The Barretts of Wimpole Street

MOH (47): 7. Oscars 1935 - "The Barretts of Wimpole Street"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 19. März 2024

Nach dem wir letzte Woche den eher einfachen Worten des mexikanischen Nationalhelden Pancho Villa lauschen durften, ist es nun an der Zeit das Vokabular deutlich zu erweitern. In “The Barretts of Wimpole Street“ verbringen wir heute die Zeit an der Seite von Dichtern, Denkern und einem ziemlichen Arschloch.

The Barretts of Wimpole Street

Land
Jahr
1934
Laufzeit
109 min
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
6
6/10

Etwas hüftsteif und abgehoben aber stets eloquent – so stellt man sich ja gerne die Oberschicht des viktorianischen London des 19. Jahrhunderts vor. In dieser Hinsicht enttäuscht “The Barretts of Wimpole Street“ aus dem Jahre 1934 nicht und legt bei seinen Protagonisten sogar noch einen obendrauf. Schließlich dreht sich die Handlung hier um die Liebesbeziehung zweier von der Muse geküsster Poeten, weswegen uns hier gleich eine ganze Wagenladung an mit Metaphern gespickten und sorgsam ausformulierten Liebesbekundungen erwartet. Auf die Dauer wäre ein wenig mehr Handlung hier aber wünschenswert gewesen und so ist es am Ende vor allem das starke Schauspielensemble, dass ein frühzeitiges Einnicken des Publikums bei diesem Liebesdrama verhindert.

Als Vorlage für den Film dient dabei die wahre Liebesgeschichte zwischen der britischen Dichterin  Elizabeth Barrett (Norma Shearer, “The Divorcee“) und dem nicht minder poetisch begabten Robert Browning (Frederic March, “Liebesleid“). Deren gemeinsamem Glück stehen allerdings einige Hindernisse im Weg. Nicht nur ist Elizabeth seit mehreren Jahren mit einer schweren Krankheit ans Bett gefesselt, ihrem strengen Vater (Charles Laughton, “Das Privatleben Heinrichs VIII“) sind romantische Abenteuer auch ein ziemliches Dorn im Auge. Unter der strengen Fuchtel des Patriarchen leiden auch die sechs Brüder und zwei Schwestern von Elizabeth, die alle gemeinsam im Haus an der Wimpole Street leben. So muss auch die jüngere Schwester Henrietta (Maureen O'Sullivan) ihre Gefühle für den attraktiven Captain Surtees Cook (Ralph Forbes) tunlichst unter Verschluss halten.


Fast die komplette Handlung von “The Barretts of Wimpole Street“ spielt im luxuriösen Anwesen in der titelgebenden Strasse Londons. Und genauso klischeehaft wie man sich das Leben dort vorstellt läuft es auch ab. Die Männer stehen meist wie aus dem Ei gepellt am Kamin und diskutieren, die Frauen liegen elegant auf der Couch und philosophieren über die große Liebe und eine emsige Zofe versorgt alle mit dem dafür nötigen heißen Tee. All das unter den Adleraugen des herrischen und stets mürrisch daher schauenden Familienoberhaupts. Das ganze fühlt sich, nicht ganz überraschend, fast wie ein Theaterstück an. Wenig Schnitte, ruhige Kameraführung und genauso ausführlich wie inbrünstig vorgetragene Dialoge. Die nutzen konsequent die ganze Wortvielfalt der englischen Sprache und sind tatsächlich auch für sich genommen meist schön formuliert.

Am Ende ist aber die Menge das Problem, denn mit der Zeit häufen sich die Besuche von Robert bei Elizabeth während gleichzeitig aber die Handlung nicht wirklich voranschreitet. Stattdessen erklären die beiden sich zur Sicherheit lieber noch zum fünften Mal gegenseitig ihre Liebe und Gefühle füreinander. Da sind einem dann die vielen blumig-verschachtelten Sätze trotz eloquenter Formulierungen auf die Dauer dann doch etwas zu viel. Auch weil das angesichts der gestelzten Sprache eben halt nur bedingt emotional mitreißend wirkt. Dazu passt dann auch der Schauspielstil der meisten Darsteller und Darstellerinnen, der sehr theatralisch ausgelegt ist und gerade Elizabeth bei ihren Liebesbekundungen meist mehr in Richtung fiktiver Zuschauerränge als die Augen ihres Angebeteten blicken lässt.


Inhaltlich bewegt sich die Geschichte und ihre Charaktere dabei kaum voran und die einzige größere Nebenstory, die heimliche Liebe zwischen Henrietta und ihrem Captain, ist eigentlich eins zu eins eine Kopie des Konflikts der Haupthandlung. Was das Ganze aber etwas erträglicher macht ist die Stärke des Ensembles. Norma Shearer hat einfach eine enorme Leinwandpräsenz und auch die nötige Klasse, um selbst kitschige Momente relativ stilvoll abzufrühstücken. Frederic March wirkt zwar manchmal etwas gekünstelt forsch, sorgt aber damit in einigen langatmigeren Passagen zumindest für einen dringend benötigten Spritzer Energie im Raum. Und Maureen O'Sullivan (die einst die erste Jane an der Seite von Johnny Weissmüllers Tarzan spielte) bringt ebenfalls einen sympathischen Schuss Charisma mit an den Tisch.

Die einzige wirklich etwas komplexere Figur ist allerdings das Oberhaupt der Familie. Schon in “Das Privatleben Heinrichs VIII“ hatte Laughton ja eine unglaubliche Präsenz aufgebaut und das gelingt ihm auch hier wieder. Immer wenn er auftritt entsteht im Raum Spannung auch wenn viele Situation dann ähnlich ablaufen und die Kinder am Ende wieder einmal vor ihrem Vater zurückweichen. Vereinzelt lässt sich dabei erahnen, dass hinter dieser Figur noch viel mehr düsteres Potential schlummert als angesichts einer drohenden Zensur hier preisgegeben werden konnte (die Buchvorlage spielt mehrmals auf das Thema Inzest an).


Ein noch größerer Schuss Ambivalenz hätte dieser Figur und dem ganzen Film auf jeden Fall gut getan – trotzdem gibt Laughton einen gelungenen Antagonisten, der uns relativ schnell mit den restlichen Hausbewohnern identifizieren lässt. Das etwas abrupt wirkende Ende des Filmes, das uns eine große letzte Konfrontation zwischen Elizabeth und ihrem Vater leider vorenthält, wirkt in der Hinsicht dann aber etwas ernüchternd. So bleibt am Schluss ein Kammerspiel, dass ziemlich viel Geduld erfordert und einen leider nicht mit viel Substanz aber zumindest guten Darstellerleistungen belohnt.

"The Barretts of Wimpole Street" ist aktuell leider nicht als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film aber auf Youtube zu finden (Suchbegriff: “The Barretts of Wimpole Street 1934“).

 

Ausschnitt: Elizabeth erzählt von ihren Hochzeitsplänen.


Ausblick
In unserer nächsten Folge muss sich eine junge Dame zwischen ihrer Karriere als Opernsängerin und der großen Liebe entscheiden. Oder geht vielleicht sogar beides?

 


Hallo,
ich bin ein großer Fan dieser Reihe.

Beim lesen ist der heutigen Rezension ist mir aufgefallen, dass ich schon die ein oder andere verpasst habe.

Vielleicht könnte ihr die Reihe "Matthias' Oscar History"
verlinken, so das einem alle Kritiken dazu angezeigt werden und man immer mal schauen kann, ob man einen Titel verpasst hat.

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Antwort auf von Lulu

Hallo Lulu,

wenn du oben in der Menü-Leiste auf "Ansehen/Wiedersehen" klickst, findest du dort einen eigenen Punkt für die Oscar History. Dort sind alle veröffentlichten Texte aus der Reihe gebündelt aufgeführt. 

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