
Der Film
Deutschland
in den 70er Jahren. Eine Gruppe Jugendlicher bricht in Banken ein
und raubt Geld. "Enteignungsaktionen" nennen sie diese Überfälle,
alles geschieht nur, um dem Kapitalismus zu trotzen. Aber aus der
heiteren Anarchie wird bald bitterer Ernst: Um Gerechtigkeit walten
zu lassen, sehen Rita Vogt (Bibiana Beglau) und ihre Freunde - alle
Anfang 20 - keinen anderen Ausweg mehr als den Terrorismus.
In der Tagesschau werden von nun an regelmäßig Fahndungsaufrufe
gesendet. Ritas Foto taucht in Westdeutschland auf Plakaten auf.
Also setzen sich die jungen Erwachsenen ins Ausland ab. Aber ob
in Paris oder Beirut, nirgends scheinen die Terroristen wirklich
sicher. Das einst so lustige Zigeunerleben wird zur ständigen
Flucht voller Mißtrauen. Die Nerven liegen blank, Rita schießt
einen Polizisten an. Die Lage scheint immer auswegloser, und dann
bleibt nur noch eine Möglichkeit: Untertauchen in der DDR.
Das aufregende aber kriminelle Leben gegen das eines braven Musterbürgers
eintauschen. Ein nicht sehr verlockender Gedanke.
Weil
aber auch ihre Liebe zu Andi (Harald Schrott) zu Ende ist, nimmt
Rita das Angebot an. Mit Hilfe der Staatssicherheit, personifiziert
in Erwin Hull (Martin Wuttke), beginnt für sie dort eine neue
Existenz. Rita führt das normale Leben der Arbeiterklasse,
lernt ihre neue Biografie auswendig, ändert ihren Namen. Und
sie schließt eine Freundschaft mit ihrer alkoholsüchtigen
Kollegin Tatjana (Nadja Uhl).
Aus Angst, erkannt zu werden, muss Rita dann aber erneut untertauchen.
Ihre dritte Identität annehmen. Und da lernt sie einen Mann
kennen: Den Studenten und Rettungsschwimmer Jochen (Alexander Beyer).
Er will sie mitnehmen nach Moskau. Doch dann wird Rita von ihrer
Vergangenheit eingeholt, es ist das Jahr 1989 - die Mauer fällt,
die DDR hört auf zu bestehen. Und somit gibt es auch keinen
Schutz mehr für die Terroristen.
Auch
wenn die Namen RAF und Stasi in diesem Schlöndorff-Film nie
auftauchen, ist klar, worum es hier geht. Die Geschichte ist wahr,
sie fand vor über zehn Jahren ihr Ende. Gerade für die
Kinogeneration zwischen 14 und 25 jedoch wird der Film ein Kapitel
deutscher Geschichte porträtieren, das weitgehend an ihnen
vorübergegangen ist: Die Zeiten der RAF wurden nicht im Geschichtsunterricht
durchgenommen. Und gerade hier hakt es im Film einige Male: So einfach
man der Geschichte auch folgen kann, versteht man den tieferen Sinn
doch nur mit einem gewissen Maß an Grundwissen, das wohl leider
nicht alle Besucher haben. Und das merkt Schlöndorff auch bei
der Münchner Vorpremiere, als ihm einige Fragen gestellt werden,
mit denen er nicht gerechnet hat, wie zum Beispiel "Warum hat die
Stasi die Terroristen versteckt?" Dass es da um eine Mischung aus
Faustpfand und "Feind des Feindes" ging, wird nicht näher erläutert.
Ganz klar dagegen ist die Tatsache, dass der Zuschauer sofort Sympathie
empfindet für Rita. Sie ist stark und verletzlich zugleich,
hat Ideale und erlebt Enttäuschungen. Und dieses Mädchen
steckt man in die graue, triste DDR.
Es ist ein bedrückendes Bild, das da gezeichnet wird. Von jungen
Menschen, die wenn nötig auch über Leichen gehen. Schlöndorff
wird seither wieder auf seine politisch motivierten Filme der 70er-Jahre
angesprochen, wie "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Und doch
ist es diesmal etwas anderes: Der Film wirkt oft wie eine Karikatur
des Ostens, der Stasi, der Biederkeit. Da fahren Mädels mit
Trabbis gegen Bäume, klauen Alkohol und leben in Plattenbauten.
Wenn man den Film allerdings nicht als Dokumentation sieht, sondern
ihn eher als Anstoß versteht, mehr über diese Zeit nachzulesen,
dann hat "Die Stille nach dem Schuß" sein Ziel durchaus erreicht.
Die Filmemacher über "Die Stille nach dem Schuß"
Ein ganzes Kapitel deutscher Geschichte will Volker Schlöndorff
in seinem neuen Film "Die Stille nach dem Schuß" zeigen. Auf
einigen Festivals und bei Vorpremieren war der Film über die
westdeutschen RAF-Terroristen, die bis zur Wende in der DDR versteckt
wurden, schon zu sehen. So auch im Münchener City-Kino, wo
Schlöndorff mit seinen zurückhaltenden Hauptdarstellern
Bibiana Beglau und Alexander Beyer nach der Vorführung Rede
und Antwort stand.
Insgesamt wurde "Die Stille nach dem Schuß" mit einem sehr
jungen Team aus Babelsberg und Umgebung gedreht, erzählt Schlöndorff.
Und: Er habe die Hauptrollen unbedingt mit Unbekannten besetzen
wollen. Doch die Suche gestaltete sich schwierig. Kurz bevor er
ernsthaft daran dachte, namhafte Schauspieler zu engagieren, besuchte
Schlöndorff die Theaterproduktion Disco Pigs in Berlin, und
da sah er sie: Bibiana Beglau. Die 28jährige sei eine Wiedergeburt
der Angela Winkler, schwärmt Schlöndorff, und er habe
sich sofort in sie verliebt. Rein platonisch, versteht sich. Und
so bekam die natürlich und schüchtern wirkende Bibiana
die Hauptrolle der Terroristin Rita Vogt. In die Figur konnte sie
sich gut hineinversetzen. Immerhin habe die Rita etwas, woran sie
selbst glaube: "Sie steht morgens auf und denkt, sie kann vielleicht
ein bißchen was bewegen in der Welt", so Bibiana.
Alexander Beyer (bekannt aus "Sonnenallee") habe man bei einem Open
Call Casting entdeckt, und auch er scheint für Schlöndorff
die perfekte Besetzung des Geliebten von Rita Vogt zu sein. "Das
sieht man sofort, er sieht zum Verlieben aus. Man nimmt ihm aber
auch ab, dass er Atomphysiker sein könnte", so Schlöndorff
mit einem Augenzwinkern. Er sah sich zur Vorbereitung auf die Dreharbeiten
mit Bibiana Dokumentarfilme und DDR-Hitparaden an.
Die Hauptfigur Rita Vogt ist stark angelehnt an die ehemalige RAF-Terroristin
Inge Viett, die bis 1997 im Gefängnis saß. Drehbuchautor
Wolfgang Kohlhaase hatte sie im Knast besucht und Interviews mit
ihr geführt. Der große Unterschied: Viett war damals
bei ihrer Verhaftung schon über 40 Jahre alt, die Darsteller
in Schlöndorffs Film sind Anfang 20. "Sie haben das Leben noch
vor sich, das wollten wir zeigen", erklärt der Regisseur.
Zu dem entstandenen Film hat sich Inge Viett "halb bis ganz ablehnend"
gezeigt, so Schlöndorff. Es gab urheberrechtlliche Querelen,
die allerdings mittlerweile geklärt sind. Viett kritisierte,
Schlöndorff habe ihre Lebensgeschichte geplündert, ohne
die Stoffrechte zu erwerben. Dass Viett sich nicht korrekt porträtiert
sind, findet Schlöndorff verständlich. "Sie hat es gelebt,
ich habe es nur inszeniert". Und: "Ich glaube nicht an True Stories.
Wenn man einen Spielfilm macht, muss man lügen - um der Wahrheit
willen", erklärt er. Nicht umsonst erscheint am Ende des Filmes
der klassische Satz: "Alles ist so gewesen. Nichts ist genau so
gewesen". Man habe nicht Inge Viett porträtiert, sondern viele
RAF-Terroristen in einer Rolle zusammengefasst, heißt es.
Vietts Urteil über den Film ist klar: Sie bezeichnete ihn als
"erschreckend schlecht", als "albern und unseriös".
Auch wenn Schlöndorff sich mit seinen Filmfiguren nicht identifizieren
kann, verbindet ihn doch etwas mit diesen Menschen. "Ich hätte
den Film nie gemacht, wenn ich nicht die Bewunderung für diese
Menschen hätte", sagt er.
Neben dem Terrorismus ist ein zweites Thema nicht zu übersehen:
Die DDR. Schlöndorff zeigt eine DDR, wie sie Wessis wohl kaum
gekannt haben. Er zeigt das Alltagsleben in den Plattenbauten, das
triste Arbeitsleben in Fabriken, die Grillfeste der Stasi. Oft wirken
die Details überzeichnet und klischeehaft. Der Film wirkt nahezu
museal, denn diese Welt - so meint man - gibt es seit zehn Jahren
nicht mehr. "Einerseits hat sich alles geändert. Aber es gibt
noch alles, wenn man sucht", erklärt Schlöndorff. Keine
Sekunde des Films sei im Atelier entstanden, man müsse nur
ein wenig unter der Oberfläche kratzen, und schon finde man
alte Dekorationen und Menschen wie früher. Zum Beispiel die
Firma Modedruck Gera oder die Wagonbaufirma Halle, die in ihrer
altmodischen Scheußlichkeit fast schon wieder sympathisch
wirken. Dazu noch eine große Prise Stasi-Spitzelei, Armut,
Dreck und Biederkeit. Schlöndorff spricht vielen Zuschauern
aus der Seele, wenn er sagt: "Ich hätte in diesem Staat nicht
leben wollen und bin froh, dass er weg ist."
Bei der Berlinale 2000 bekam der Film als offizieller Wettbewerbsbeitrag
den "Silbernen Bären" für die Hauptdarstellerinnen Bibiana
Beglau und Nadja Uhl sowie den Preis für den Besten Europäischen
Film.
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