Sanfter Wind durchströmt den Wald. Fernab der Zivilisation entdeckt ein Einsiedler (Johannes Krisch) auf einem Spaziergang eine verletzte Krähe. Er nimmt sie an sich und pflegt sie gesund. In etwa zur gleichen Zeit: Die Dokumentarfilmerin Franziska (Sandra Hüller) versucht sich an einem Porträt über einen Arbeitslosen, entdeckt jedoch nichts außer Langeweile. Ihr Freund Tom (Ronald Zehrfeld), ein Polizist, lässt sich derweil vom Fußpfleger Claude (Michael Maertens) mit dessen Produkten bestechen, nachdem er ihn während der Autofahrt beim Telefonieren ertappt hat. Claude ist auf dem Weg ins Altenheim zu seiner Kundin Frau Sandberg (Margit Carstensen). Derweil reist eine Gruppe Jugendlicher mit dem Bus zu einer KZ-Gedenkstätte und verhält sich ein Ehepaar (gespielt von Corinna Harfouch und Bernhard Schütz) auf der Fahrt zum Flughafen nervtötend spießig.
Auf seine Oberfläche mag sich der Film mit dem Titel „Finsterworld“ wohl kaum beziehen. Alles ist sonnig, gepflegt, glatt und auf den ersten Blick in guter Verfassung. Das Leben geht seinen gewohnten Gang. Doch dabei belässt es Regisseurin Frauke Finsterwalder, die das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Mann (Schriftsteller-Enfant terrible Christian Kracht) geschrieben hat und bereits am Theater und bei der Süddeutschen Zeitung tätig war, in ihrem Spielfilmdebüt nicht.
Die Wege der Charaktere kreuzen sich, so wie es sich für einen Episodenfilm gehört. Doch damit enden die eindeutigen Zuordnungen auch schon. „Finsterworld“ verweigert sich den Genres. Er ist Komödie, wenn die beiden leicht nerdig angehauchten Schüler Dominik (Leonard Scheicher) und Natalie (Carla Juri, „Feuchtgebiete“) ihre Macho-Mitschüler vorführen oder die gesamte Klasse vom Lehrer (Christoph Bach) nicht von der Ernsthaftigkeit des Ausflugs zu überzeugen ist. Er ist satirisch, wenn der Durchschnittsdeutsche in überzeichneten Darstellungen ein ums andere Mal sein Fett abbekommt, und grotesk, wenn Franziska erfährt, „was“ ihr Freund ist, und die Seniorin im Altenheim hinter das Geheimnis von Claudes wunderbaren Keksen kommt. Und er ist nur schwer zu ertragen, wenn die Dinge gegen Ende ihren unheilvollen Lauf nehmen. Wenn die Autoren manchen Charakteren dann mit gewaltiger Boshaftigkeit begegnen, dann ist die Schwarze Komödie vielleicht am Nächsten an dem dran, was „Finsterworld“ im Innersten ist.
„Finsterworld“ ist so wunderbar undeutsch, weil er sich nicht mit ewig langen Dialogen aufhält, in denen die Charaktere sich erklären. Und weil er sein Publikum nicht mit irgendeiner Moral belästigt, sondern einfach ist, was er ist – ein Werk, das für sich steht und der individuellen Verarbeitung freigegeben ist. Sehr widersprüchliche Empfindungen nach Verlassen des Kinos sind dabei sehr wahrscheinlich. Dass einige Entwicklungen gegen Ende vorherzusehen sind, lässt sich verkraften – auch in Anbetracht des groß aufspielenden Schauspielerensembles.
Neuen Kommentar hinzufügen