Soviel im Leben hängt vom Glück ab, man frage da nur einen Tennisspieler. Bleibt der Ball an der Netzkante hängen, gibt es zwei Möglichkeiten: Hat man Glück springt er doch noch über das Netz und man macht den Punkt. Hat man Pech, fällt er ins eigene Feld zurück und man verliert den Punkt. Glückliche Umstände stehen auch am Anfang der Geschichte von "Match Point": Der Ex-Tennisprofi Chris (Jonathan Rhys-Myers) macht bei seiner Arbeit als Tennislehrer die Bekanntschaft von Peter Hewett (Matthew Goode), dessen reiche und einflussreiche Familie dem eigentlich recht mittellosen Chris das Tor zu einem neuen Leben öffnet. Peters Schwester Chloe (Emily Mortimer) wirft ein Auge auf den neuen Freund ihres Bruders, und in kurzer Zeit protegiert Vater Hewett (Brian Cox) Chris in seinem Firmen-Imperium und beschafft ihm dort eine Top-Position. Das neugefundene Leben unter den Schönen und Reichen könnte so unkompliziert sein, wäre da nicht Nola (Scarlett Johansson), die Verlobte von Peter. Vom ersten Treffen an ist Chris von der sexy Amerikanerin wie besessen, und als sich beide später in eine Affäre miteinander stürzen, gerät Chris' Leben erneut aus den Fugen...
Drei Thesen zu "Match Point":
1. Woody Allen macht jetzt wirklich Schluss mit lustig.
2. Woody Allen macht wieder gute Filme.
3. Woody Allen landet nach langer Zeit mal wieder einen Hit.
Zu These 1, "Schluss mit lustig":
Dass es in den letzten Woody Allen-Filmen ("Anything Else", "Die Suche nach dem Jade-Skorpion", "Schmalspurganoven") recht wenig zu lachen gab, hatte ja mehr mit der Qualität von Allens zunehmend faderen Komödien zu tun, als mit irgendetwas anderem. Aber so gewollt wenig witzig wie in "Match Point" war Allen schon lang nicht mehr. Ernste Filme hat er ja seit den späten Siebzigern öfters gedreht, in den letzten Jahren versuchte er aber doch mehr schlecht als recht, seine Tradition in der intelligenten Komödie fortzusetzen. Von daher kommt die extreme Ernsthaftigkeit, ja Tragik von "Match Point" doch etwas überraschend.
Zu lachen gibt's hier eigentlich nix, und die wenigen Schmunzler sind auch eher der bitter-sarkastischen Art zuzurechnen. Allen hat ein quasi-klassisches Drama gedreht, in dem mehr als ein Literaturklassiker anklingt, kein Wunder bei Themen wie sozialem Aufstieg aus ärmlichen Verhältnissen durch Heirat und verbotener, verborgener Liebe. Da muss man an "Wuthering Heights" ebenso denken wie an "Große Erwartungen" oder "Washington Square", oder auch an die von Allen selbst eingebauten Referenzen. Wenn etwa Chris ganz am Anfang Dostojewskis "Schuld und Sühne" liest, kann man schon eine Idee bekommen, was einen hier erwartet. Was sich auch in anderen kreativen Entscheidungen Allens niederschlägt, etwa dem Einsetzen alter italienischer Opernarien als eine Art griechischer Chor, die dass zunehmend dramatische Geschehen begleiten und kommentieren und die sich andeutende Tragik vorausdeuten.
Gänzlich unerwartet ist dieser Stimmungswechsel allerdings nicht. Allen machen ernste Stoffe sowieso mehr Spaß: "Wenn ich die Chance habe, etwas Ernstes zu machen, habe ich daran mehr Spaß. Das heißt nicht, dass ich darin so gut bin wie in Komödien, aber genieße es mehr". Sein letzter Film "Melinda und Melinda" untersuchte bereits die dünne Linie zwischen Komödie und Tragödie, während "Match Point" sich als Ausgangsposition der Frage widmet, wie sehr Glück das eigene Schicksal bestimmt. Und der nächste Verwandte in Allen-Kanon scheint "Verbrechen und andere Kleinigkeiten" (1989) zu sein, minus der komischen Einlagen. "Match Point" zeigt unbarmherzig, wie ein Mann mit seinem Gewissen ringt, mit ungewissem Ausgang. Diese Entscheidungen führen den Film im Schlussdrittel so unerwartet wie elegant in Thriller-Territorium, wo "Match Point" dann mehr mit "Der talentierte Mr. Ripley" zu tun hat als mit dem Großteil von Allens bisherigem Schaffen. Was eine sehr gute Nachricht ist und direkt überleitet
Zu These 2, "ein guter Film",
denn man merkt "Match Point" an, das dies Allens kreatives Comeback ist. Das rufen zwar irgendwelche Leute bei jedem neuen Werk des Königs von New York, diesmal stimmt es aber. Besonders der Ortswechsel scheint Allens Muse gut getan zu haben, wie auch der letzte wirklich gute Film von ihm, seine launige Jazz-Hommage "Sweet and Lowdown" (1999) bereits von dem Verlassen des Big Apples profitierte. Denn während seine Komödien in der New Yorker Gesellschaft immer formelhafter wurden, ist der doppelte Umzug nach London und zur Dramatik auch doppelt gelungen. Denn dies ist einer der wenigen Filme Allens, den man wirklich als packend beschreiben kann.
Die heimliche Liebschaft zwischen Chris und Nola sowie dessen Doppelleben sorgen für dramatisches Potenzial, das den Film größtenteils wirklich spannend macht. Zudem verzichtet Allen auf unnötigen Tand, einzig eine überflüssige Szene kurz vor Schluss - wohl auch als Bergman-Hommage gedacht - stört, weil sie unnötig deutlich ausspricht, was dem Zuschauer schon längst klar ist.
Wie immer kann Allen auch Klasseschauspieler um sich scharen, ohne dabei in die All-Star-Revuen zu verfallen, die einigen seiner letzten Filme den kreativen Atem abdrückte. Besonders die jungen Hauptdarsteller sind hervorragend, was man von Scarlett Johansson ("Lost in Translation", "Die Insel") eigentlich auch erwartet, von Jonathan Rhys-Myers ("Kick it like Beckham", "Vanity Fair") vielleicht nicht zwangsläufig. Der muss den Film tragen, schlägt sich aber im Charakterfach beachtlich und verleiht seinen glatten Milchbubizügen ständig Tiefe. Und so ist man sich bei seiner Figur auch nie sicher, kann sich nicht sicher sein, muss sich ständig aufs Neue mit ihr auseinandersetzen: Wie viel meint Chris ernst, wie viel ist pure Berechnung? Johansson hat weniger zu tun, bringt in das Porträt der glücklosen Nola aber Klasse und Energie. Emily Mortimer und Matthew Goode leisten ebenso gute Unterstützung wie Altmeister Brian Cox als Chris' Schwiegerpapa Alec. Dass letzterer, der eigentlich auf zwielichtige Bösewichter festgelegt ist ("Die Bourne-Verschwörung", "Ring") zur Abwechslung mal einen ‚Guten' gibt, erfreut ebenfalls.
Schauspielleistungen also tadellos, Film spannend: Gibt's da eigentlich was zu meckern? Nur eines hält den Film davon ab, sich in eine Reihe mit Allens Klassikern stellen zu können: Denn egal wie klassisch die Themen sind, egal wie stilvoll das Ganze umgesetzt oder wie gut Dialoge und Figuren beobachtet sind, die Geschichte selbst ist im Grunde fast banal und man hat sie halt auch schon dutzende Male gesehen. Selbst die intelligente Pointe, die die Anfangsfrage nach dem Glück wieder aufgreift, kann dies nicht verhehlen. Der Film ist einfallsreicher und frischer als Allens letzte Werke, aber nicht genug für ein Meisterstück. Trotzdem bleibt's dabei: "Match Point" ist nach vielen Enttäuschungen noch mal ein großer Wurf des fast 70-Jährigen.
Zu These 3, "mal wieder ein Hit"
Sicher prognostizieren kann man natürlich nichts, aber selten sah es für einen Allen-Film in der letzten Dekade besser aus: Frenetische Begeisterung bei der Filmpremiere in Cannes mit einigen der besten Reviews seit langer Zeit, dazu ein willkommener Bruch mit der immer formelhafteren Ware der letzten Jahre und eine Besetzungsliste, die auch ein jüngeres Publikum anlocken könnte. Dabei kann man Allen mit der Besetzung von Hollywoods momentanem "it-girl" Scarlett Johansson tatsächlich mal eine kommerzielle Absicht unterstellen. Ist ja auch keine schlechte Idee, statt der eigenen altbekannnten, faltigen Visage ein paar sexy Jungdarsteller in den Mittelpunkt zu rücken, nachdem es Allen-Filme in den letzten Jahren immer schwerer hatten, einen Starttermin und gute Publicity zu bekommen.
Wenn jedenfalls die Reaktion unserer französischer Nachbarn ein Wegweiser ist, ist die Rechnung voll aufgegangen. Wann konnte man einen Woody Allen-Film zuletzt einen Blockbuster im Wortsinne nennen, einen Film, der lange Schlangen vor dem Kino verursacht? Eben. Aber ausverkaufte Kinosäle und ungewöhnlich lange Publikumsschlangen scheinen den hohen Erwartungen recht zu geben. Die Eigenwerbung der Presseabteilung, die erklärt, der Film sehe schon jetzt aus wie Allens erfolgreichster seit "Der Stadtneurotiker", kann man dreist finden. Aber unwahr scheint sie nicht zu sein.
Diese dritte These muss freilich noch von der Öffentlichkeit bestätigt werden. Aber zumindest die ersten beiden kann man eigentlich kaum anzweifeln. Die englische Luft scheint Allens lange brach liegende Muse wiederbelebt zu haben, so dass man tatsächlich jetzt schon gespannt sein kann, was Allen (wiederum mit Johansson) als nächstes macht. Der beste Woody Allen-Film seit langem, soviel kann man auf dem Spielbogen verzeichnen. Und damit also Punkt, Satz und Sieg für Woody Allen.
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