Zur Grundeinstellung eines Superhelden-Comicfans gehört eine gehörige Portion Skepsis, wenn von Verlagsseite mal wieder ein „noch nie dagewesenes, alles veränderndes Event“ angekündigt wird. Denn meist verlaufen auch solche Superhelden-Vollversammlungen nach einem fest vorgegebenen Muster, bei dem am Ende dann doch eigentlich wieder alles genauso ist wie vorher, denn es muss ja schließlich weitergehen mit den etablierten Helden oder besser „Marken“ des Konzerns. Auch im Marvel-Filmuniversum sind wir nun an diesem Punkt angekommen, denn seit gut einem Jahr wird der bevorstehende „Infinity War“ als das Ereignis beworben, mit dem das seit nun einer Dekade so unglaublich erfolgreiche „Marvel Cinematic Universe“ an einem Schlüssel- und Wendepunkt ankommt, nach dem die Karten komplett neu gemischt werden. Und keine Frage: Wer sich nach dem Ende dieses Films aus dem Kinosessel erhebt, der dürfte durchaus beeindruckt sein. Und sich Fragen stellen wie: Meinen die das wirklich ernst? Und wie soll es nun weitergehen?
Dass es tatsächlich sehr ernst wird ist schon nach der Eröffnungsszene klar, in welcher der schon länger im Hintergrund agierende mächtige Titan Thanos (Josh Brolin) endgültig die große Bühne betritt. Auf seiner Suche nach den insgesamt sechs Infinity-Steinen, die ihrem Träger eine nahezu göttliche Macht verleihen, setzt sich Thanos zunächst mit den Asen um Thor (Chris Hemsworth) & Loki (Tom Hiddleston) auseinander, die vor einiger Zeit einen dieser Steine in ihren Besitz bringen konnten. Schon hier demonstriert der Schurke, der mit Hilfe der Steine plant die Hälfte aller Lebewesen des Universums zu töten, seine Brutalität und Entschlossenheit. Und wer sich wirklich komplett überraschen lassen möchte, der sollte ab hier bis zum nächsten Absatz springen - denn ganz ohne einen minimalen „Spoiler“ lässt sich über die Wirkungskraft von „Infinity War“ kaum sinnvoll sprechen. Der Tod einer äußerst populären Figur nach nur wenigen Minuten versetzt den Betrachter nämlich ganz bewusst in die gewollte Stimmung und macht ihm unmissverständlich klar, worum es diesmal geht, dass der Gegner völlig gnadenlos ist und man ihn auch kaum wird besiegen können.
Obwohl die Avengers um Tony Stark (Robert Downey jr.) und Captain America (Chris Evans), die ebenfalls über zwei der Steine verfügen, natürlich trotzdem versuchen müssen, Thanos zu besiegen. Immerhin erhalten sie dabei die Unterstützung neuer Kampfgefährten wie Doctor Strange (Benedict Cumberbatch) oder dem Black Panther (Chadwick Boseman). Und auch eine gewisse Truppe, die sich selbst als „Galaktische Wächter“ bezeichnet, greift mit ins Geschehen ein.
Nachdem wir uns nun so bemüht haben die Dramatik der Situation zu verdeutlichen, ist es doch ein wenig erstaunlich, dass dies unsere Helden auch diesmal nicht wirklich davon abhält weiterhin mit lockeren Sprüchen um sich zu werfen und sich dabei auch immer wieder einige eher unreife „Wer hat den längsten“-Wortduelle zu liefern. Bei zwei eher comedyhaft angelegten Figuren wie Starlord & Thor (der eine von Beginn an, der andere spätestens seit „Ragnarök“) passt das dann noch recht gut, bei den Herren Stark & Strange schon weniger – auch wenn natürlich zu erwarten war, dass die Begegnung dieser beiden Alphatiere nicht ohne Spannungen und Ego-Trips ablaufen wird. Nichtsdestotrotz befinden wir uns hier zum ersten Mal in einem Umfeld, wo das Herumgealber manchmal einfach unpassend ist, so sehr es auch grundsätzlich zum Ton und zur DNA des Marvel-Universums dazu gehört. Zweifellos eine schwierige Aufgabe, für die das nach den letzten beiden Captain America-Filmen erneut eingesetzte Regie-Brüderpaar Joe & Anthony Russo wohl kaum eine immer hundertprozentig passende Lösung finden konnte.
Was die beiden aber bereits bewiesen haben sehr gut zu können, ist einen Film mit derart vielen Handlungsträgern hervorragend zusammenzuhalten und wie aus einem Guss wirken zu lassen. Das gelingt ihnen bei „Infinity War“ erneut, obwohl wir es nach den Neueinführungen der letzten Jahre nun sogar mit rund zwanzig (!) Helden zu tun haben - wobei vor allem die sechsköpfige Guardians-Gang diese Zahl auf einen Schlag massiv nach oben treibt. Wenn trotzdem auch noch solche Sidekicks wie „Falcon“ oder „War Machine“ mitwirken, ist es kaum zu glauben, wie organisch und ungezwungen das Ensemble zusammen findet, ein jeder seine eigene Szene und sinnvolle Aufgabe bekommt und man nie in Gefahr gerät den Überblick zu verlieren. Sofern man kein absoluter Neuling in der Marvel-Welt ist natürlich, denn ohne jegliches Vorwissen über die Charaktere dürfte der Spaß dann doch eher begrenzt sein.
Allerdings ist die eigentliche Handlung auch sehr klar und stringent gefasst, deutlich weniger komplex als etwa beim zweiten Captain America oder auch noch bei „Civil War“. „Thanos holt sich einen Infinity-Stein nach dem anderen und die Avengers versuchen ihn dabei zu stoppen“ genügt im Grunde schon als Inhaltsbeschreibung. Angesichts der vielen Handlungsorte und Figuren, die sich an dieser Mission beteiligen, geht es aber im Prinzip auch gar nicht anders und hat den Nebeneffekt, dass man sich als Zuschauer zurücklehnen und das epische Abenteuer Szene für Szene genießen kann. Thanos erweist sich dabei – nach auch beim Rezensenten anfänglich vorhandener Skepsis – tatsächlich als der große, titanenhafte Widersacher als der er angekündigt wurde. Trotz des aufgrund der CGI-Gestaltung naturgemäß begrenzten Ausdrucksvermögens trägt auch Darsteller Josh Brolin einen ordentlichen Teil zu dieser Wirkung bei, denn – man mag es kaum glauben – auch dieses Monstrum kommt nicht nur eindimensional daher und beschert uns einige emotionale Momente.
Doch selbst wenn das also alles routiniert und weitgehend überzeugend umgesetzt wurde und die essentiellen Bestandteile, die man von einem solchen Film erwartet (epische Schlachten & aufwändige Settings, starke Figuren & marvel-typischer Humor) allesamt geliefert werden, so würde das allein „Infinity War“ noch nicht zu einem überdurchschnittlichen Beitrag der qualitativ im Schnitt ja sehr hochwertigen Marvel-Reihe machen – dafür haben wir in den letzten Jahren einfach zu viel ähnlich Gutes gesehen. Was den Film (und damit auch die Wertung) aber wirklich noch eine Stufe nach oben hievt ist das Finale, das in der Tat eines ist, wie es so etwas innerhalb dieser Franchise noch nicht gab. Den großen Ankündigungen wird es jedenfalls definitiv gerecht. Wobei ein endgültiges Urteil darüber genau genommen noch gar nicht gefällt werden kann, denn es folgt schließlich noch ein zweiter Teil und das fast zwangsläufig auch schon sehr bald im nächsten Jahr – denn es ist völlig klar, dass man mit den Einzelfilmen nun nicht einfach so weitermachen kann, ohne den „Infinity War“ aufzulösen (der als Nächstes anstehende "Ant-Man & The Wasp" spielt vor den hier geschilderten Ereignissen und die darauf folgende „Captain Marvel“ von vornherein weit vorher in den 90er Jahren).
Sollte man also der – bei Superhelden-Geschichten zumindest in Comic-Form nicht unwahrscheinlichen - Versuchung erliegen, das hier Gesehene mit einem einfachen Traum/Alternativ-Dimension/Zeit-Paradoxon -Trick zu negieren, dann wäre der erste Teil des „Infinity War“ im Nachhinein doch eine ziemliche Luftblase. Aber davon gehen wir jetzt einfach mal nicht aus und bewerten stattdessen nur das was wir aktuell vorliegen haben. Und das ist schon verdammt stark.
Neuen Kommentar hinzufügen