Gute Dokumentationen berühren. Manche reizen die Lachmuskeln, wie "Die große Depression", manche sind verstörend und lassen das Publikum erschüttert zurück wie "Lost Children", ein Film über Kindersoldaten in Uganda. Zu dieser Kategorie gehört auch die deutsche Dokumentation "Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien". Wie schon "Lost Children" thematisiert auch dieser Film die Schwierigkeit, wieder in das Leben zurückzufinden, nachdem man täglich mit Krieg, Verstümmelung und Vergewaltigung konfrontiert war. Über beide Konflikte (Uganda und Tschetschenien) wird in den Medien nur wenig berichtet, wodurch filmische Projekte wie diese umso wertvoller werden.
Die Filmemacher Tamara Trampe und Johann Feindt begleiteten mehrere Rückkehrer aus dem Tschetschenien-Krieg über einen Zeitraum von drei Jahren. Katja (32) geht als Krankenschwester nach Tschetschenien, um für sich und ihren Sohn eine eigene Wohnung finanzieren zu können. Sie arbeitet ohne Pause im OP, muss Vergewaltigungen durch Soldaten sehen, bricht irgendwann zusammen und ist nun wieder in St. Petersburg - ohne eigene Wohnung. Sie findet schwer Arbeit, weil man sagt, die Zurückgekommenen seien krank und nicht mehr in Ordnung. Petja (20) geht mit 18 Jahren zur Armee und kommt als Krüppel wieder. Er konnte noch nicht einmal ein Maschinengewehr bedienen, so früh wurde er verwundet. Kiril (24) schreibt Briefe an seine Angehörigen, in denen er immer nur schildert, dass alles normal ist. Worte fehlen ihm, um das zu beschreiben, was wirklich um ihn herum passiert. Dann wird er gefangen genommen und muss zwei Monate lang in einem Loch hausen. Nach seiner Flucht und der Entlassung aus dem Dienst findet er nicht wieder in sein Leben zurück. Drei Jahre später sitzt er im Gefängnis, verurteilt für 15 Jahre.
Die
Eltern der jungen Männer sind überfordert, doch von staatlicher
Seite gibt es keine Hilfe - weder finanziell noch psychologisch
werden sie unterstützt. In ihrer Not wenden sich die Eltern
an die einzige Anlaufstelle, die sich wie David gegen Goliath mit
der Armee und dem Staat anlegt: das "Komitee der Soldatenmütter
Russlands", welches 1989 von etwa 300 Müttern gegründet
wurde, um sich für grundlegende Rechte ihrer Söhne bei
der Armee einzusetzen. Im ersten Tschetschenien-Krieg fuhren sie
ins Kriegsgebiet, holten ihre Söhne aus der Gefangenschaft
und tauschten mit den Müttern der Tschetschenen Gefangenenlisten
aus. 1998 billigte die Duma eine vom Komitee geforderte Amnestie
für 40.000 Deserteure.
Da im zweiten Tschetschenien-Krieg keine Frauen mehr auf tschetschenisches
Territorium dürfen, arbeitet das Komitee noch stärker
mit den Eltern derzeitiger Soldaten oder denen, die gerade einberufen
werden. Weil die Jungs als Kanonenfutter benutzt werden, fordern
die "Mütter" eine Berufsarmee. Ihre Menschenrechtsaktivitäten
wurden auch international gewürdigt. Das "Komitee der
Soldatenmütter" erhielt 1996 den alternativen Nobelpreis
und 2000 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Tamara Trampe und Johann Feindt haben mit "Weiße Raben" eine Dokumentation geschaffen, die durch sicheren und einfühlsamen Interview-Stil besticht. Junge, traumatisierte Männer, die nicht einmal den eigenen Eltern von den durchlebten Gräueln erzählen, öffnen sich vor der Kamera und berichten über das, was sie gesehen haben und was sie fühlen. Das Schweigen ist bei manchen Fragen die einzige Antwort, die sie geben können. Gerade ein lange zur Geheimhaltung verpflichteter Veteran des Afghanistan-Kriegs, der seine eigenen Erlebnisse hier preis gibt, führt den Zuschauern vor Augen, wie man im Krieg nicht als Unbeteiligter existieren kann. Die Interviewerin weist keine Schuld zu, sondern fragt nach der eigenen Meinung, was gerade dann wichtig ist, wenn der Einzelne unweigerlich Schuld auf sich geladen hat. So werden die ehemaligen Soldaten als Menschen porträtiert, nicht etwa als Monster, wie es manche ihrer Taten vielleicht suggerieren.
Auf der anderen Seite hätte dieser Film durchaus noch mehr
leisten können - wenn die Filmemacher nur gewollt hätten.
Doch Trampe und Feindt wollten keinen politischen Film machen, sondern
(nur) eine Dokumentation über diese besonderen Menschen. An
dieser Stelle drängt sich jedoch die Frage auf, ob man bei
solch einem Thema überhaupt unpolitisch bleiben kann. Die Auseinandersetzung
mit Behörden, höheren Militärs und Entscheidungsträgern
wird in "Weiße Raben" ebenso verweigert wie Erklärungen
zur russischen Innenpolitik und den eigennützigen Schandtaten,
die unter dem Deckmantel des "Kampfs gegen den Terrorismus"
begangen werden. Während Michael Moore ("Fahrenheit
9/11") dem Publikum zu demagogisch-politisch erscheinen
mag, hätte ein Schuss Moorescher Berichterstattung hier gut
getan.
Es fehlen wichtige Hintergrundinformationen über den Krieg,
weswegen gerade das eingefügte Dokumentationsmaterial wenig
verständlich für den Zuschauer ist, wenn man sich in der
Materie nicht schon gut auskennt. Bedauerlich ist auch, dass ausgerechnet
ein spezifischer Fall näher vorgestellt, bei dem ein ehemaliger
Soldat straffällig wurde und sogar das Leben seiner Mutter
zerstörte, die einige Tage nach der Urteilsverkündung
gegen ihren Sohn starb. Diese Schwerpunktbildung ist für den
Film nicht angemessen, da die Verallgemeinerung dieses speziellen
Falles alles ausblendet, was davor berichtet wurde, und so am Ende
eine Aussage stehen bleibt, die nicht zutrifft, da nicht alle Soldaten
nach ihren traumatischen Erlebnissen straffällig wurden und
anderen Gräuel zufügten.
So ist "Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien" zwar eine sehenswerte Dokumentation, die sich intensiv mit ihren Subjekten auseinander setzt und ein Thema angeht, das in unserer Medienlandschaft zu oft ausgeblendet wird. Dafür mangelt es aber an Hintergrundinformationen und weitergehender thematischer Auseinandersetzung. Auch diese Doku berührt - nur leider nicht so sehr, wie sie gekonnt hätte.
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