Inherent Vice - Natürliche Mängel

Originaltitel
Inherent Vice
Land
Jahr
2014
Laufzeit
148 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 6. Februar 2015

"Inherent Vice" ist ein merkwürdiges Tier von einem Film. Das liegt zum einen Teil an seinem Regisseur, denn das 90er Jahre-Regie-Wunderkind Paul Thomas Anderson, der einst mit seinen so energiereichen wie originellen Meisterwerken "Boogie Nights" und "Magnolia" auf der internationalen Kinolandschaft einschlug, hat mit seinen letzten Filmen "There will be blood" und "The Master" zwar eine bemerkenswerte Reifung als Filmemacher hingelegt, zugleich jedoch zusehends eine eigenwillige Erzählweise entwickelt, die sich viel mehr für bestimmte Momente und Situationen begeistert als ihr Augenmerk auf einem sich nachvollziehbar entwickelnden Plot zu halten. Inherent ViceAuch wenn Andersons Werke nach wie vor fraglos großartig sind - einfach zu konsumieren sind sie definitiv nicht. Genau dasselbe kann man wiederum über Thomas Pynchon sagen, der andere Teil, der "Inherent Vice" zu einem merkwürdigen Tier macht. Denn von ihm stammt die Romanvorlage, auf der dieser Film basiert, und Pynchon ist vor allem für zwei Dinge bekannt: Seine schon fast legendäre Zurückgezogenheit - der Mann ist inzwischen fast 80 und einer der bedeutendsten amerikanischen Autoren der letzten 50 Jahre, doch quasi niemand weiß wo er lebt, und die wenigen bekannten Fotos von ihm stammen aus seiner Jugend - und die enorme Komplexität seiner Romane, die oftmals so kompliziert und verschachtelt sind, dass selbst sehr schlaue Leute sie für unlesbar halten. 

Dass "Inherent Vice" für einen Pynchon-Roman noch als sehr zugänglich gilt, macht die Sache hier nur marginal besser, denn die Verfilmung nimmt sich ein wenig so aus, als hätte Anderson versucht, noch etwas mehr Pynchon rauszuholen, als Pynchon selbst geliefert hat. Auf den Punkt gebracht: Sollte man sich diesen Film ansehen und am Ende ziemlich verwirrt denken, dass man nicht wirklich verstanden hat, was hier passiert ist, dann hat "Inherent Vice" vermutlich genau das erreicht, worauf er es angelegt hat. 

Inherent ViceDiese mehr als eigentümliche Zielsetzung hat sehr viel mit Ort und Zeit der Handlung zu tun, und mit der Tradition, in der sich der Film bewegt. Rein Genre-technisch erzählt "Inherent Vice" eine Geschichte aus der Schule der "hard-boiled detective"-Romane, wie sie z.B. Raymond Chandler in den 30er und 40er Jahren bekannt machte, und die eine maßgebliche Vorlage für diverse Meisterwerke des "Film Noir" waren, wie "Die Spur des Falken" oder "Tote schlafen fest". Diese oft sehr verworrenen Detektivgeschichten erlebten in Hollywoods Autorenkino der 1970er Jahre eine kurzzeitige Wiederauferstehung, während der ihre Undurchschaubarkeit und ihre oftmals pessimistische Weltsicht auf die Spitze getrieben wurden. Filme wie Roman Polanskis "Chinatown", Robert Altmans "The Long Goodbye" oder Arthur Penns "Night Moves" wurden im Amerika von Vietnam und Watergate zu Spiegeln der desillusionierten, paranoiden Gesellschaftsstimmung und zeigten eine Welt, in der selbst die filmische Heldengestalt des Detektivs es nicht mehr schaffte, ein Verbrechen wirklich zur Aufklärung zu bringen - wenn er schlimmstenfalls am Ende nicht sogar selbst nicht mehr verstand, was eigentlich vor sich gegangen ist.

Derart düster und grimmig ist die Stimmung in Andersons oftmals absurd-komischem "Inherent Vice" zwar nicht, aber dennoch ist dies genau der Referenzrahmen, in dem sich die Geschichte bewegt, während Anderson zugleich sehr viel Mühe darauf verwendet hat, die sehr spezielle Atmosphäre seines Settings zum Leben zu erwecken: Kalifornien gegen Ende der 60er Jahre. Eine Zeit, in der sich die naiven Weltverbesserungsfantasien der Hippies zwischen Realität und Rausch endgültig aufzureiben beginnen, und sich mit einer esoterischen Hinwendung zum Ich und der großen Popularität psychedelischer Drogen die großen "Trends" der 70er Jahre - Hedonismus, Egozentrik und Paranoia - bereits andeuten. In dieser Ära lebt die Hauptfigur von "Inherent Vice", Larry "Doc" Sportello (Joaquin Phoenix, mit einem fabulösen Backenbart), als dauerbekiffter Privatdetektiv am Strand von Los Angeles, und wird in eine Geschichte hineingezogen, deren Verworrenheit wirklich jeder "hard-boiled detective novel" alle Ehre gemacht hätte. Inherent ViceSeine Ex-Freundin Shasta kontaktiert ihn aus Angst um ihren neuen Liebhaber, den reichen Industriellen Michael Wolfmann, der zum Opfer einer Intrige seiner Ehefrau und deren Liebhaber werden soll. Kurz darauf sind sowohl Shasta als auch Wolfmann verschwunden, einer von Wolfmanns Leibwächtern tot und Sportello ernster Verdächtiger für diesen Mord. Und das ist erst der Anfang.

Es macht wenig bis gar keinen Sinn hier zu versuchen, weitere Orientierung in den Plot zu bieten, weil es a) angesichts der vielen, merkwürdigen Namen (für die Pynchon schon immer eine große Vorliebe hatte) und Fährten sehr schnell sehr verworren wird und man b) bei Betrachten des Films ohnehin bald zur bereits erwähnten Einsicht kommt, dass es "Inherent Vice" gar nicht darauf anlegt, auf einer solch profanen Ebene wie der Auflösung eines klassischen "Whodunnit" verstanden zu werden. Was Anderson hier mehr als alles andere tut, ist ein Gefühl für einen Ort und eine Zeit zu vermitteln, und in dieser Hinsicht ist "Inherent Vice" dann eben doch ein grandioser, überragender Film. Anderson war schon immer ein großer Könner darin, mit allen Mitteln seines filmischen Erzählens die spezifische Ära seiner Filme einzufangen. Er liebt es, eine historische Epoche zum Leben zu erwecken - oftmals so sehr, dass die Erzeugung einer authentischen Atmosphäre zum Selbstzweck wird: Eine Kreation einer filmischen Realität, die sich selbst genug ist und gar nicht die Absicht hat, zugleich der Fortführung einer konventionell strukturierten Geschichte zu dienen. 

Inherent ViceNicht ohne Grund ist "Doc" Sportello in gefühlt jeder zweiten Szene gerade mit einem Joint beschäftigt, und im Rest auch nie wirklich nüchtern. "Inherent Vice" fühlt sich beizeiten so an, als würde Anderson seine Zuschauer geradezu dazu auffordern, entspannt einen mitzukiffen, um in die richtige Stimmung zu kommen für diesen Film, der mehr Stimmung als alles andere ist. Tatsächlich ist alles in diesem Film von Kostümen bis hin zur Farbpalette der Kamera so detailgenau ausgearbeitet und gesetzt, dass sich mit Fug und Recht sagen lässt: Seit den späten 60ern hat niemand einen Film gemacht, der sich derart nach den späten 60ern anfühlt. 

Allen, für die das jetzt nach wie vor nicht nach einem Film klingt, für den man sich zweieinhalb Stunden ins Kino setzen möchte, kann man keinen Vorwurf machen. Man könnte jetzt versuchen, "Inherent Vice" noch ein bisschen besser zu verkaufen, indem man betont, dass dieser Film durchaus viele Momente sehr gut funktionierender, so eigenwilliger wie absurder Komik hat, in denen die allgegenwärtige Paranoia in Skurrilität und Lächerlichkeit kippt, und Anderson fast schon eine augenzwinkernde Parodie auf die Eigentümlichkeit seiner Handlungsära inszeniert. Aber auch das sind Dinge, an denen man nur wirklich seine Freude wird haben können, wenn man zu schätzen weiß, was Anderson hier tut. Dafür muss man schon ein eindeutiges Faible für merkwürdige Tiere haben. 

Bilder: Copyright

8
8/10

Groovy, man.
Eigentlich hat nur noch gefehlt, daß Fat Freddys Cat im Hintergrund durchs Bild läuft. Ich fühlte mich von INHERENT VICE wunderbar unterhalten – abseits gängiger Muster; wie bei Anderson üblich. Nach einem Drittel des Films habe ich aufgegeben, der „Handlung“ zu folgen. Die Anzahl der genannten Charaktere überschreitet irgendwann den vierstelligen Bereich – aber was soll’s. Ich habe mich gerne auf Andersons Erzählweise eingelassen. Was abgesehen von seiner Inszenierung vor allem an einem genialen Joaquin Phoenix liegt. Einfach herrlich, ihm zuzusehen. Da muß sich der Dude warm anziehen.

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8
8/10

Hab ihn gestern im Flugzeug gesehen, hat mir sehr viel Spass gemacht.

Vergleiche zu "The Big Lebowski" bieten sich natürlich an, aber Inherent Vice ist viel weniger auf Slapstick angelegt und hat stattdessen eine Portion David Lynch mitbekommen was "schwimmen auf dem Unterbewußten" angeht.
Ausserdem ist der Film was Kamera, Licht, Ausstattung und so weiter angeht und die Bezüge die in den Dialogen gebracht werden durchgäng ein Riesengenuss.

Mit Abstand mein Lieblingsfilm von PT Anderson – Magnolia, Boogie Nights und There Will Be Blood kann ich irgendwie gar nicht ab, so seltsam leer, unmenschlich, ohne Auflösung.
Diesmal lass ich mich gern auf den "leicht bekifften" Schwebezustand des Films ein.

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8
8/10

Gestern auf DVD gesehen. Die Kritik trifft die Sache auf den Punkt.
Eine in sich schlüssige Handlung ist schwer auszumachen, aber trotztdem: nach einer Weile habe ich nur noch höchst amüsiert zugeschaut und mich einfach "durch den Film treiben lassen".
Ich schätze ohnehin Joaquin Phoenix, Benicio del Toro, Josh Brolin als Schauspieler und Paul Thomas Anderson
seit dem unvergleichlichen "Magnolia" als Regisseur (wobei ich "There will be Blood" irgendwie schwer erträglich fand).
Aber ich kann ebenfalls Leute verstehen, die mit diesem Streifen nichts anfangen können, aber egal:
köstlicher Film!

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