The Father

Jahr
2020
Laufzeit
97 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 26. August 2021

Eigentlich mache ich doch viel lieber ein Nickerchen – das dachte sich Sir Anthony Hopkins während der diesjährigen Oscar-Verleihung und verschlief in seiner Heimat Wales mal eben die Auszeichnung zum besten Hauptdarsteller. Das dürfte allerdings selbst bei bequemsten Kinosesseln den meisten Zuschauern in „The Father“ nicht passieren. Der französische Regiedebütant Florian Zeller wählt nämlich eine ziemlich faszinierende Herangehensweise, um das Publikum in den Kopf seiner Hauptfigur zu transportieren. Und auch wenn es etwas dauert bis das Demenzdrama so richtig emotional an Fahrt aufnimmt, avanciert „The Father“ am Ende nicht nur dank Hopkins zu einer berührenden Auseinandersetzung mit einer unbarmherzigen Krankheit.

Dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht mehr topfit sein soll, grenzt dabei für Anthony (Anthony Hopkins, „Das Schweigen der Lämmer“, „Die zwei Päpste“) schon fast an eine Beleidigung. Er kann es nicht nachvollziehen, dass seine Tochter Anne (Olivia Colman, „The Crown“, „No turning back“) immer wieder neue Betreuerinnen für ihn anstellen möchte. Doch als immer wieder fremde Leute in seiner Wohnung auftauchen, auf mysteriöse Weise Dinge verschwinden und seine Tochter sich immer merkwürdiger zu verhalten scheint, beginnt Anthony langsam an seinem eigenen Verstand zu zweifeln.

Nein, das Thema Demenz ist nun wirklich nicht die Hauptzutat für ein Feel-Good-Movie – vor allem nicht, wenn das Thema mit so einer nüchternen Schonungslosigkeit angegangen wird wie in „The Father“. Wie schon im ähnlich gelagerten „Still Alice“ geht es dem Film vor allem darum, das Seelenleben der betroffenen Person für das Publikum erlebbar zu machen. Und vieles, was wir in unserer damaligen Kritik zu „Still Alice“ positiv hervorgehoben haben, trifft auch auf „The Father“ zu. Schonungslos konsequent, ohne unnötige Melodramatik und getragen von einer beeindruckenden Schauspielleistung (für die damals auch Julianne Moore einen Goldjungen in die Hand gedrückt bekam) gelingt hier ein weiteres feinfühliges Porträt eines bewegenden Einzelschicksals.

Ein gravierender Unterschied zwischen den beiden Filmen ist aber, dass Anthony sich seiner eigenen Krankheit nie wirklich bewusst ist. Eine Tatsache, die viele Szenen in einem umso tragischeren Licht erscheinen lässt und selbst für einen Könner wie Hopkins durchaus eine schauspielerische Herausforderung darstellt. Doch auch im hohen Alter legt Hopkins eine wahre Meisterleistung hin und zeichnet das feinfühlige Porträt eines Mannes, der seinen eigenen Sinnen nicht mehr trauen kann und der verzweifelt versucht, sein eigenes Wahrnehmungsgerüst (und damit sein Leben) irgendwie zusammenzuhalten. Und wenn es nur mit der Hilfe einer einfachen Uhr ist.

Es ist faszinierend zu beobachten, wie seine Figur die eigene Hilflosigkeit in manchen Situationen mit Humor und in manchen mit purer Wut zu kaschieren versucht. Es ist dabei Hopkins' nuancenreichem Spiel zu verdanken, dass Anthony trotz seiner starken Stimmungsschwankungen nie ins Melodramatische abdriftet oder gar droht die Bindung zum Publikum zu verlieren.

Der Großteil der Bühne mag Hopkins gehören, doch einige der emotionalsten Momente gelingen dem Film erst in dessen Zusammenspiel mit Olivia Colman als Anthonys Tochter. Auch diese versucht verzweifelt irgendwie ihr Leben zusammenzuhalten, in dem ihr Vater für sie zu einer nahezu unerträglichen Last geworden ist. Doch manchmal blitzt ihre alte Liebe zum Vater wieder auf und in diesen oft nur kurzen Szenen gelingt es Colman wundervoll die ganze Tragik der Situation noch mal auf eine höhere emotionale Stufe zu heben.

Allerdings gelingt dem Film auch nicht alles. Bei den Nebenfiguren wirkt Annes Lebenspartner Paul (Rufus Sewell) deutlich holzschnittartiger gezeichnet und die daraus resultierenden Konflikte etwas zu stark forciert. Wobei, ist Paul überhaupt Annes Lebenspartner? Das ist nämlich gar nicht so eindeutig und da kommen wir jetzt auch zum eigentlichen Clou des Films. Um uns in den Kopf von Anthony zu transportieren, spielt der Film nämlich immer wieder mit der Zeitebene, lässt Figuren scheinbar durch unterschiedliche Schauspieler porträtieren und sorgt auch mit ständig wechselnden Sets für Verwirrung. Oft weiß das Publikum nicht, in welcher Wohnung man sich nun gerade befindet, wie manche der Figuren da überhaupt hingekommen sind und wie das alles hier überhaupt nun zeitlich einzuordnen ist.

Und so ist man in vielen Szenen eben genauso verwirrt wie Anthony, weil man auch als Publikum das Gefühl hat hier seinen eigenen Sinnen nicht wirklich trauen zu können. Das ist auf der einen Seite ein großartiger Einfall, da man so tatsächlich die Verwirrung von Anthony viel besser nachvollziehen kann. Es hat allerdings auch den Nachteil, dass man oft damit beschäftigt ist Fäden verbinden zu wollen für die es keine wirklichen Anknüpfungspunkte gibt. So beschäftigt der Film lange Zeit den Kopf des Zuschauers deutlich mehr als das Herz. Und so werden manche Szenen etwas ihrer potentiellen emotionalen Wucht beraubt, da man als Publikum oft nicht einschätzen kann ob das gerade gesehene auf der Leinwand nun überhaupt real ist.

So hat dieser wundervolle Kniff von Regiedebütant Florian Zeller, der für das adaptierte Drehbuch ebenfalls einen Oscar gewann, bei aller Genialität leider auch ein paar spürbare Nachteile. Und auch wenn man uns gegen Ende ein paar nachträgliche Erklärungen für manche Szene bietet, bleibt doch das Gefühl, dass hier in Sachen Emotionalität in der ersten Hälfte des Films noch etwas mehr drin gewesen wäre. Lange Zeit wirkt der Film schon sehr verkopft. Und man merkt „The Father“ angesichts des reduzierten Settings und der spontan auftauchenden Figuren auch die Herkunft als Theaterstück schon sehr deutlich an.

Glücklicherweise gelingt es aber den Darstellern, allen voran natürlich Hopkins, den Film in der zweiten Hälfte auch für das Publikum zu einer echten Herzenssache zu machen. So steuert man dann hier zielsicher und schonungslos auf das konsequente Ende hin, bei dem Hopkins' Darbietung nun wirklich jedem Zuschauer die Tränen in die Augen treiben dürfte (und seinen deutschen Synchronsprecher auch spürbar etwas überfordert, weswegen wir hier ausdrücklich die englische Version empfehlen möchten).

Man sagt ja immer, dass Kino dann am Besten ist, wenn es uns erfolgreich in eine fremde Welt entführt. Dies gelingt „The Father“, vor allem dank Hopkins, auf seine ganz eigene Art und Weise. Wer also bereit ist, nach dem Kinobesuch auch einmal nachdenklich den Nachhauseweg anzutreten, dem kann man diese bewegende Reise nur wärmstens empfehlen. 

Bilder: Copyright

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