Tsotsi

Originaltitel
Tsotsi
Land
Jahr
2005
Laufzeit
95 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Margarete Prowe / 14. Juli 2010

Die Goldjungen-Jury, die "Academy of Motion Picture Arts and Sciences", machte es sich dieses Jahr ziemlich einfach. Nominiert wurden zwar kontroverse Filme, doch die Wahl traf dann auf die eher gefälligen Vertreter. So erhielt der umstrittene "Brokeback Mountain" zwar einen Regie-Oscar, wurde dafür aber nicht bester Film. Diesen Titel heimste dafür das weitaus unstrittigere Drama "L.A. Crash" ein. Ebenso verhielt es sich bei den fremdsprachigen Filmen: Statt dem favorisierten palästinensischen Beitrag "Paradise Now entschied man sich für den im Verhältnis unverfänglicheren Beitrag aus Südafrika. Das heißt nicht, dass "Tsotsi" ein schlechter Film ist, aber trotzdem handelte es sich bei dieser Oscarisierung doch um eine politische, weil beabsichtigt unpolitische Entscheidung.

Der 19-jährige Tsotsi (Presley Chweneyagae) ist ein gefürchteter Gangster in seinem Viertel am Rand von Johannesburg, der sich weder Gedanken um die Vergangenheit noch um die Zukunft machen will. Eines Tages schießt er eine Frau an, um ihr Auto zu stehlen. Doch während seiner Flucht bemerkt er, dass auf dem Rücksitz ein Baby liegt. Tsotsi entschließt sich spontan, den Säugling zu behalten, und will ihn in seiner Hütte mit Dosenmilch aufziehen. Da er jedoch weder stillen noch Windeln wechseln kann, zwingt er eine junge Mutter (Terry Pheto) aus dem Township mit Waffengewalt dazu, "seinem" Kind die Brust zu geben. Derweil ist ihm die Polizei schon auf den Fersen, während Tsotsis Gangsterbande auseinander bricht.

"Tsotsi" ist nach "Drum" und "U-Carmen" schon der dritte südafrikanische Film, der innerhalb kurzer Zeit international vermarktet wird. War schon der Opernfilm "U-Carmen" unkonventionell durch in der Landessprache Xhosa gesungene Texte, so geht "Tsotsi" noch darüber hinaus: Hier wird der Slang der Townships, Tsotsi-Taal (eine Mischung aus Afrikaans und lokalen Sprachen wie Zulu, Xhosa, Tawana und Sotho) verwendet, den nicht einmal alle Südafrikaner verstehen. Musikalisch ist es die Musik der Townships, Kwaito, in der rhythmisch rezitierte Gesänge über einen instrumentalen Hintergrund mit starker Basslinie gelegt werden, die "Tsotsi" vorwärts drängt und den manchmal etwas gemächlichen Einstellungen Kraft und Tempo gegenüberstellt.
Das gleichnamige Originalbuch, auf dem "Tsotsi" basiert, ist der einzige Roman des südafrikanischen Dramatikers Athol Fugard. Der Roman spielt in den 50ern, wurde in den 60ern geschrieben, aber erst 1980 veröffentlicht. Für den Film wiederum wurde die Handlung in die jetzige Zeit gelegt. Der weiße Autor beschäftigte sich in seinen Theaterstücken mit der Apartheid in Südafrika, wodurch ihm die Regierung 1961 sogar seinen Pass für vier Jahre entzog.
Der Film "Tsotsi" ist eher farbenblind, da die Gräben zwischen menschlichen Gruppen hier nicht entlang der Hautfarbe, sondern entlang der Armutsgrenze gezogen werden. Das Ehepaar, dessen Kind gestohlen wird, ist ebenso schwarz wie die Armen im Township, hat es aber zu finanziellem Status gebracht, der mit hohen Zäunen vor der Masse geschützt wird. Es gibt nur einen weißen Charakter im gesamten Film, einen Polizisten, der nett und freundlich ist. Die Einführung eines "Quotenweißen" kann belächelt werden, hat aber wenig mit dem Leben im Township zu tun, wo Aids und Armut und nicht der weiße Teil der Bevölkerung heute eine Rolle spielen. Obwohl in diversen Szenen große Werbebanner gegen Aids zu sehen sind, wird das Thema jedoch nicht explizit erwähnt. Man erfährt nur, dass Tsotsis Mutter an einer ansteckenden Krankheit litt, die aber nicht mit Namen genannt wird.
Tsotsi selbst hat eigentlich keinen Namen, wie gleich am Anfang des Films klargestellt wird, da "Tsotsi" in den Townships einfach nur ein Gangmitglied beziehungsweise einen jungen Kriminellen am Rand der Gesellschaft bezeichnet. Obwohl die Regierungspartei ANC, der Pan African Congress und das Black Consciousness Movement versuchten, diese Jugendgangs in disziplinierte politische Aktivitäten zu integrieren, sind bis heute alle am Problem der Tsotsis gescheitert.

"Tsotsi" wurde untypischerweise in Wide Screen auf 35 mm gedreht, und wirkt daher wie ein großes Epos. Die Bilder stechen in ihrer sorgsamen Komposition deutlich hervor. Die Farb- und Lichtwahl prägen auch die Charaktere. Während es in Tsotsis Hütte eher düster ist, spielen die Sonnenstrahlen in der Hütte der jungen Mutter Miriam auf den bunten Mobiles aus Glasscherben, die sie bastelt. Dies ist visuell sehr effektiv, rückt den Film aber näher an die Grenze des Kitsch, die mit Fortschreiten des Films irgendwann leider überschritten wird.
Während der Anfang des Films soziale Zustände anprangert, wandelt sich die Handlung bald zum Erweckungsdrama, in dem sich die Läuterung des Protagonisten durch bombastische Klänge und die biblisch angehauchten, langen Einstellungen deutlich von der ersten Hälfte absetzt. Gerade die verklärende Inszenierung der Miriam als Madonna ist ein Beispiel für Übereifrigkeit in der Verwendung von Symbolen, wie man sie eher in einem italienischen Papstfilm á la "Johannes XXIII." erwartet.
Durchweg gelungen ist hingegen die Besetzung. Regisseur Gavin Hood ("A Reasonable Man") suchte gezielt nach Laiendarstellern für "Tsotsi" und fand besonders mit dem Hauptdarsteller Presley Chweneyagae ein Juwel. Chweneyagaes Leistung ist nicht zu unterschätzen, da er mit wenigen Worten, doch meist nur mit Gestik und Mimik die Wandlung Tsotsis glaubwürdig porträtiert.

So ist "Tsotsi" ein visuell bestechender, eindrucksvoll gespielter Film, der mit Klängen und Farben ein Bild von den Townships zeichnet, wie wir es bisher nicht gesehen haben. Obwohl das Werk mehrfach mit "City of God" verglichen wurde, haben beide doch sehr unterschiedliche Ansätze, wenn es darum geht, die Charaktere in ihrer tragisch-absurden Situation zu zeigen. Tsotsis Läuterung durch das Baby, das er aufnimmt, und die verklärenden Bilder machen den südafrikanischen Vertreter eindeutig kitschiger.
Es ist bitter, dass "City of God" keine einzige seiner vier Oscar-Nominerungen vergolden konnte, doch 2004 war leider das Jahr des Herrn der Ringe. Dafür sahnte nun "Tsotsi" die begehrte Trophäe ab, was mal wieder zeigt: Die Oscar-Jury mag es, wenn böse Charaktere am Ende gut sind und alle glücklich nach Hause gehen. "Tsotsi" war halt die sichere Wahl: Ein bisschen harte soziale Realität, aber bloß nicht zu aufdringlich; schöne Bilder, aber trotzdem "echt" durch authentische Sprache, Musik und tolle Laiendarsteller. Das Leben kann auch schön sein - sogar in den Townships.


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