Kriegsdarstellungen gibt es im Kino zuhauf: Sei es in Francis Ford Coppolas Exzess-Trip „Apocalypse Now“ oder im 2019 erschienenen „1917“ von Sam Mendes – eine gewisse Begeisterung an den Schrecken des Krieges lässt sich mit Blick auf die Filmgeschichte nicht leugnen. Kriegsfilme sind also immer mit einer Doppelmoral verbunden: Der möglichen Notwendigkeit einer filmischen Aufarbeitung von Kriegen und bewaffneter Konflikte – beispielsweise, um vergessene Einzelschicksale sichtbar zu machen – steht immer auch eine ausbeuterische Schaulust gegenüber. Daraus ergibt sich eine interessante Fragestellung: Können die Schrecken des Krieges Teil eines Films sein, ohne die visuelle Schaulust zu befeuern? Gibt es so etwas wie einen „Antikriegsfilm“ überhaupt?
Eine nahezu perfekte Antwort auf diese Frage bietet ausgerechnet ein Klassiker des Animationskinos. Mit „Die letzten Glühwürmchen“ veröffentlichte der japanische Regisseur Isao Takahata im Jahr 1988 einen der zugleich behutsamsten als auch emotional eindringlichsten (Antikriegs-)Filme aller Zeiten. Erschienen unter Aufsicht von Hayao Miyazakis Studio Ghibli („Prinzessin Mononoke“, „Das wandelnde Schloss“) orientiert sich der Film inhaltlich lose an der autobiografischen Kurzgeschichte „Das Grab der Leuchtkäfer“ von Akiyuki Nosaka von 1967, welche – basierend auf persönlichen Erlebnissen – die schreckliche Realität der japanischen Spät- und Nachkriegszeit schildert.
Zeitlich ist der Film in der Schlussphase des zweiten Weltkriegs situiert, kurz vor der Kapitulation Japans. Erzählt wird die Geschichte des vierzehnjährigen Seita und seiner vierjährigen Schwester Setsuko. Nach dem Tod der Mutter, welche einem Bombenangriff auf die japanische Hafenstadt Kobe zum Opfer fällt, sind die beiden Kinder auf sich alleine gestellt und müssen nun im zerstörten Japan um ihr Überleben kämpfen.
Takahata zeigt mit „Die letzten Glühwürmchen“ ungeschönt und schonungslos, welche weitreichende Folgen der Krieg für die unbeteiligten und unschuldigen japanischen Zivilist*innen hatte. Dabei wird die Geschichte, Ghibli- und Miyazaki-typisch, aus der Sicht von Kindern bzw. Jugendlichen erzählt. Im Gegensatz zu den anderen Genrevertretern nutzt „Die letzten Glühwürmchen“ den naiven Blick des Kindes dabei aber nur ganz selten, um in eine Fantasiewelt zu flüchten. Während Anime-Meisterwerke wie „Chihiros Reise ins Zauberland“ oder „Mein Nachbar Totoro“ beinahe vollständig aus einer kindlichen Vorstellungskraft zu entspringen scheinen, wird das Publikum in „Die letzten Glühwürmchen“ mit der erbarmungslosen Realität konfrontiert. Dadurch wirken die wenigen Fantasiemomente wie friedliche Ruhepole, die jedoch nur von sehr kurzer Dauer sind, was die Tragik der Situation nur noch mehr bestärkt. So wird erst gar nicht versucht, eine Heldengeschichte zu erzählen und auch große Charakterentwicklungen sucht man vergebens. Stattdessen gewährt Regisseur Takahata einen Einblick in das Leben zweier kriegsgeschädigter Kinder – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
"Die letzten Glühwürmchen“ bleibt in seiner Erzählung jederzeit konsequent und ist – vor allem für das Genre des Animationsfilms – von einem ungewohnt eindringlichen Ernst geprägt. Was Takahatas filmisches Werk jedoch entscheidend von anderen Antikriegsfilmen abhebt, ist die unglaubliche Feinfühligkeit, die dem 93-minütigen Anime innewohnt: Takahata schafft es durch scheinbar beiläufige, kurze Szenen, die liebevolle Beziehung der Geschwister mit einer ergreifenden Ehrlichkeit abzubilden, was regelmäßig zu Tränen rührt. So sind es Momente wie das ausgelassene Spielen am Strand oder das friedliche, stille Beobachten von Glühwürmchen, die durch die behutsame Inszenierung und den erzählerischen Kontext große emotionale Tiefe besitzen.
Vor allem die Darstellung der kleinen Setsuko brennt sich dabei ins Gedächtnis ein: Als gerade einmal vier Jahre altes Kind versteht Setsuko noch nichts von politischen Konflikten und menschlicher Gewalt. Sie sieht die Welt mit einem naiven und unschuldigen Blick, der ihr dabei hilft, mit der scheinbar aussichtslosen Situation klarzukommen. Setsukos Perspektive verleiht dem Filmgeschehen immer wieder einen fast schon fröhlichen Unterton, der eine spannende Ambivalenz entstehen lässt.
Obschon der großartige Soundtrack von Michio Mamiya starke Emotionen hervorruft, driftet „Die letzten Glühwürmchen“ zu keinem Zeitpunkt ins Kitschige ab. Eine Leistung, die in Anbetracht der skrupellosen Prämisse ein ganz besonderes Feingefühl verlangt. Takahata unterstreicht mit „Die letzten Glühwürmchen“, welche cineastische und erzählerische Kraft im Animationskino steckt. Die – in vielen Fällen – von der Realität losgelöste Visualität des Animationskinos steht in keiner Weise im Widerspruch zur Darstellung echter Geschichten und zum Ausdruck echter Emotionen, ganz im Gegenteil: Oftmals dient der visuelle Spielraum dazu, den emotionalen Kern der Geschichte auf effektive Art und Weise herauszuarbeiten.
Zwar entspricht „Die letzten Glühwürmchen“ optisch nicht mehr den heutigen Animationsstandards, dennoch schafft es der Film auch aus heutiger Sicht, den (Über-)Lebensalltag von Kriegsbetroffenen ungemein einfühlsam und fast schon unerträglich realitätsnah abzubilden. Der Film zeigt Bilder, wie man sie im Kino in einer solchen Kraft nur sehr selten zu sehen bekommt. „Die letzten Glühwürmchen“ ist somit nichts weniger als ein zeitloses Meisterwerk des Animationskinos, das in den mittlerweile mehr als 30 Jahren seit seiner Entstehung nichts an Aktualität und Wirkung verloren hat. Takahatas Klassiker lässt das Publikum überwältigt, sprachlos und (mit Sicherheit) mit einigen vergossenen Tränen zurück und sollte schleunigst in jede Filmsammlung aufgenommen werden, in der er noch fehlt.
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