Mit den Zufällen ist das ja so eine Sache: Man kann daraus machen, was man will. Gerne, Immer wieder und mit wechselndem Erfolg versuchten und versuchen Zeitgenossen, in erstaunlichen Ereig-nissen Muster zu erkennen, die sie dann einem großen Plan und einer höheren Macht zuschreiben (besonders beliebt sind "Schicksal", "Vorsehung" oder "die Regierung"). Die drei Herren Könige aus dem Morgenland dürften die ersten sein, die in dieser Richtung groß herumkamen und es damit zu unsterblicher Berühmtheit brachten. Die anderen, die sich für mutiger halten, nennen solche Überzeu-gungen frommen Firlefanz und sind der Ansicht, das ganzeWeltgeschehen sei überhaupt nur die Folge eines großen chaotischen Herumrasens von winzigen Leptonen, Neutrinos und Antiquarks, oder wie immer sie diese Elementarteilchen auch sonst nennen mögen.
Auch das Kino hat sich, das sollte uns nicht wundern, gern mit der Frage "Zufall oder Fügung?" be-schäftigt, und dabei sind einige wirklich gute Filme rausgekommen (etwa "Magnolia" 1999, "Amores Perros" ein Jahr später oder aus Deutschland "Lola rennt" von 1998), manchmal mittelprächtige (wie "Final Destination") und leider auch richtige Gurken (man denke nur mit Schaudern zurück an den grauenhaften "Weil es dich gibt"). Das Problem bleibt eine der faszinierendsten Fragen für Filmema-cher von Bochum bis Bollywood, für Regisseure von Iñárritu bis Bogdanovich. Denn auch in "Is' was, Doc?" (der etwas dämliche Titel ist ausnahmsweise mal nicht Schuld des deutschen Verleihs) wird zunächst ein etwas eigenartiger Zufall konstruiert. In einem Luxushotel in San Francisco versammeln sich vier haargenau gleich aussehende Reisetaschen, allerdings mit sehr un-terschiedlichem Inhalt: In einer stecken prähistorische Eruptivgesteine, in der anderen ein Haufen Schmuck von unschätzbarem Wert, in der dritten streng geheime Papiere und in der vierten ordinäre Damenwäsche. Dass sich dahinter allerdings göttliches Eingreifen verbirgt, glauben schon nach kur-zer Zeit nur noch wenige der Beteiligten - eher scheint das Ganze (fast) allen Betroffenen ein teufli-scher Geniestreich des Zufalls zu sein, der die Dinge ungeheuer verkompliziert. Aber andererseits ist in der ganzen Angelegenheit doch mehr arrangiert, als man auf den ersten Blick denken könnte. Klingt alles reichlich kompliziert. Ist es auch. Worum geht es denn überhaupt? Also nochmal ganz langsam: In San Francisco treffen an einem beliebigen Tag der glorreichen siebziger Jahre, als die Musik noch handgemacht, die Hemdkrägen noch beliebig lang und die Hosenschläge so weit wie ein Minirock waren, eben jene bereits erwähnten hübsch-hässlich rotkarierten Reisetaschen zusammen. Die erste gehört Howard Bannister (Ryan O'Neal, als er noch jung und schön war) - Doktor Howard Bannister, um genau zu sein, einem verschrobenen jungen Wissenschaftler, der in der Absicht nach San Francisco gereist ist, mit seiner ebenso verschrobenen Theorie über prähistorische Tonleitern das begehrte Stipendium des gleichfalls verschrobenen Stiftungs-Gründers Larrabee (Austin Pendleton als exzentrischer Mäzen) zu erringen. Deswegen gehört ihm natürlich Tasche Eins - die Steinsammlung. Begleitet wird Howard von seiner exaltierten Verlobten Eunice Burns (Madeline Kahn, phänomenal in ihrer ersten großen Rolle), die schon am Flughafen das Personal mit ihrer herrisch-hysterischen Art zur Verzweiflung bringt. "Is' was, Doc?" ist allein schon deswegen ein Meilenstein des komischen Kinos, weil gegen Ende des Films eine Verfolgungsjagd durch die steilen Straßen San Franciscos geboten wird, die in ihrer virtuo-sen Komik ihresgleichen sucht. Zum Einsatz kommen ein Fahrrad mit aufmontiertem Kofferraum (für die Taschen, wofür sonst?), ein direkt vor der Kirche weggestohlener Just-Married-Käfer, reichlich Limousinen amerikanischer, vorwiegend älterer Bauart, ein VW-Bus (allerdings in einer wirklich passi-ven Rolle), mehrere Polizeiwagen, ein Autotransporter, Cable Cars und ein chinesischer Karnevals-drachen. Das knapp zehn Minuten lange Resultat, an dem allein nicht weniger als vier Wochen ge-dreht wurde, dürfte in der ewigen Hitliste der cineastischen Autorennen für immer eine der vordersten Positionen einnehmen. Schon die Art und Weise, auf die Bogdanovich vorexerziert, wie genial man das uralte Problem der über die Straße getragenen Glasscheibe lösen kann - natürlich geht sie am Ende kaputt, aber wie! - sichert "Is' was, Doc?" einen Platz im Kino-Olymp. Barbra Streisand und Ryan O'Neal treten also als würdige Nachfolger in die wirklich großen Fußspu-ren von Katharine Hepburn und Cary Grant, unterstützt von einer ganzen Armada drolliger Nebenfigu-ren, reichlich skurriler Einfälle (wer schon immer wissen wollte, wie man zuverlässig einen Hotelzim-merbrand auslöst, sollte hier mal reinschauen) und - auch das gibt's noch obendrein - einer überra-schenden Wendung am Schluss. Eigentlich ist das Ganze aber nur eine unwiderstehliche Liebeserklä-rung an das amerikanische Kino, als man noch richtig alberne Filme machen durfte. Bogdanovich ist sich glücklicherweise nicht einmal für eine Tortenschlacht zu schade - ein großer, anarchischer Kin-dergeburtstag auf Zelluloid. |
Originaltitel
What's up, Doc?
Land
Jahr
1972
Laufzeit
94 min
Genre
Regie
Bewertung
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