Ein Chamäleon träumt sich im Spiel mit den wenigen Utensilien in seinem Terrarium in die Rolle eines Schwert schwingenden Helden hinein, der die Unschuldigen zu beschützen hat. Dann wird es ein wenig ruckelig, und Terrarium samt Chamäleon werden aus dem offenen Wagen ihrer Inhaber geschleudert. Gestrandet auf dem heißen Asphalt mitten in der amerikanischen Wüste, bleibt dem sich "Wer bin ich eigentlich?" fragenden Chamäleon nichts anderes übrig, als in das große, sandige Nichts vor ihm zu marschieren.
So beginnt, was der bisherigen Werbekampagne nach eigentlich der erste große Animationshit 2011 werden sollte, mit dem Namen Johnny Depp als Sprecher der Hauptfigur prominent in den Vordergrund gerückt. Doch der erste Eindruck von "Rango" ist - trotz einer gleich sehr originell und spektakulär inszenierten Action-Eröffnung, als es raus aus dem Auto geht - eher befremdlich.
Das ändert sich für den Rest des Films leider nicht wirklich. Das namenlose Chamäleon findet sich alsbald in einer von allerlei sprechendem Getier bevölkerten Stadt wieder, die unter dem akuten Schwund ihrer Wasservorräte leidet. Das wertvolle Nass scheint zum Gutteil auf unerklärliche Weise zu verschwinden, und man ist verzweifelt auf der Suche nach einem Helden, der dem Ort sein Wasser zurückgeben kann. Das Chamäleon stolpert in den Saloon, lässt sich von einem Schnapsflaschen-Etikett dazu inspirieren, sich "Rango" zu nennen, und prahlt so lange erfolgreich mit seinen angeblichen Heldentaten als Revolverheld, bis ihn die Bewohner kurzerhand zum Sheriff machen - und "Rango" auf einmal die Heldenrolle ausfüllen muss, die er sich bisher nur vorgestellt hat.
Das ist die äußerst spärliche Ausgangssituation von "Rango", die einen kapitalen dramaturgischen Fehler begeht, welcher umso verwunderlicher ist, da hier einer der derzeit besten Drehbuchautoren Hollywoods am Werk ist. John Logan verfasste bereits u.a. "Gladiator", "An jedem verdammten Sonntag", "Der letzte Samurai" und "The Aviator" und schreibt gerade den nächsten Bond-Film. Was er und Regisseur Gore Verbinski ("Fluch der Karibik") hier machen, könnte man wohlmeinend als Experiment in dramaturgischer Reduktion betrachten. Es beweist aber leider nur, dass man das, was hier getan wird, tunlichst lassen sollte. Nämlich: Dem Publikum einen Protagonisten servieren, über den man quasi nichts weiß und nichts lernt, den man entsprechend nie richtig kennen lernt und der einem darum auch völlig egal ist.
Rango kommt in diesen Film als Echse ohne Eigenschaften, und das bleibt er im Prinzip auch. Er stürzt sich in sein Abenteuer wie in seine vorher gespielte Traumrolle, und so strahlt sein Tun auch immer die gewisse Distanz eines sorglosen Fantasten aus, der sich mehr in einem Spiel denn in echter Gefahr wähnt. Mit solch einer Figur kann man als Zuschauer einfach nicht emotional mitgehen. Und das ist so ziemlich das Schlimmste, was einem Film dramaturgisch passieren kann.
Der Rest des "Ensembles" sieht da nicht besser aus: Abgesehen vom obligatorischen Love Interest in Form einer Echse namens Bohne und dem Bösewicht, der in diesem Falle der Bürgermeister (eine Schildkröte) ist, treten die anderen Bewohner der Stadt immer so geballt und durcheinander redend auf, dass man Schwierigkeiten hat, in der Masse einzelne Figuren, geschweige denn Namen auseinander zu halten.
Dieser Pulk bunt durcheinander gemischter Gestalten (vertreten sind neben verschiedenen Echsen unter anderem auch Hase, Ratte, Vogel und Katze - alle übrigens exakt gleich groß…) poltert nun durch eine Handlung, die stellenweise absurd, manchmal schlicht konfus wirkt und jeden klaren Drive in der Erzählung vermissen lässt. In einigen Momenten wird der Film so spinnert, dass er ein wenig wie auf Drogen geplottet wirkt. Aber vielleicht ist das sogar beabsichtigt: Schon in einer seiner ersten Szenen liefert "Rango" einen Querverweis auf den Drogentrip "Fear and Loathing in Las Vegas", der in eben jenen wilden 70ern angesiedelt ist, in denen auch die Italo-Western entstanden, die das offensichtliche stilistische Vorbild der Inszenierung von "Rango" sind - inklusive einer visionsartigen Erscheinung des "namenlosen Fremden", als der Clint Eastwood einst "Für eine Handvoll Dollar" die Drecksarbeit machte.
"Rango" genießt das Spiel mit den visuellen Standards und Motiven seines Genres enorm, doch verliert sich darüber viel zu sehr in tiefer Selbstironie und vergisst dabei, seine eigentliche Geschichte ernst zu nehmen. Hier ist irgendwie alles nur verspieltes Herumzitiere der Filmemacher, ohne dass es in eine sinnvolle Form eingebettet wäre. Die Defizite dieses achtlosen Vorgehens werden deutlich, wenn man das namenlose Chamäleon als Variation der Eastwood-Figur betrachtet. Gravierender Unterschied: Eastwoods namenloser Fremder hatte eine Vergangenheit und eine Identität, und seine Taten und Augen verrieten etwas darüber; Rango hat weder Vergangenheit noch Identität, und bleibt als Figur ein völlig leeres Blatt.
Dass hier mit ständiger ironischer Brechung eine kaum ernstzunehmende Geschichte erzählt wird, die schlussendlich sogar noch als große, sozialrelevante Metapher verstanden werden will, macht "Rango" zudem völlig ungeeignet für das klassische Zielpublikum des Animationsfilms, Familien und Kinder. Die werden hier nicht viel Freude haben angesichts des allgemeinen Mangels an Identifikationsfiguren, und irgendwie niedlich ist hier auch niemand. Und das, wo man sich doch schon so brav wie uninspiriert an die Dreamworks-Erfolgsformel gehalten hat: Sprechende Tiere, die sich benehmen wie Menschen (siehe "Shrek", "Madagascar", "Kungfu Panda", "Bee Movie", "Ab durch die Hecke" etc. pp.).
Es soll nicht verschwiegen werden, dass "Rango" durchaus seine positiven Aspekte hat. Als erster Animationsspielfilm aus der legendären Effekt-Schmiede Industrial, Light & Magic zeigt er sich technisch auf absolut höchstem Niveau und die visuelle Komposition ist makellos. Dass hier alles rau und dreckig aussieht, weil das in einem Western halt so sein muss, dafür können die Animatoren ja nichts. Auch Verbinski und Logan zeigen hier und da, warum sie eigentlich viel besser sind als das, was sie hier fabrizieren. Logan gelingen ein paar wirklich großartige Gags (ja, man kann hier durchaus lachen, aber leider viel zu selten), und Verbinski erinnert daran, warum er als Regisseur für die "Fluch der Karibik"-Reihe so wertvoll war: Er versteht es auch hier, Action-Sequenzen, die gleichzeitig Slapstick-Klamauk sind, perfekt umzusetzen.
Das sorgt indes aber nur dafür, dass man umso mehr das verschwendete Talent bedauert, dass sich mit dieser verunglückten Filmidee aufgehalten hat. Technisch absolut großartig, ist "Rango" trotzdem ein unspannender, uninteressanter und weitgehend unlustiger Film geworden, den man sich getrost schenken kann.
P.S.: Achja, übrigens gar nicht erst von der Werbezeile "Tarnung ist alles!" irreführen lassen. Dass Rango ein Chamäleon ist, spielt für die Handlung des Films exakt null mal eine Rolle.
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