Chihiro und ihre Eltern ziehen aufs Land. Auf der Fahrt kommt die Familie jedoch vom Wege ab und landet schließlich in einer fremden Landschaft. Diese scheint verlassen zu sein, obwohl sich dort viele reich gedeckte Tische befinden. Chihiro fühlt sich unwohl und versucht ihre Eltern zur Umkehr zu überreden, aber diese machen sich bereits über die leckeren Speisen her und beginnen kurz darauf merkwürdig zu grunzen - sie haben sich in Schweine verwandelt. Nun ganz auf sich allein gestellt, sucht das junge Mädchen nach Hilfe und landet schließlich in einem riesigen Badehaus für Geister und Götter, dass von der gestrengen Chefin Yubaba geführt wird. Hier findet Chihiro zunächst einmal Arbeit und dann auch Verbündete, die ihr helfen sollen ihre Eltern wieder zurück zu verwandeln. Dabei stößt sie auf die merkwürdigsten Gestalten, auf Götter und Monster und muss schnell lernen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.
Eine zugegeben recht kurze Inhaltsangabe für einen sehr komplexen Film, doch auch eine ausführlichere Beschreibung der Geschehnisse im "Zauberland" könnte nur einen unzureichenden Eindruck davon vermitteln, was diesen Film zu so einem faszinierenden Erlebnis macht. Im Gegenteil: Es steht zu befürchten, dass die Erwähnung von sich in Schweine verwandelnden Menschen oder gigantischen Schleimwesen den unbedarften Zuschauer vielleicht sogar eher abschrecken könnte, sich diese etwas andere Art von Zeichentrickfilm anzuschauen. Dass das aber ein Fehler wäre beweisen nicht zuletzt die wirklich bedeutenden Preise, die "Spirited Away" in den letzten Monaten eingestrichen hat: Der "Goldene Bär" bei den Berliner Filmfestspielen beispielsweise und natürlich vor allem der Oscar für den besten Animationsfilm, gegen alle Konkurrenz der großen amerikanischen Studios. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Film in seinem Heimatland Japan auch noch ein überwältigender Publikumserfolg war, der alle Einspielrekorde geradezu pulverisiert hat, dann kann man eigentlich nur einen Schluss ziehen: Es muss etwas ganz Besonderes dran sein, an diesem sehr ungewöhnlichen Film.
Ganz unvorbereitet trifft er das westliche Publikum allerdings auch wieder nicht, denn spätestens mit seinem letzten Werk "Prinzessin Mononoke" hat Japans Kultregisseur Miyazaki auch bei uns schon gewaltig Eindruck und sich viele neue Freunde gemacht. Im Vergleich zur relativ klar und stringent erzählten Abenteuergeschichte von "Mononoke" - die nur im letzten Viertel etwas zu sehr in einen wilden Mix aus Fantasy, Religions- und Ökofabel abdriftet - bietet uns "Spirited Away" jedoch eine sehr reduzierte dramaturgische Handlung und dafür ein Mehr an Schauwerten und bizarren Einfällen sowie deren Möglichkeit der Interpretation.
Dient das Zauberland und dabei vor allem der Mikrokosmos des Badehauses als verzerrtes Spiegelbild der heutigen (nicht nur japanischen) Gesellschaft? Werden die Eltern für ihre maßlose Völlerei bestraft und ist der hilflose Versuch des "Gesichtslosen", sich mit Geldmünzen Sympathien zu kaufen, verachtenswert und führt daher zwangsläufig zur Katastrophe? Solche Fragen drängen sich dem erwachsenen Zuschauer immer wieder auf, ohne dass sie auch nur einmal im Film direkt gestellt werden. Miyazaki "zeigt" hier nur, er fragt und erklärt nichts direkt. Der Einfallsreichtum mit dem er dabei zu Werke geht sorgt ein ums andere Mal für Staunen und Begeisterung. So ist das große Badehaus - mit seinen vielen Stockwerken und Räumen und vor allem seinen Bewohnern und Besuchern - ein äußerst beeindruckendes Konstrukt, in dem man sich als Zuschauer wahrscheinlich stundenlang verlieren könnte.
Und wie es ein sehr guter Film tun sollte, wirkt "Spirited Away" dabei auf zweierlei Art: Einerseits als gesellschaftliche Parabel mit den Mitteln eines äußerst fantasievollen Märchens, andererseits eben auch einfach "nur so" - als spannende Unterhaltung mit guten oder manchmal eher bösen Figuren, mit erschreckenden Göttern und niedlichen Tierchen (eine besondere Erwähnung verdienen dabei die ganz entzückenden, mal fleißigen, mal extrem faulen Kellerarbeiter mit dem einprägsamen Namen "Makurokurosuke"). Jedes Kind kann sich dabei problemlos mit Chihiro identifizieren, mit ihr Staunen oder sich ängstigen und an ihrer Verzweiflung teilhaben. Was den Film dabei angenehm vom perfekt animierten westlichen Mainstream unterscheidet ist seine absolute Unvorhersehbarkeit, selbst für erfahrene Kinobesucher. Man weiß wirklich nie was oder wer als nächstes kommt und eben auch nicht genau, wie er sich verhalten wird. Für all diese Schilderungen nimmt sich Miyazaki dann auch wieder über zwei Stunden Zeit und das ist auch gut so. Denn hier ist ein Mehr an Laufzeit auch tatsächlich ein "Mehr" an Ideen und Eindrücken. Und für die Entwicklung der Hauptfigur Chihiro hin zu einem selbstbewussten Mädchen dem klar wird, dass alle ihre Handlungen auch Konsequenzen haben, auch absolut notwendig. Diese Entwicklung ist unverkennbar und zieht sich dann doch als roter Faden durch diesen großen Bilderbogen voller Überraschungen und Wunder.
Der deutsche Start von "Spirited Away" wurde lange verschoben, bis nun endlich auch das ganz normale Kinopublikum auf der großen Leinwand in den Genuss des Films kommen kann, wobei das "Zauberland" im deutschen Titel auch einen etwas harmloseren und braveren Film suggeriert als einen dann tatsächlich erwartet. Die "wahren" Anime- und Miyazaki-Fans haben sich sein aktuelles Werk schon längst auf speziellen Festivals angesehen oder als DVD-Import besorgt. Es ist zu hoffen, dass die (dank der zahlreichen Auszeichnungen) dem Film in der Zwischenzeit zu Teil gewordene Aufmerksamkeit dazu führt, dass diesmal vielleicht etwas mehr Menschen dazu bereit sind sich von einem japanischen Animationsfilm verzaubern zu lassen, als es sonst hierzulande der Fall ist. Selten hätte es nämlich einer so verdient.
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