Was war man freudig überrascht, als Woody Allen vor drei Jahren nach langer Durststrecke mit "Match Point" sowohl ein guter Film als auch ein Kassenerfolg gelang. Gegönnt hatte man es ihm und hoffte auf das neue kreative Feuer, dass ja offenbar durch sein zeitweises Übersiedeln ins alte Europa entfacht wurde, als langjährige Glut. Zumal ja die neue Muse (auch wenn sie das anders sieht) Scarlett Johansson in drei der mittlerweile vier europäischen Abenteuer mit an Bord ist. Aber die Ernüchterung trat ja leider umgehend ein. In Allens inoffizieller London-Trilogie folgte dem spannenden und durchdachten "Match Point" die unwitzige Farce "Scoop" und die schwache Dublette "Cassandras Traum". Beide variierten Mord und Moral, die Themen von "Match Point" mit absteigendem Erfolg.
Zeit also für einen Orts- und Themenwechsel. Der Ort ist - wenig überraschend angesichts des Titels - Barcelona. Und das Thema ist Lebensentwürfe und die Liebe, und wie eins dem anderen in den Weg kommt. Das erleben unsere beiden Titelheldinnen Vicky (Rebecca Hall) und Cristina (Scarlett Johansson), die ihren Sommer in Spanien verbringen. Die biedere, ihr Leben perfekt vorplanende Vicky will dort für ihre Doktorarbeit über katalanische Kultur recherchieren. Die spontane, romantische Cristina will dort das Leben genießen, und vielleicht auch die Liebe. Beides naht in der gut gebauten Form des Malers Juan Antonio Gonzalez (Javier Bardem), der beide Frauen zu einem romantischen Wochenende in Oviedo einlädt, um gemeinsam gut zu essen, zu trinken und Sex zu haben. Vicky ist schockiert, Cristina ist fasziniert, Juan Antonio ist ungeniert. Als es dann tatsächlich nach Oviedo geht, beginnt für alle drei ein unvergesslicher Sommer.
Unvergesslich ist auch dieser Film, aber nur aus den falschen Gründen. Nämlich als der kreativ faulste, am miesesten durchdachte und vielleicht auch schlechteste Film von Woody Allen. Das Desaster fängt wenige Sekunden nach dem Vorspann an, als man zum ersten Mal die Stimme von (in der Originalfassung) Christopher Evan Welch hört, der uns die beiden Protagonistinnen vorstellt und damit (fast) alle Probleme des Films sofort zur Schau stellt. Es handelt sich hier um den wohl überflüssigsten, dümmsten und ärgerlichsten Erzähler aller Zeiten, dessen absurder Kommentar des Geschehens einen neuen Tiefpunkt in Allens pedantischer Didaktik und fast schon frecher Bequemlichkeit darstellt.
Der Kommentar an sich ist schon ein Riesenfehler, da Welch erstens nicht die Stimme hat, diesen Kommentar mit irgendeiner Art von Leben zu füllen, sei es nun durch Ironie, Pathos oder sonst irgendwas. Stattdessen ist das Erzählen so platt wie das Erzählte. Was uns zum zweiten Riesenproblem bringt: Der Kommentar gibt entweder völlig überflüssige Banalitäten zum Besten ("Nach dem Einräumen der Zimmer trafen sich Vicky und Cristina mit Judy und ihrem Ehemann zum Abendessen, nachdem dieser von der Arbeit gekommen war", gefolgt von einer Einstellung der Gruppe beim Abendessen) oder erklärt dem Zuschauer sämtliche Figuren und ihr Innenleben, so dass Allen dies dann auch gar nicht mehr groß darstellen muss. Nichts wird einem hier bildlich vermittelt, nichts wird filmisch dargestellt, es wird einem alles verbal vorgekaut und in inakzeptabler Form vorgesetzt. Allen war ja noch nie ein großer visueller Erzähler, aber die Untiefen erzählerischer Faulheit, die er hier erreicht, bleiben trotzdem eine Frechheit.
Und wenn man sich nicht gerade aufgrund des Off-Erzählers die Haare vom Kopf reißen will, dann macht man das bei den Dialogen der Figuren. Da wird es nämlich keinen Deut besser. Alle reden in Sätzen, die keine normale Person über die Lippen bringen würde, und auch hier nichts sonderlich gewitzt oder intelligent, es ist alles stumpfe Exposition, alles ein ödes Aufzählen von Standpunkten. Dadurch wirkt nicht eine der Figuren auch nur ansatzweise menschlich oder gar glaubwürdig. Allens Figuren waren ja immer hauptsächlich Sprachrohr seiner Betrachtungen und seiner Neurosen. Aber niemals wirkte das so peinlich, aufgesetzt und unglaubwürdig wie hier.
Dazu passt dann noch sein absurdes Männer- und Frauenbild. Frauen wissen hier sowieso nicht was sie wollen, lassen sich schon aufgrund der Haarfarbe einteilen in vorgeblich prüde aber eigentlich doch willige Lebensplanerinnen (Brünette) und leichtlebige Lebefrauen mit versteckter Sensibilität (Blondinen). Der spanische Mann ist die Ausgeburt von maskuliner Virilität, er ist natürlich charmant, aber auch wild und leidenschaftlich, und weil das aus den platten Dialogen und Machismoklischees offenbar noch nicht deutlich genug hervorgeht, wird noch mal schell der Erzähler heran gerufen um darauf zu verweisen, wie wild und leidenschaftlich Juan Antonios Kunst doch sei. Vielleicht hätte man Bardem einfach ein Schild "wilder, leidenschaftlicher Künstler" umhängen sollen, subtiler wäre es nicht gewesen.
Aber so geht Allen schließlich mit jedem um. Penelope Cruz etwa gibt die wilde, impulsive Kûnstlerin, weswegen sie auch ordentlich laut schreien darf, weil wir ja alle wissen wie sie so sind, die Südländer. Wir wissen ja auch wie sie so sind, die Künstler, deswegen darf sie dann auch Hüte tragen und Fahrrad fahren, wohl die dümmsten Hollywoodklischees für "kreative Person", und malt ohne BH im knappen Outfit, was natürlich nichts mit Allens Sexismus zu tun hat, sondern mit ihrer wilden ungezügelten Leidenschaft in Kunst und Leben. Oder so was in der Art.
Apropos Sexismus, nicht mal die niedersten Instinkte des Publikums werden hier bedient: Sex wird immer gut versteckt, ob durch Abblende oder Kulissen, und die vormals PR-tauglich publizierte, heiße lesbische Romanze ist so heiß wie dieser Film gut ist. Zwei zarte Küsschen erlaubt Allen Frau Cruz und Frau Johansson. Nicht mal kurz freudig vor sich hinsabbern darf man hier also. Stattdessen: mehr Irritation, mehr abgeschmackte Klischees.
Zum Thema Irritation darf man hier rechtschaffen auch Scarlett Johansson zählen, die sich hier von ihrer unattraktivsten (nicht körperlich!) Seite zeigt, was aber hauptsächlich Allen zu Last gelegt werden darf, der ihr schlichtweg eine so absurde wie flache Figur der Möchtegern-Bohème zuschiebt, aus der nichts herauszuholen ist. Bardem und Cruz dürfen bzw. müssen in Latinoklischees schmoren und wenn die bisher unbekannte Rebecca Hall hier noch am besten wegkommt, liegt das mit Sicherheit nicht an ihren pseudopsychologischen Dialogen, sondern einfach daran, dass sie von allen Unglücklichen hier noch die knapp Glücklichste ist.
Man weiß ja angesichts dieser schier unglaublichen Menge an platten Stereotypen und schlechten Regieentscheidungen nicht, ob Allen das jetzt wirklich ernst meinen kann oder sich nicht doch heimlich über seine wandelnden Klischees lustig macht. Aber dafür gibt's erstens keine Anzeichen und zweitens wäre das ja auch nicht unbedingt erstrebenswerter. Denn dann könnte man den Nihilisten Allen auch gleich noch als Misantrophen bezeichnen, der sich gleich doppelt bösartig gegenüber den Mitmenschen zeigt - einmal seinen Darstellern gegenüber, die hier übel verheizt werden, was man mit Leuten wie Bardem schlichtweg nicht macht, und zum zweiten dem zahlenden Publikum gegenüber, das sich nicht zwangsläufig als Versuchskaninchen für derlei böses Spiel missbrauchen lassen will.
Nein, das soll wohl schon alles ernst gemeint sein, was es freilich noch schlimmer macht. Man lacht nicht, man leidet nicht, man fiebert nicht mit, man weiß nicht, was das eigentlich alles soll. Allen vielleicht ja auch nicht, aber ein Film pro Jahr muss wohl raus, für Ego oder Haushaltskasse. Die Lösung der jetzt wieder länger werdenden kreativen Krise, die hier ihren vorläufigen Höhepunkt (bzw. Tiefpunkt) findet, heißt daher nicht "Vicky Cristina Barcelona". Sondern Woody Schaffenspause Sofort.
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