Es war der erste große Blockbuster der aufgrund der Corona-Pandemie verschoben wurde und ist nun der letzte, der endlich im Kino startet. Die Erwartungshaltung schwankt dabei mittlerweile zwischen gigantisch hoch und einem Schulterzucken der Marke „Echt, der kommt nun doch noch?“. Ja, er kommt und nach Betrachten von „Keine Zeit zu sterben“ dürfte zumindest jedem klar sein, warum man solange gewartet hat und dieses Werk nicht an irgendeinen Streaming-Dienst verscherbeln wollte, wo er dann unspektakulär nach Lust und Laune abgerufen wird. Denn dieser Film stellt nicht nur das Ende der Daniel Craig-Ära dar, sondern zweifellos eine Zäsur innerhalb der ganzen Bond-Reihe. Hiernach ist es nicht möglich, einfach so weiter zu machen, sondern es stellt sich die grundsätzliche Frage, in welcher Form die Marke James Bond zukünftig überhaupt bestehen und weitergeführt werden kann.
Seit den Craig-Filmen ist man bei Bond ja auch zum linearen Erzählen gewechselt, alle Filme bauen inhaltlich aufeinander auf und so beginnt auch die aktuelle Story mit einem nochmaligen Rückblick auf den Verlust von Vesper Lynd aus „Casino Royale“. Gleichzeitig hat sich der Agent mit der Lizenz zum Töten mit seiner aktuellen Geliebten Madeleine (Lea Seydoux) in den pittoreseken italienischen Bergort Matera zurückgezogen. Nachdem er dort attackiert wird, stellt sich allerdings für Bond die Vertrauensfrage und er trifft die Entscheidung sich von Madeleine zu trennen und sich anschließend sogar für mehrere Jahre komplett zurückzuziehen.
Der MI5 zögert nicht seine Agentennummer 007 einfach neu zu besetzen und so ist es dann zunächst Nachfolgerin Nomi (Lashanna Lynch), die auf den Fall eines entführten Wissenschaftlers mit gefährlichem Wissen angesetzt wird. Doch auch Bond greift schließlich ein, allerdings im Auftrag seines alten Freundes Felix Leiter (Jeffrey Wright) und damit sehr zum Missfallen seines früheren Vorgesetzten M (Ralph Fiennes) quasi im Dienste der CIA. Um die Hintergründe einer immens gefährlichen Viruswaffe zu entschlüsseln gilt es allerdings das Mastermind hinter der Aktion zu enttarnen, und dafür benötigt man Informationen vom SPECTRE-Anführer Blofeld (Christoph Waltz), der aktuell im Hochsicherheitsgefängnis sitzt und zu dem praktisch niemand Zugang hat – außer ausgerechnet Madeleine Swann, und so kommt es zu einem pikanten Wiedersehen mit dramatischen Folgen.
Die James Bond-Reihe hat sich schon sehr weit entfernt vom klassischen Muster, das über Jahrzehnte als unantastbar galt. Ein größenwahnsinniger Schurke, die Hatz zu exotischen Schauplätzen rund um die Welt, die guten und bösen Frauen die auf dem Weg von 007 verführt werden oder ihn verführen – das alles ist zwar als Rahmen immer noch vorhanden, wirkt aber oft nur noch wie Beiwerk, denn die Schwerpunkte liegen mittlerweile woanders. Die Zeiten, in denen an einem James Bond alles abperlte, er unverletzbar und ungerührt aus den wildesten Abenteuern hervorging, sind vorbei, stattdessen haben wir nun einen Mann, der von persönlichen Dämonen getrieben ist, der zweifelt und trauert.
Im Grunde ist praktisch alles hier eine „persönliche“ Sache, da die über mehrere Filme aufgebauten Verflechtungen der Charaktere untereinander das bedingen. Es ist daher nicht nur eine nostalgische, sondern eine sehr passende Referenz, dass den kompletten Film über immer wieder die Melodie von Louis Armstrongs „We have all the time in the World“ aus „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ angespielt wird, war dies doch innerhalb der klassischen Ära so ziemlich das einzige Mal, dass ein James Bond ebenfalls die Oberfläche verließ und sich deutlich emotionaler gab.
Es war zweifellos nötig die Figur anzupassen, barg der unnahbare Macho, für den Bond immer prototypisch stand, doch die Gefahr irgendwann nur noch als aus der Zeit gefallenes Relikt betrachtet zu werden, und mit Daniel Craig hatte man auch genau den Darsteller, der diese Wandlung überzeugend verkörpert. Wer damit schon in den letzten Filmen eher wenig anfangen konnte wird auch hier seine Probleme haben, auch die Kühle und Düsternis der neuen Ära gefällt ja bekanntlich nicht jedem.
Was dagegen geblieben ist, sind die außergewöhnlichen Set Pieces, und die beeindrucken in „Keine Zeit zu sterben“ wie schon länger nicht. Gleich die Auftaktsequenz bzw. der „zweite Prolog“ sticht hier heraus, nutzt man doch die Geographie des italienischen Bergortes hervorragend aus und baut sie auf faszinierende Weise in die dort inszenierte Verfolgungsjagd ein. Auch die nächste große Actionszene in Kuba ist originell, erinnert in ihrer Art ein wenig an „John Wick“ und führt mit der von Ana de Armas gespielten Nachwuchs-Agentin eine starke, frische und witzige Figur ein.
Danach wird es allerdings spürbar ruhiger, die Entschlüsselung und Erklärung des Masterplans geschieht doch recht umständlich und man kann nicht leugnen, dass der mit 163 Minuten längste Bond-Film aller Zeiten im Mittelteil auch mal etwas zäh hin und her mäandert. Wobei das nicht mit Langeweile gleichgesetzt werden soll, denn interessant ist auf gewisse Weise an sich jede Szene, sei es das nochmalige Aufeinandertreffen mit Christoph Waltz als Blofeld, seien es die kurzen humoristischen Einschübe, vor allem mit der leicht widerspenstigen neuen 007-Agentin Lashana Lynch, oder auch der lange hinausgezögerte erste Auftritt des eigentlichen Hauptbösewichts mit dem sprechenden Namen Lyutsifer Safin. Wer sich von dessen Besetzung mit Rami Malek einen großen Coup versprach, dürfte aber eventuell überrascht sein wie kurz dessen Leinwandzeit am Ende tatsächlich ausfällt – in die Riege der erinnerungswürdigsten Schurken der Reihe kann er sich so leider nicht spielen.
Der Wille zur Veränderung und der Mut zu gewagten Entscheidungen wird bis zum Schluss beibehalten und gerade das Ende wird daher auch für die größten Diskussionen sorgen. Speziell unter den Verfechtern der klassischen Bond-Schule wird es wohl nicht wenige geben, die es ziemlich hassen könnten. Wie überzeugend der so zum Abschluss gebrachte Handlungsbogen empfunden wird hängt dabei auch maßgeblich davon ab wie sehr einen die über zwei Filme aufgebaute Beziehung zwischen Bond und Madeleine packt, und da kann man durchaus Schwächen entdecken und der Auffassung sein, dass die Chemie zwischen Craig und der von Eva Green verkörperten Vesper Lynd in „Casino Royale“ eigentlich besser passte, wie überhaupt dieser Film und auch „Skyfall“ noch etwas stimmiger und runder daherkamen.
Einen Wirkungstreffer setzt man mit mit „Keine Zeit zu sterben“ aber zweifellos und alles in allem ist das dann auch ein starker und passender Abschluss dieser Phase des Bond-Universums. Der zudem reichlich Raum für Spekulationen gibt, wie es denn nun weitergehen soll. Eines steht fest: Auf das nächste Kapitel der Bond-Reihe und die nächste Neuausrichtung kann man sehr gespannt sein.
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