Regie, Drehbuch, Kamera und Austattung. Mindestens. Und vor allem natürlich für die beste Hauptdarstellerin. Denn es ist auch der herausragenden Leistung von Jessica Chastain zu verdanken, dass dieser Film mit seinem weltbewegenden, fast epischen Thema mit einem Moment endet, wie er intimer, emotionaler und persönlicher kaum sein könnte.
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