Till - Kampf um die Wahrheit

Originaltitel
Till
Land
Jahr
2023
Laufzeit
130 min
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Matthias Kastl / 2. Februar 2023

Während sich im Rest des Landes zumindest schon erste zarte Knospen von Vernunft zeigten, sah sich die schwarze Bevölkerung im amerikanischen Bundesstaat Mississippi in den 1950er Jahren noch immer mit einem besonders hasserfüllten Klima der Rassentrennung konfrontiert. Organisierte Lynchmorde wurden mehr oder weniger geduldet und ihre Aufklärung spätestens durch die rassistisch geprägten Gerichte verhindert. Die brutale Ermordung des erst 14-jährigen schwarzen Jungen Emmett Till im Sommer 1955 und der leidenschaftliche Einsatz dessen Mutter für die Verurteilung der Mörder sollte aber zu einem ersten Weckruf für das ganze Land werden.

Diesem in Deutschland eher unbekannten Anfangskapitel der amerikanischen schwarzen Bürgerrechtsbewegung widmet sich nun das Drama "Till" auf hochemotionale Weise, indem es die Geschichte ganz aus der persönlichen Sicht von Emmetts Mutter schildert. Dank einer furios aufspielenden Hauptdarstellerin, einer tollen Bildsprache und vielen wirklich zutiefst bewegenden Momenten gelingt Newcomer-Regisseurin Chinonye Chukwu dabei ein so eindrückliches Werk, dass man nach dem Verlassen des Kinos erst einmal kräftig durchatmen muss.       

Auslöser der dramatischen Ereignisse ist ein harmloser Verwandtenbesuch. Doch Mamie (Danielle Deadwyler, "The Harder They Fall") hat schon im Vorfeld der Mississippi-Reise ihres Sohnes Emmett (Jalyn Hall) zu dessen Großonkel Moses (John Douglas Thompson) gehörig Bauchschmerzen. Schließlich lebt sie mit ihrem Kind in der Großstadt Chicago, wo Rassismus zwar ebenfalls an der Tagesordnung ist, bei weitem aber nicht die extremen Auswüchse wie in den Südstaaten annimmt. Auch der Hinweis von Emmetts Großmutter (Whoopi Goldberg), dass Emmett doch vernünftig genug sei, um sich aus Ärger rauszuhalten, können Mamie die Angst nicht nehmen. Und tatsächlich sind die Folgen einer harmlosen Provokation seitens des Jungens gegenüber einer weißen Frau dann der Startschuss für Ereignisse, welche die düstere Vorahnung Mamies auf erschütternde Weise wahr werden lassen.


Es ist nicht das erste Mal, dass sich das amerikanische Kino mit dem Rassenhass und den abscheulichen Gräueltaten an Schwarzen im Bundesstaat Mississippi auseinandersetzt. Auch wenn "Till" zeitlich deutlich früher angesiedelt ist als ein "Mississippi Burning" oder "Die Jury", treffen wir auch hier wieder auf durchaus vertraute Storyelemente. Von alten weißen Männern besetzte Geschworenengerichte, die kaum Hoffnung auf Gerechtigkeit machen. Die Angst der schwarzen Bevölkerung den Mund aufzumachen angesichts drohender brutaler Vergeltungsschläge. Oder der durchaus auch zu hinterfragende Druck der schwarzen Bürgerrechtsbewegung auf die Angehörigen der Opfer, trotz Lebensgefahr doch bitte möglichst öffentlichkeitswirksam die Täter anzuklagen.

Doch auch wenn "Till" all diese Elemente aufgreift, geht es dem Film am Ende weniger um eine intellektuelle als viel mehr eine emotionale Auseinandersetzung mit dem Thema. Der Film stellt in erster Linie die Angehörigen der Opfer und deren Leiden in den Vordergrund, weniger das rassistische System in welchem die Taten stattfinden. Er legt viel mehr Wert darauf zu zeigen, was ein solch grausames Verbrechen eigentlich mit dem Innenleben der Angehörigen macht und wie diese irgendwie versuchen mit ihrer Ohnmacht und Wut klarzukommen. So sind die wichtigen Momente hier nicht der Schlagabtausch der Anwälte vor Gericht oder die abschließende Urteilsverkündung, die hier passenderweise nicht mehr als eine kurze Meldung im Radio ist. Nein, das Herz des Films bilden stattdessen ganz andere Szenen.


Eine Mutter, die still noch einmal den Ausgangsort des Verbrechens besucht. Emmetts Onkel, der sich verzweifelt dafür rechtfertigen muss, warum er die Entführung des Jungen nicht verhindern konnte. Oder eine Großmutter, die es kaum ertragen kann einst den Enkel zu dessen Reise ermuntert zu haben. Das mag auf dem Papier alles furchtbar melodramatisch klingen, ist hier aber so ruhig und feinfühlig umgesetzt, dass der Film nie Gefahr läuft zu manipulativ oder aufgesetzt zu wirken. Und so gewinnt diese ja doch relativ vertraut wirkende Geschichte auf einmal eine viel persönlichere und vor allem emotionalere Dimension.

Einen großen Anteil daran hat vor allem die Hauptdarstellerin, denn wie bewegend die bisher eher unbekannte Danielle Deadwyler zwischen Erschütterung und Fassung bewahren navigiert ist schlichtweg beeindruckend. Eine grandiose Leistung, die einen vollkommen einnimmt und leider nicht mit einer verdienten Oscar-Nominierung bedacht wurde. Auch viele der Nebendarsteller nutzen die Chance kleine bewegende Momente zu kreieren. Da darf man dann ruhig auch mal darauf hinweisen, dass wir es hier mit einer so gut wie ausschließlich schwarzen Schauspielriege zu tun haben – während bei den oben genannten Filmen ja Hollywood dann doch lieber den weißen Anwalt oder weißen Ermittler in den Mittelpunkt rückte. Gerade weil man sich ganz auf die schwarze Community fokussiert gelingt es dem Film noch stärker die Ungerechtigkeit und die damit verbundene Angst und Ohnmacht der schwarzen Bevölkerung angesichts des scheinbar unbezwingbaren Systems aufzuzeigen. Und so wird dann auch selbst eine kleine Zeugenaussage hier zu einem berührenden Akt des Mutes.  


All das ist von der Newcomerin Chinonye Chukwu wundervoll einfühlsam inszeniert und wird um ein gutes Auge für spannende Bildausschnitte ergänzt. Oft ruht die Kamera lange auf den Protagonisten und es entstehen zusammen mit einer tollen Lichtsetzung teils fast poetisch anmutende Bilder, die eine unglaubliche emotionale Wucht entfalten.    
Gleichzeitig übertreibt man es aber auch nicht und begeht nicht den Fehler seine Figuren zu heldenhaft in Szene zu setzen. Und so muss man schon genau schauen, um zumindest ein paar Schwächen zu entdecken. Der Soundtrack könnte in manchen Momenten etwas unaufdringlicher sein und zu Beginn gibt man den dunklen Vorahnungen von Mamie dann doch etwas übertrieben viel Raum.

Am Ende bleibt aber ein Film, der eine unglaubliche emotionale Wucht entfaltet, die man so in den letzten Jahren nur selten im Kino erleben durfte. "Till" ist ein Film, der am Ende weniger zur Diskussion anregt, sondern viel mehr zum Schweigen, da man das Bedürfnis hat, diese ganzen Emotionen sich jetzt erst mal setzen zu lassen. Und so fügt Chinonye Chukwu und ihr Team der Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung ein starke emotionale Facette hinzu, die einem auch in einem über 7000 Kilometer vom Tatort entfernten deutschen Kino ziemlich an die Nieren geht.

Bilder: Copyright

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