Momentan vergebe ich neun Augen am laufenden Band. Das ist kein Zufall, denn es ist Oscar-Zeit. Damit die Erinnerung der Academy-Mitglieder zum Zeitpunkt der Abstimmung noch möglichst frisch ist, bringen die meisten Studios ihre Prestige-Objekte zu einem möglichst späten Zeitpunkt raus. So wird Jahr für Jahr im November/Dezember der amerikanische Markt mit all den grandiosen Filmen überschwemmt, auf die man so lange gewartet hat. Mit drei bis vier Monaten Verspätung kommt diese Flut dann zu uns, und eine der mächtigsten Wellen dieses Jahres trägt den Titel „Three Kings“.Es ist März 1991, mitten in der arabischen Wüste, und der Waffenstillstand zwischen dem Irak und den Allierten ist so frisch, daß der erste Satz des Films „Sollen wir schießen?“ lautet, als sich ein paar amerikanische Soldaten mit einem flaggenwedelnden Iraker konfrontiert sehen. Die Party in den Armee-Lagern ist in vollem Gange, als die drei Soldaten Troy Barlow (Mark Wahlberg), Chief Elgin (Ice Cube) und Conrad Vig (Spike Jonze) beim Aufgabeln einiger Kriegsgefangener einen Iraker mit einer Karte im Arsch treffen (ja, die Karte steckt wirklich in seinem Arsch). Darauf verzeichnet sind einige Bunker, in denen die irakische Armee Kriegsbeute aus Kuwait verwahrt. Seargeant Archie Gates (George Clooney) überrascht die drei bei der Observierung der Karte, doch anstatt sie anzuzeigen, übernimmt er die Führung. Zwei Wochen vor seiner Entlassung könnte er ein paar Millionen in Goldbarren gut gebrauchen. Am nächsten Morgen will man schnell mal über die Grenze dampfen, einen Bunker ausräumen und bis zum Mittagessen wieder zurück sein. So einfach ist das. Oder auch nicht. Die Vier treffen nicht wirklich auf Probleme, denn die Iraker sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Die Armee hat alle Hände voll damit zu tun, die aufständischen Zivilisten in Schach zu halten. Diese wollen den Sturz Saddam Husseins, vertrauend auf amerikanische Hilfe, zugesichert von George Bush persönlich: „Wenn ihr Hussein angreift, werden wir da sein, um euch zu helfen.“ Sie greifen ihn an, aber keiner hilft. Als Gates und Konsorten zum Bunker kommen, versteckt in einem Brunnen auf einem Dorfplatz, sind ihnen die irakischen Soldaten sogar beim Raustragen des Goldes behilflich, Hauptsache, sie sind schnell wieder weg. Die Amerikaner sind zusehends verwirrt durch die um Hilfe bettelnden Einheimischen, aber schließlich sind sie nur wegen des Goldes hier. Das ändert sich sehr schnell, denn die Eskalation ist unaufhaltsam, und so finden sich die geldgeilen Soldaten mitten in feindlichem Gebiet wieder, ohne Wagen, dafür aber mit ca. 50 Zivilisten, die auf ihre Hilfe bauen. David O. Russell hat mit seinem ersten Werk unter einem großen Studio die filmische Verarbeitung des Golfkrieges eingeläutet, und wirft erstmal so ziemlich alle Gepflogenheiten über Bord, die man aus Kriegsfilmen zu kennen glaubt. Die etwas merkwürdige Genre-Einordnung „Action-Dramödie“ vermittelt ziemlich genau, was für eine wilde Mischung den Zuschauer hier erwartet: Zwischen absolut köstlichen Dialogen und grandioser Situationskomik sowie packenden Action-Szenen pflanzt Russell Passagen tiefster Ernsthaftigkeit, die Töne auf dem Moral-Klavier anschlagen, denen amerikanische Komponisten bisher tunlichst aus dem Weg gegangen sind. Die guten Jungs in diesem Film sind wild zusammen geworfen: Gates will nichts mehr als sich einen schönen Ruhestand gönnen, Barlow hat ein frisch geborenes Baby samt Ehefrau zuhause, Elgin ist ein streng gläubiger Christ, der sich von einem göttlichen Ring aus Feuer beschützt fühlt, und Vig ist der durchschnittliche Trottel ohne Job und ohne Schulabschluß. Sie alle wollen nur eins, und das ist das große Geld. Sie mißachten Befehle und brechen den Waffenstillstand, profitgierige Deserteure auf einem typischen Beutezug nach Ende eines Krieges. Und dennoch sind sie die Guten. Und es nicht so, daß sie die Guten sind, weil sie Amerikaner sind. Sie gelangen in eine Situation, in der man nichts anderes mehr kann, als moralisch zu handeln, es sei denn, man ist emotional bereits tot. Die USA an sich kommen hier ziemlich mies weg, und in einer grandios geschriebenen Verhör-Szene wird die heuchlerische Schönfärberei dieses Krieges auf den Punkt gebracht: Es ging hier einzig um die Rettung von Öl-Reserven, nicht um die Rettung von Menschen. In keinem Krisengebiet der Welt greifen die USA so schnell ein wie in diesem, denn hier geht es um ihren Treibstoff. Als das Öl gesichert war, sind sie wieder verschwunden, während die irakische Armee aufständische Zivilisten niedermetzelte. Russell läßt kein gutes Haar an politischer oder militärischer Führung, und so ist sein Film so unamerikanisch, wie man es von einem Amerikaner nur erwarten kann. Und das ist bei weitem noch nicht alles. Speziell visuell bietet „Three Kings“ erstaunlich genial-neue Ansätze. So ganz nebenbei entwirft der Film zwei brillante Konzepte, wie man einen Gewehrschuß zeigen kann. Weiterhin scheint Kameramann Newton Thomas Sigel seine Stative allesamt zuhause gelassen zu haben, denn der Film schwelgt geradezu in grandioser Handkamera-Arbeit, die nicht nur das Tempo verschärft, sondern auch an den richtigen Stellen ein Gefühl von unkoordinierter Hektik gibt. So wird der Zuschauer mitten hinein gezogen in die Handlung, und Russell gelingt es, wirklich rüberzubringen, was es heißt, in so einer Situation zu sein. Und das war immer noch nicht alles. Russell und Sigel verwenden für jeden der drei Akte ihres Films verschiedenes Filmmaterial, so daß „Three Kings“ in seinen ersten Szenen wie eine unbearbeitete Dokumentation aussieht, mit harten Farben in körnigen Bildern, nur um anschließend in beinahe über-echten Farben und Details zu baden. Selbstverständlich hat das einen tieferen Sinn, den sollte man aber schon selber rausbekommen. Und es geht immer noch weiter: „Three Kings“ ist so ziemlich der erste amerikanische Film, in dem arabische Charaktere nicht in die üblichen Klischees gezwängt werden, entweder Terroristen oder dumme Mullas oder beides. Russell’s Drehbuch gibt den arabischen Figuren genau so viel Tiefe wie den amerikanischen, eine Leistung, auf die er wirklich stolz sein kann, die aber auch essentiell für die Message seines Films ist. Denn wenn in der bereits erwähnten Verhör-Szene die Gemeinsamkeiten zwischen dem irakischen Folterer und seinem amerikanischen Opfer immer offensichtlicher werden, dann kristallisiert sich mehr heraus als die simple Erkenntnis, das es im Irak ebenso Menschen gibt wie in den USA (oder im Kosovo, oder in Ost-Timor): Die USA hatten in diesem Krieg nur einen wirklichen Feind, einen Mann mit einem dicken schwarzen Schnurrbart, in einem Ledersessel hinter einem riesigen Mahagoni-Schreibtisch irgendwo in Bagdad. Der Mann sitzt immer noch da. Besiegt wurde in diesem Krieg nur das irakische Volk, und das war nie der Gegner. Sieht so ein glorreicher Feldzug aus? Wer glaubt, das war jetzt alles, hat sich getäuscht. Auf diesen gigantischen Haufen von Grandiositäten legt Russell noch eine Schippe drauf, indem er seinen Film mit großartigen Kleinigkeiten untersetzt, jede für sich genommen Thema genug für einen ganzen Aufsatz. In Archie Gates‘ erster Szene sehen wir, wie er es mit der Assistentin einer Kriegsreporterin treibt. Diese Szene charakterisiert weniger Gates als das allgemeine Verhältnis zwischen Armee und Medien in diesem Krieg und ist somit die so ziemlich geilste Metapher, die ich dieses Jahr in einem Film gesehen habe (irgendwie ein dämlicher Satz, Anfang Januar). Besagte Kriegsreporterin, für deren Eskorte Gates eigentlich eingeteilt ist, begleitet uns in einem Subplot durch den ganzen Film und sorgt in wenigen Szenen für eine phantastisches Portrait der kranken aber dennoch bewundernswerten Leidenschaft ihres Berufszweiges. An anderer Stelle sehen wir Chief Elgin zusammen mit seinen neuen irakischen Kampfgefährten niederknien und beten. Sie beten zu zwei verschiedenen Göttern, aber dennoch wirkt es, als würden sie dasselbe tun, und in gewisser Weise tun sie das auch. Und als letztes Beispiel: Als der erste Bunker gestürmt wird, laufen die Soldaten auf der Suche nach Gold durch Räume mit anderer Kriegsbeute, wie Mikrowellen, Mixer, Stereoanlagen oder Fernseher. Und auf einem der Bildschirme läuft, im Vorbeilaufen nur ganz kurz erkennbar, das Rodney King-Video. Make up your own mind about it. Ich könnte noch vieles erzählen, denn „Three Kings“ ist voll von diesen Szenen, die man so schnell nicht wieder vergisst. Die tiefsinnigen, die nachdenklichen, die packenden, aber auch die grotesken und die saukomischen (ich sage nur „Kuh“ und „Handy“). Und die ganze Zeit ist alles eingetaucht in Russell’s wahnsinnig mitreißenden Stil, der den Film zu einer visuellen Orgie macht, obwohl das Drehbuch alleine schon zu einem Geniestreich gereicht hätte. Das Ende will da leider nicht mehr so richtig reinpassen, und ist daher eines der verschwindend wenigen Mankos, die „Three Kings“ an der Höchstwertung vorbeirutschen lassen. Trotzdem: Einer der ganz ganz großen Filme dieses Jahres, absolutes Pflichtprogramm. Auf halber Strecke durch den Film, als die versammelten Pressevertreter sich langsam klar wurden, was sie hier vor sich hatten, wurde ich Zeuge dieses kurzen Dialoges zweier Herren hinter mir: „Das ist mal was anderes.“ „Mal was ganz anderes.“ Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen. |
Originaltitel
Three Kings
Land
Jahr
1999
Laufzeit
112 min
Regie
Release Date
Bewertung
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