Laut eigenen Aussagen trug Regisseur und Drehbuchautor Edgar Wright die Idee für diesen Film schon seit 1995 mit sich herum. Zu dem Zeitpunkt war Wright gerade mal 21 und fing an, kleine Comedy-Serien fürs britische Fernsehen zu verantworten (jawohl, mit 21!). Ein paar Jahre später sattelte Wright dank des Erfolgs seiner Kult-verdächtigen Serie "Spaced" aufs Kino um und kreierte mit seinem schon "Spaced"-erfahrenen kongenialen Darsteller-Duo Simon Pegg und Nick Frost die drei im Nachhinein nun als "Cornetto-Trilogie" bekannten, irrwitzigen Komödien "Shaun of the Dead", "Hot Fuzz" und "The World's End", und drehte zwischendurch noch die nicht weniger irrwitzige Comic-Verfilmung "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt". Wer auch nur einen dieser Filme gesehen hat, wird ein ungefähres Verständnis dafür haben, mit welcher Energie Edgar Wright seine Filme umsetzt und dass er fraglos zu der sympathischsten Sorte von Regisseuren gehört: Ein waschechter Film-Geek, der sich in jedem seiner Werke austobt wie ein hyperaktives, hochbegabtes und über beide Ohren ins eigene Medium verknalltes Kind. Man wird von Edgar Wright vermutlich nie ein standardisiertes, auf unbedingte Massentauglichkeit zurechtgestutztes Einheitswerk zu sehen bekommen (deutlichstes Indiz: Dass er während der Produktion als Regisseur von "Ant-Man" ausstieg, weil man ihn nicht den Film machen lassen wollte, den er im Kopf hatte), denn Wright gehört zu den ganz wenigen Filmemachern, die echtes Unterhaltungskino lieben und machen und dabei immer noch wirklich originell sind. So, und jetzt stelle man sich vor, dass dieser Mann einen Film dreht, an dem er schon über zwei Jahrzehnte lang in seinem Kopf herumgebastelt hat. Wer sich da nicht sofort denkt "Den muss ich unbedingt sehen!", der ist auf dieser Seite hier ehrlich gesagt irgendwie falsch. Wer sich das jedenfalls denkt, der wird garantiert nicht enttäuscht werden.
Es dauert keine fünf Minuten, da ist man in diesen Film und seinen Protagonisten bereits verliebt. Und dabei hat Baby (Ansel Elgort, nach "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" hiermit endgültig auf dem Weg zum Star) da noch so gut wie gar nichts gesagt. Dafür hat man ihn bereits bei seiner Arbeit als professioneller Fluchtwagenfahrer gesehen - und vor allem, wie er sich die Wartezeit vertreibt, bis seine "Kunden" nach erledigtem Überfall wieder ins Auto einsteigen (wer einen ungefähren Eindruck haben will: Edgar Wright hat die grobe Idee bereits 2003 für ein Musikvideo benutzt, nämlich dieses hier). Musik ist Babys ständiger Begleiter, er hat immer Kopfhörer im Ohr und für jede Situation den passenden Soundtrack auf einem seiner diversen iPods dabei. Wie symbiotisch die Beziehung zwischen Baby und seiner Musik und damit auch die zwischen diesem Film und seiner Musik ist, das wird bereits in dieser Eingangssequenz überdeutlich, und vermittelt einen ersten Eindruck davon, wie sehr der Rhythmus von "Baby Driver" von seinem Soundtrack gelenkt werden wird. Es ist eine der ganz besonderen Freuden dieses Films, dabei zuzusehen wie Wright ihn entlang und mit seiner Musik inszeniert, wie sich mit dem Takt des gerade laufenden Songs auch die Schnittfrequenz verändert und wie Bild und Ton hier zu einer perfekten audiovisuellen Harmonie verschmelzen. Selbst im Musical-Genre hat man selten einen Film gesehen, in dem Musik eine solch tragende Rolle eingenommen hat, und in dem die Energie und die Stimmung des Soundtracks für den gesamten Film von solch zentraler Bedeutung war.
Während also quasi nonstop mehr oder weniger im Hintergrund irgendein Song läuft (und was ist das für eine fantastische Musikauswahl!), lernen wir Baby und seine Geschichte näher kennen, und dass er trotz seiner jungen Jahre schon eine ganze Weile für den Gangsterboss Doc (Kevin Spacey) arbeitet. Doc ist darauf spezialisiert, Raubüberfälle auf Banken, Geldtransporter und ähnliches auszuhecken und für jeden Coup einen neuen Trupp an Ganoven zusammenzustellen, die die Nummer für ihn durchziehen, während er schön im Hintergrund bleibt. Einzige Konstante bei allen Aktionen: Das Auto fährt Baby, denn einen besseren Fahrer gibt es einfach nicht. Was Baby für Doc leider auch ziemlich unverzichtbar macht, nachdem das junge Fahrgenie seine Schulden bei ihm abgearbeitet hat (natürlich ist unser Held kein "richtiger" Krimineller, sondern dazu gezwungen, mitzumachen) und Baby eigentlich glaubt, der Verbrecherwelt nun endlich den Rücken kehren zu können. Er will sich endlich gefahrlos um seinen altersschwachen Ziehvater (CJ Jones) kümmern können, und eine neue Liebe mit der süßen Kellnerin Debora (Lily James) steht auch am Horizont. Doch dann nötigt ihn Doc, bei einem weiteren Coup mitzumachen. Und die Zusammensetzung der Truppe mit dem heißblütigen Buddy (Jon Hamm), seiner gewaltgeilen Freundin Darling (Eiza Gonzales) und dem paranoiden, latent verrückten Bats (Jamie Foxx) lässt nicht gerade einen reibungslosen Ablauf erahnen...
"Baby Driver" ist nicht der erste Film über einen professionellen Fluchtwagen-Fahrer (man denke z.B. an Nicolas Winding Refns Meisterwerk "Drive", das mit demselben Motiv gearbeitet hat), nicht der erste Heist Movie um "das letzte große Ding", das der Protagonist noch drehen muss, bevor er dem Verbrechen endlich Adieu sagen kann, und sicher auch nicht der erste Film, in der sich der Held in eine süße Kellnerin in einem Diner verliebt. Doch es ist schlicht und ergreifend einmalig, wie Edgar Wright all seine Versatzstücke nimmt und daraus etwas erschafft, was gleichzeitig als Hommage an ein gutes Dutzend große Genre-Vorbilder funktioniert und wie der originellste Action-Film daherkommt, den man seit Jahren gesehen hat. Auch und vor allem weil Wright dieses Ding eben schon 20 Jahre lang in seinem Kopf hat marinieren lassen und in jeder einzelnen Sekunde weiß, was er möchte. Es ist aus Cineasten-Perspektive einfach ein Fest, wie der Regisseur hier sein historischen Einflüsse abfeiert und mit beeindruckender Stilsicherheit klassische Kunstfertigkeiten des Actionkinos zelebriert, die im modernen Blockbuster-Kino fast vollständig verloren gegangen sind. Selbst eine vermeintlich ja gänzlich auf Autos fokussierte Reihe wie "The Fast and the Furious" ergötzt sich ja primär an typischen Zerstörungsorgien und ist meilenweit entfernt von stilprägenden Auto-Verfolgungsjagden, wie man sie in der Klasse wie hier wohl zuletzt in John Frankenheimers "Ronin" von 1998 (!!) gesehen hat.
So flüssig, wie Baby durch die Gänge schaltet, schafft es Wright, die Tonalität seines Films zu wechseln. So beginnt "Baby Driver" als waschechte Action-Komödie, die mit ihren schrägen Typen, kauzigen Ideen und launigen Sprüchen im Minutentakt zum Lachen anregt, bekommt im Mittelteil immer mehr Elemente eines überzeugenden Dramas mit emotionaler Resonanz (als Beispiel sei nur der Grund dafür genannt, warum Baby die ganze Zeit Musik hört - in einem minderwertigen Film wäre das bloß ein Gimmick, hier ist es ein integraler Bestandteil des Charakters und seiner Handlungsmotivation) und wandelt sich gegen Ende immer mehr zu einem spannungsgeladenen Thriller mit Psychokiller-Elementen. Gerade diese atmosphärischen Verschiebungen und die inhaltlichen Purzelbäume, die "Baby Driver" im Verlauf seines ausgedehnten Showdowns schlägt, können auf manchen Zuschauer befremdlich wirken und man kann "Baby Driver" gerade in seinen letzten 30 Minuten vorwerfen, dass er sich zu sehr in seinen Eigensinnigkeiten verliert und der Film-Geek im Regisseur zu sehr in sein eigenes Material verliebt ist um zu erkennen, dass eine andere Auflösung ein harmonischeres Ganzes in Kombination mit der ersten Filmhälfte ergeben hätte.
Aber solche Beschneidungen hätten diesem Film genau das genommen, was ihn ausmacht: Seine ganz individuelle visionäre Kraft, das Gefühl, dass hier ein echter Filmemacher mit aller Konsequenz sein Ding durchzieht. Das so etwas in diesem Genre heutzutage überhaupt noch möglich ist, dafür muss man als Kino-Liebhaber mehr als dankbar sein. "Baby Driver" gehört in kein Programmkino und auf kein überkandideltes Festival, und trotzdem ist dieser Streifen mehr Filmkunst als wahrscheinlich fast alles, was man dieses Jahr in Cannes oder auf der Berlinale zu sehen bekam. Motor an, Mucke laut, ab die Post.
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