Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich mich schon während des Vorspanns in „Mansfield Park“ verliebt. Regisseurin und Drehbuchautorin Patricia Rozema umgarnt den Zuschauer mit wunderschönen, warm ausgeleuchteten Nahaufnahmen von Blättern Papier, die, teilweise transparent, den Blick auf eine filigrane Handschrift freigeben. Im Hintergrund flüstert eine Mädchenstimme theatralisch über englische Geschichte. Auf sehr sinnliche Art und Weise wird mit diesem Vorspann die Bedeutung des Schreibens für die Hauptfigur der Romanvorlage, Fanny Price, und die Autorin selbst, Jane Austen, dargestellt.
Und so versinkt der Zuschauer in Weichzeichneridylle, wie man sie vielleicht noch aus Filmen wie Jane Campions „The Piano“ kennt, um plötzlich im Londoner Armenviertel Portsmith aufzuwachen. Das Mädchen, dessen Stimme wir hörten, ist eben diese Fanny - älteste Tochter der Arbeiterfamilie Price mit einer nicht enden wollenden Zahl an hungrigen Geschwistern. Arbeitslosigkeit, Geldmangel und Verzweiflung führen dazu, dass Fanny als besseres Dienstmädchen zu ihrer Tante Norris auf den Landsitz Mansfield Park geschickt wird. Anders als das junge Geschöpf erwartet hatte, entwickelt sich der Wochenendbesuch zu einem lebenslangen Aufenthalt. Ein Leben, in dem sie einerseits die Vorteile des Landadels zu Beginn des 19.Jahrhunderts genießen darf: Ein Erwachsenwerden ohne Hunger und Geldsorgen. Aber andererseits ein Erwachsenwerden ohne Liebe und Wärme. Tante Norris hat es sich zur Aufgabe gemacht, als eine Art „Cinderellas böse Stiefmutter“ aufzutreten und Fanny, wo immer sie kann, klarzumachen, was für ein minderwertiges Wesen zweiter Klasse sie ist. Ganz besonders im Vergleich mit den beiden Töchtern des Hauses Maria (Victoria Hamilton) und Julia Bertram (Justine Waddell) - geschult, schön, und nicht sehr denkaktiv. Es sei denn, es geht um potentielle und vor allem lukrative Ehemänner. Da sind auch Lady (Lindsay Duncan) und Lord Bertram (Harold Pinter) keine große Hilfe: Erstere frönt samt Schoßhund den ganzen Tag ihrer Schlafkrankheit und letzterer, im Wesen väterlich und liebevoll, ist leider nie anwesend.
So zieht Fanny sich zurück - in ihre ungeheizte Dachkemenate, zu den Blättern voll englischer Historie, in die Einsamkeit zu sich selbst. Einzig Edmund (Johnny Lee Miller), zweitgeborener Sohn des Hauses, durchbricht ihre stille Angst mit seiner Natürlichkeit, seinem lebendigem Interesse an allem und seinem liebenswerten Lächeln. Er entwickelt sich zur wichtigsten Person in Fannys Leben, zu ihrem Freund, engsten Vertrauten und Gesprächspartner. Und jeder, außer den beiden selbst, scheint zu bemerken, dass sie wie füreinander geschaffen sind und schon lange mehr als nur brüderlich-schwesterliche Zuneigung empfinden.
Doch Jane Austen und Patricia Rozema machen es uns nicht leicht. Bevor die Geschichte sich dem eigentlichen großen Thema Liebe und Suche nach dem Richtigen zuwendet, braucht sie einiges an Zeit und Selbstfindungsszenen. Das heißt, Fanny braucht diese Zeit, um nach all den Drangsalierungen zu akzeptieren, dass sie es wert ist, begehrt und geliebt zu werden. Nach und nach erkennt sie, auch sie ist schön und etwas Besonderes. Das scheint auch Henry Crawford (Allesandro Nivola), allseits bekannt als reich, schön und unersättlicher Herzensbrecher, bemerkt zu haben und beginnt, wie ein liebestrunkener Süchtiger um sie herum zu schwirren. Beim Ball zu Ehren von Fannys Einführung in die Gesellschaft (vor allem die männliche) reißen sich mit dem immer noch verwirrten Edmund und Crawford gleich zwei Verehrer um sie. Henry Crawfords Schwester Mary umwirbt derweil mit Intelligenz und gierigem Blick auf das Erbe des Hauses Bertram den jungen Edmund.
Und so wird beim Tanz eine Art ‚Bäumchen-wechsel- Dich’ der Liebe gespielt. Mit Großaufnahmen auf die Gesichter der tanzenden Liebes-Protagonisten, Nahaufnahmen auf abwechselnd nacheinander greifenden Händen, sich berührenden Körperteilen und Kleidungsstücken - ein Strudel der Emotionen. Von den Darstellern sowie kamera- und schnitttechnisch wunderschön und spannungsvoll umgesetzt. Leider wird diese Phase zu sehr in die Länge gezogen. Fanny ist immer verwirrter und kehrt zurück nach Portsmith - der Zuschauer ist immer ungeduldiger und wartet auf Fannys Entscheidung für ‚den einzig Wahren’.
Hiermit enden aber auch schon die negativen Bemerkungen, da der Film ansonsten überzeugt. Er ist kurzweilig, romantisch und setzt seinen feinen sozialkritischen (fast schwarzen) Humor gekonnt ein. „Mansfield Park“ schafft es auch von Anfang an, die Stärke und Intensität eines Jane Austen-Romans, aber insbesondere seiner weiblichen Hauptfigur, zu vermitteln. Oft fasziniert die Darstellung Fannys mehr als „Emma“ oder die Damen aus „Sinn und Sinnlichkeit“. Fanny hat Ecken und Kanten, ist kein hübsches Mäuschen und nicht reich - sie ist echt. Und so spielt Frances O’Connor sie auch. Ohne Gefühlsduselei, einfach wie das Herz spricht - eben echt. Wie maßgeschneidert fügt sich Johnny Lee Millers zartes und fast bedächtiges Spiel ein. Einer der wohl schönsten Momente des Films ist Edmunds Liebeserklärung an Fanny: Wenn er mit zitternden Lippen die Worte formt, möchte man ihm am liebsten beim Sprechen helfen oder ihn einfach gleich küssen.
Wer sich durch einen bewegenden Film über Liebe, Freundschaft, Habgier und Eifersucht den Tag versüßen lassen will, sollte sich der bisher gelungensten Verfilmung eines Jane Austen-Romans anvertrauen.
Originaltitel
Mansfield Park
Land
Jahr
1999
Laufzeit
110 min
Regie
Release Date
Bewertung
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