Alles endet im Delirium, im Wahn, ausgedörrt vom Durst, geschwächt vom Hunger und gargekocht von der schwülen Hitze des südamerikanischen Dschungels. Das große unheilige Abenteuer der Konquistadoren, die in der Neuen Welt im Namen des Herrn das Eldorado gesucht haben, das gepriesene Goldland aus den Mythen des 16. Jahrhunderts, ist beendet. Und dennoch, oder gerade deswegen, entwirft ihr Anführer eine wortgewaltige Vision kommender Herrlichkeit, die er mit dem blasphemischen und unvergesslichen Verdikt beschließt: "Ich bin der große Verräter. Es darf keinen größeren geben. Ich bin der Zorn Gottes. Die Erde, über die ich gehe, sieht mich und bebt. Ich bin der Zorn Gottes. Wer sonst ist mit mir?". In der totalen Katastrophe ist er am Ziel. In der Vernichtung erkennt er seine Bestimmung, im Scheitern erscheint ihm die Erfüllung. Kein leichter Stoff also, die Fieberwachträume dieses Don Lope de Aguirre, der nur noch die Wahl hat, zu verhungern, zu verdursten oder den kannibalistischen Eingeborenen zum Opfer zu fallen. Irgendwie wird die Wildnis ihn verschlingen. Und doch ergeht er sich lustvoll in Phantasien eines kommenden Weltreichs, von offenem Inzest und ungeheurem Ruhm. Nicht leicht zu verdauen ist aber auch die Inszenierung, die der Regisseur Werner Herzog und sein Aguirre-Darsteller Klaus Kinski der Geschichte abgerungen haben - denn von einem Ringen muss man angesichts des Drehorts im Amazonasdschungel und von der, vorsichtig gesagt, schwierigen Person des Hauptdarstellers zweifellos sprechen. Was für ein wohltuender Kontrast ist da doch die zwar nicht direkt glitzernde, aber doch immerhin sich im trüben Wasser des Amazonas spiegelnde Opernwelt der Dschungelstadt Manaus, ein paar hundert Jahre später. Aber im Grunde spielen sich hinter dieser Oase der Zivilisation immer noch dieselben Dramen ab wie ehedem, immer noch werden überhebliche Pläne geschmiedet und wider aller Vernunft verfolgt, immer noch versucht der Mensch, in diesem Fall Brian Sweeney "Fitzcarraldo" Fitzgerald, das Unmögliche - und scheitert. Aber er scheitert so ergreifend und grandios, dass am Ende sogar das nackte Überleben zum Triumph werden muss. Oder wie sonst soll man es bezeichnen, wenn Bellinis Opernarien und Verdis mächtige Chöre über die braunen Fluten schweben, wenn der Belcanto Italiens sich schließlich auch diesen hinterletzten Winkel der Erde untertan macht? Ein Triumph der Kunst über die Natur, kein Zweifel, egal was vorher war und was jemals nachher sein wird. Ein Triumph der Kunst sind auch Herzogs Filme, besonders "Aguirre" und "Fitzcarraldo", weil sich in ihnen kondensiert, was den Bayern Herzog zu einem der großen Kinoregisseure und den Berliner Kinski zu einem sehr bewunderten und etwas gefürchteten Schauspielerlebnis werden ließ, die dem deutschen Kino zwischen 1972 und 1987 Weltruhm bescherten. Sowohl "Aguirre" als auch "Fitzcarraldo" erzählen von der Realisierung des Unrealisierbaren. Im ersten Fall begleitet der Film die große spanische Expedition ins Innere des Amazonasbeckens, anno Domini 1560. Unter Führung des Konquistadoren Gonzalo Pizarro bricht eine buntscheckige Truppe mit Lamas, Marienbildern, Edelfräulein in Sänften, Dutzenden in Ketten gelegter Indios und einer Horde ruhmgieriger und goldgeiler Fußsoldaten auf - und mit Don Lope de Aguirre, dem wie getrieben dreinschauenden, blonden, bösen Geist und charismatischen Antreiber des Unternehmens. Als ein Spähtrupp auf der Suche nach dem Land aus Gold ausgeschickt wird, ist er dabei und putscht schon bald gegen den Anführer Pedro de Ursua (Ruy Guerra). Den fetten Ritter Fernando de Guzman (Peter Berling) lässt er zum Kaiser proklamieren: Das Kommando wird zu einer Aneinanderreihung von Absurditäten. Der "Prozess" gegen Ursua, der nicht sterben will oder kann und schließlich wie ein Stück Vieh an einem Baum aufgeknüpft wird, der mit großer Geste begangene Verrat an König Philipp II. von Spanien und die feierliche Inbesitznahme des sich ringsum ausbreitenden Sumpfs durch den "Kaiser" Fernando I. sind eine Beleidigung jeder Vernunft und bilden einen denkbar erbärmlichen Kontrast zur misslichen Lage, in der sich die Männer (und zwei Damen) bald befinden. In "Fitzcarraldo" dagegen verkörpert Kinski so etwas wie eine sympathische, wenn auch völlig in ihren irrwitzigen Plänen gefangene Figur. Brian Sweeney Fitzgerald ist schon mit einer Transanden-Eisenbahn gescheitert, und um das aktuelle Projekt Eisfabrik steht es auch nicht zum Besten. Bei seinem neuen Vorhaben geht es nun um nicht weniger als um die Aufgabe, ein komplettes Flusslinienschiff über einen Berg zu hieven, mit keinen technischen Hilfsmitteln als Äxten, Seilwinden und Muskelschmalz. Wozu dieser Irrsinn? Das ist eigentlich unerheblich, es geht um Geld, Profit aus dem Kautschukanbau, aber auch um die schönen Künste. Am Ende soll nämlich mitten im brasilianischen Urwald, im verschlafenen und mückenverseuchten Fischernest Iquitos, ein Opernhaus entstehen, im Zentrum der Einöde soll eine Dependance des alten Europa wachsen, eine Heimat in der Fremde: Der große Caruso selbst soll sie eröffnen. Apropos ergänzen: Herzog und Kinski waren ein Paar, für das der Begriff "kongenial" erfunden worden sein könnte. Kinski als Herzogs launisch-gewalttätig-irre Muse, Herzog als Kinskis Dompteur, der überhaupt erst das gewaltige Potenzial dieses Schauspieltiers zu bändigen und zu kanalisieren verstand - das Verhältnis der beiden schwankte zwischen tiefer Freundschaft und blankem Hass. "Mein liebster Feind" ist deswegen auch der alles sagende Titel des Dokumentarfilms von Werner Herzog, in dem dieser an den alten Drehplätzen Jahre nach Kinskis Tod dessen Mythos nachspürte und eben diesen Mythos damit doch nur weiter ausschmückte. Am Ende dieser anderthalb Stunden, in denen Herzog uns von München-Schwabing bis Peru führt, hegt man keinerlei Zweifel mehr, dass seine kühle Drohung damals völlig ernst gemeint war, er werde zuerst Kinski und dann sich selbst sofort erschießen, wenn der Hauptdarsteller nach einem seiner berüchtigten Wutanfälle das Set verlassen sollte. Eine besondere Rolle bleibt der Tonspur in den beiden Filmen zugewiesen. Im "Fitzcarraldo" trägt sie wesentliche Teile der Handlung, nicht nur im Stöhnen und Knarzen des gefolterten Schiffes, sondern vor allem mit Bellinis Opernarien, die der großartigen Idiotie des Iren sofort jede Berechtigung verschaffen - wer solche Schönheit in den Urwald transportieren will, dem darf und muss jedes Opfer recht sein. Im "Aguirre" dagegen ist der Ton der Dschungel. Es knackt und kreischt und gluckst und bricht und schreit ohne Unterlass; gesprochen wird kaum, nur das Allernötigste und dann auch noch zu großen Teilen aus dem Off. Entweder ist der Urwald tödlicher, sinnloser und nervenaufreibender Lärm, oder er ist ebenso zermürbende, drückende Stille. Wenn die Konquistadoren ihren Indiosklaven auffordern, mit der Panflöte die ohrenbetäubende Ruhe zu verscheuchen, ist das aber auch nicht besser: Die unmelodischen Stücke treiben die Gesandtschaft nur noch unerbittlicher in den Wahnsinn. Zwischen den beiden Extremen scheint es, wie auch für den Extremisten Aguirre, keinen Weg zu geben. Sieg oder Untergang, oder am besten beides zusammen. Zerstörung und Selbstzerstörung sind schließlich nicht mehr zu trennen. Mit "Aguirre" und "Fitzcarraldo" führten Herzog und Kinski das bundesrepublikanische Kino eigentlich überhaupt erst aus der provinzlerischen Muffigkeit heraus, die die Nachkriegszeit über die Kinosäle gelegt hatte: Da grünte die Heide mit Oberförster Rudolf Prack, auf dem Immenhof hopsten die backfischigen Mädels herum, ewig sangen die Wälder, in der Wachau wuchs der widerlich süßliche Wein, und der ebenso unvermeidliche wie unausstehliche Pepe Nietnagel war auch nie weit. Ach ja, die Trapp-Familie in Amerika. Einen perfekteren Export von 50er-Jahre-Spießigkeit über den großen Teich hat es wohl nie gegeben. Einzelne Lichtblicke der aufreibenden Arbeit an der furchtbaren jüngsten Vergangenheit (Bernhard Wickis "Brücke" sei erwähnt) mussten angesichts dieser Übermacht schnell aus dem Sichtfeld geraten. Und Rainer Werner Fassbinders immer leicht verquaste, wenn auch geniale Gesellschaftskritik betrieb schließlich vorwiegend die Selbstbetrachtung der deutschen Dinge nach der moralischen Katastrophe von Auschwitz. In "Mein liebster Feind" berichtet Herzog, noch nach fast dreißig Jahren sichtlich fasziniert, von einem Kniff, den Kinski selbst entwickelt habe: Mit ganz verdrehten Füßen neben der Kamera stehend, habe er es verstanden, sich von dort plötzlich in die Großaufnahme hineinzudrehen und seine Präsenz sozusagen explosionsartig zu entfalten. "Fitzcarraldo", besonders aber "Aguirre" sind die ganz gegensätzlichen Musterbeispiele dafür, dass ihr Darsteller eine solche Dominanz nicht nur technisch in den Kameraeinstellungen, sondern im ganzen Film, über 90 oder 120 Minuten hinweg aufzubauen und zu erhalten verstand. "Aguirre" ist überhaupt nur Kinski, und "Fitzcarraldo" ist zwar auch ein bisschen Claudia Cardinale, aber vor allem Kinski. Mit diesen beiden Filmen ist Klaus Kinski, der mit der Unwiderstehlichkeit eines Naturphänomens schauspielerte, das gelungen, was weder Don Lope de Aguirre noch Brian Sweeney Fitzgerald geschafft haben: unsterblich zu werden. |
Land
Jahr
1972
Laufzeit
92 min
Genre
Regie
Bewertung
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