Die Situation erinnert schon sehr an den "Untergang" vor vier Jahren. Ein bedeutendes deutsches Polit-Thema wird endlich in einer großen deutschen Kinoversion auf die Leinwand gebracht und sorgt schon anhand des gewählten Themas für reichlich Aufmerksamkeit und Diskussionen. Und beide Male ist es Bernd Eichinger mit seiner Constantin Film, der sich als treibende Kraft hinter der Produktion erweist. Es scheint also Eichinger vorbehalten zu sein, die großen Themen der neueren deutschen Geschichte nach seinem Gusto für ein breites Publikum aufzubereiten. Dass muss nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein, denn einerseits ist außer dem umtriebigen Münchener wohl kaum ein anderer hierzulande überhaupt in der Lage, solche Produktionen zu stemmen, und schließlich präsentierte er mit dem angesprochenen "Untergang" ein weithin anerkannt seriöses und kraftvolles Stück Kino.
Allerdings boten die 150 Minuten im Führerbunker dabei die Möglichkeit, eine ganz bestimmte Gruppe von Personen auf engstem Raum und in einem sehr genau definierten kurzen Zeitrahmen zu sezieren, was schließlich zu einem ausgezeichneten Charakterstück führte. Exakt diese 150 Minuten bekommt nun auch "Der Baader Meinhof Komplex" zugestanden und man darf davon ausgehen, dass dies wohl von Eichinger & Co. als die dem Normalzuschauer maximal zuzumutende Laufzeit angesehen wird. Jedoch umfassen die hier geschilderten Ereignisse nun ein komplettes Jahrzehnt und die Schicksale von mehreren Dutzend Personen. Und genau das ist das größte Problem des Films.
Es beginnt im Jahr 1967, mit Protesten gegen den Besuch des Schahs von Persien und der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Polizisten. Die Journalistin Ulrike Meinhof (Martina Gedeck) schreibt ihre Kolumnen im links gerichteten Magazin "Konkret" und ist fasziniert von der Konsequenz, mit der die rebellische Pfarrerstochter Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) und deren Freund Andeas Baader (Moritz Bleibtreu) nicht nur über die Verhältnisse reden, sondern aktiv handeln. Als Baader nach einem Brandanschlag auf ein Kaufhaus verurteilt wird, wirkt Meinhof aktiv an seiner Befreiung mit und geht anschließend selbst mit in den Untergrund. Die folgenden Jahre sind geprägt vom bewaffneten Widerstand und Anschlägen der "Rote Armee Fraktion" gegen den bundesdeutschen Staat und seine als faschistoid betrachteten Verbündeten. Doch bereits 1972 gelingt es den Ermittlern um den Chef des Bundeskriminalamts Herold (Bruno Ganz), die führenden Köpfe der Terroristengruppe festzunehmen. Während sich der Prozess gegen Baader, Meinhof und Ensslin in der Stuttgarter Haftanstalt Stammheim über Jahre hinzieht, versucht die so genannte "zweite Generation" der RAF mit immer blutigeren und brutaleren Anschlägen ihre Idole freizupressen. Im Herbst 1977 eskaliert schließlich die Lage, mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer und der Kaperung der Lufthansa-Maschine Landshut.
Die vier in dieser kurzen Inhaltsangabe namentlich genannten Personen sind im Laufe der Handlung die Einzigen, die eine Charakterisierung erfahren, welche diese Bezeichnung auch verdient. Das liegt angesichts der Fülle des zu bewältigenden Stoffes dann wohl in der Natur der Sache, ist aber natürlich ein Jammer angesichts des hier versammelten Darstellerensembles. Und man fragt sich daher fast zwangsläufig warum? Warum wollte/sollte/musste man für jede auch nur noch kurz auftauchende Figur unbedingt einen prominenten Darsteller finden, der dann für wenige Sekunden durchs Bild huscht? Und es ist dabei eben nicht nur der Name sondern vor allem das bekannte Gesicht, welches dann unnötigerweise die Aufmerksamkeit erhascht.
So heißt das erste Todesopfer auf RAF-Seite Petra Schelm, deren dramatisches Ende aber einem deshalb nur wenig nahe gehen kann, weil man sie vorher kaum gesehen hat und sie außerdem auffällig nach Alexandra Maria Lara aussieht. So fragt man sich auch weniger, was das wohl für ein merkwürdig verblendeter Typ ist, der da auf Rudi Dutschke schießt, sondern ob das nicht gerade Tom Schilling mit einem Ein-Minuten-Auftritt war. Und was bitte war hier die schauspielerische Herausforderung für Heino Ferch, den devoten Stichwortgeber des Cheffahnders zu geben? Was, außer dem Wunsch eben unbedingt in dieser Prestigeproduktion auch noch mit dabei zu sein?
Und es ist nicht nur ein "Best of" der deutschen Schauspielergarde, welches wir hier geboten bekommen. Genauso könnte man nämlich auch die einzelnen, aneinander gereihten Szenen nennen, wäre die Bezeichnung "Best of RAF" nicht aus anderen Gründen fragwürdig und unzulässig. Aber nach diesem Muster läuft es halt ab: Man nehme die historische Zeittafel, illustriere die Schlagzeilen machenden Ereignisse jener Tage mit kompetenten und akkuraten Bildern sowie fähigen Darstellern und verziere das Ganze dann zwecks der Erzielung größtmöglicher Authentizität noch mit einigen original Nachrichtenbildern oder Politikerreden. Und dann flugs weiter zum nächsten abzuhakenden Karteikärtchen.
Eine ungerechte Kritik vielleicht, denn wie hätte man es denn anders machen sollen? Die Frage ist berechtigt, aber sie beweist eben auch, dass es vielleicht gute Gründe gibt, warum es bisher noch niemand versucht hatte, die komplette Geschichte der RAF bis zum Ende ihrer ersten Generation in einem einzigen Kinofilm zu verarbeiten. Denn dafür gibt es einfach bessere Methoden und andere Ansätze. Sei es in Form einer Dokumentation oder zumindest eines Mehrteilers für das Fernsehen oder seien es auch die bisher für das Kino entstandenen Projekte, die sich stets nur auf einen Teil-Ausschnitt der RAF-Historie konzentrierten.
Auch wenn sein Film sich ein eigenwilliges Ende verpasst und mit der Festnahme bzw. der fiktionalen Erschießung Baaders endet, so bietet doch Christopher Roths "Baader" aus dem Jahr 2002 einen weit genaueren Einblick in die Frühzeit der RAF. Und wer sich intensiv mit dem Ablauf der Gerichtsprozesse auseinandersetzen will, dem sei der schon in den 80er Jahren entstandene "Stammheim" empfohlen, zu dem übrigens ein gewisser Stefan Aust das Drehbuch beisteuerte und der dementsprechend ebenfalls zu weiten Teilen auf dem Buch des Spiegel-Autors beruht. Hier haben wir aber nun also den ganzheitlichen Ansatz, das volle Paket, und es ist über weite Strecken die unvermeidliche Nummernrevue geworden. War das jetzt Christian Klar, bei der Ponto-Ermordung? Muss ja wohl, denn der war schließlich bekanntermaßen dabei, auch wenn er uns hier im Film noch nicht namentlich vorgestellt wurde.
Dieser Film beruht also offiziell auf dem Buch "Der Baader Meinhof Komplex" von Stefan Aust. Aber ganz ehrlich: Es handelt sich zum allergrößten Teil um eine Aneinanderreihung von allgemein bekannten Fakten, die man auch ohne eine Berufung auf die Buchvorlage im Grunde ganz genauso hätte inszenieren können.
Aber genug zu diesem Punkt, auch wenn es ein zentraler ist. Sehr viel anders konnte man es in der Tat nicht machen, wenn es denn nun ein großer Kinofilm werden sollte oder musste. Und die "Nummernrevue" ist auch keineswegs nur abfällig gemeint, denn es gibt auch Einiges was man Eichingers Film keinesfalls absprechen kann (es IST zweifellos Bernd Eichingers Film und ein weiteres seiner "Herzensprojekte", auch wenn er offiziell "nur" das Drehbuch verfasst und die Regie seinem alten Getreuen Uli Edel überlassen hat). Da ist zuallererst das Bemühen um einen Realismus in der Darstellung der Taten der RAF, der jeden Vorwurf von im Vorfeld befürchteter Verharmlosung oder Beschönigung deutlich entkräftet. Bei dem oft genauso planlosen wie brutalen Vorgehen der nicht anders als mit "Terroristen" zu bezeichnenden "Weltverbesserer" bleibt tatsächlich nur noch wenig Platz für irgendeine Identifizierung mit deren ursprünglichen sozialromantischen Idealen. Lasst es uns "hart durchziehen", heißt es bei der Vorbereitung der Entführung von Hanns Martin Schleyer und was folgt ist ein Blutbad, bei dem Fahrer und Begleiter des Arbeitgeberpräsidenten gnadenlos abgeschlachtet werden.
Da ist aber natürlich auch die famose Leistung derjenigen Darsteller, denen genügend Raum gegeben wird um ihre Charaktere auch mit Leben füllen zu können. Diese Leistungen reichen vom souveränen Bruno Ganz, der als weitsichtiger oberster Terroristenjäger fast sogar das Sympathiezentrum des Filmes bietet, über die soliden Darbietungen von Moritz Bleibtreu und Martina Gedeck, die aber beide etwas unter ihrer Bekanntheit leiden. Sei es dabei das "Gesicht" Bleibtreu, in dem man nun den leicht prolligen Bürgerschreck Andreas Baader suchen muss, oder die markante Stimme von Gedeck, die man nur schwerlich einer Ulrike Meinhof zuordnen mag. Die Sensation des Films in schauspielerischer Hinsicht ist aber ganz ohne Zweifel Johanna Wokalek ("Barfuß") als Gudrun Ensslin. Von der bei keiner der anderen Figuren erreichten, erstaunlichen äußerlichen Ähnlichkeit bis zur charismatischen Ausstrahlung des wohl am konsequentesten und gnadenlosesten für ihre Überzeugungen kämpfenden Mitglieds der RAF überrascht Wokalek hier mit der Intensität ihrer Darstellung - genauso faszinierend wie fast schon erschreckend.
Ein schwieriges Thema, zu dem sehr viele Menschen oft aus ganz persönlichen Gründen eine unterschiedliche Meinung haben, und ein Film, der bei seinem Versuch all die einzelnen Elemente und Aspekte eben dieses Themas zu bündeln, genauso schwer zu bewerten ist. Diese Besprechung hat sich dabei in erster Linie auf die Frage konzentriert, inwieweit nun "Der Baader Meinhof Komplex" als allein stehender Kinofilm funktioniert. Und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass dies eben nur sehr bedingt der Fall ist.
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