Larry
Gopnicks bis dahin geordnetes Leben in einer Kleinstadt im mittleren
Westen gerät innerhalb kurzer Zeit völlig aus den Fugen.
Das bevorstehende Bar Mitzwa-Ritual von Sohn Danny und die rebellische
Tochter Sarah sind dabei noch die kleineren Aufreger, deutlich anstrengender
ist da schon das leicht gestörte Sozialverhalten des seit einigen
Wochen bei der Familie lebenden Onkel Arthur. Als dann noch Ehefrau
Judith verkündet sich trennen und zukünftig mit Sy Ableman,
einem Freund der Familie, zusammen leben zu wollen, bricht für
Danny zumindest innerlich eine Welt zusammen. Dass schließlich
durch die Erpressungsversuche eines durchgefallenen Studenten auch
noch seine Beförderung in Gefahr gerät, passt dann schon
fast mit ins Bild. Larry gelangt zu der Erkenntnis, dass jetzt nur
noch der Rat des örtlichen Rabbi helfen kann. Doch auch das
ist leichter gesagt als getan, denn der weise Mann ist schwer beschäftigt.
Und zwar aktuell mit dem Hören von "Jefferson Airplane"-Musik.
Wenn
Joel und Ethan Coen die Handlung ihres neuen Films in einer jüdischen
Gemeinde des Jahres 1967 ansiedeln, dann liegt die Vermutung nahe,
dass zwei der kreativsten Filmemacher überhaupt zu etwas bereit
sind, was sie so bisher nicht getan haben, nämlich aus ihrer
eigenen Vergangenheit zu erzählen. Nun muss man bei diesen
beiden Spaßvögeln natürlich immer darauf achten,
ihnen nicht allzu sehr auf den Leim zu gehen und den armen Larry
Gopnick ungeprüft als ihr autobiographisches Alter Ego anzusehen.
Aber allzu viel Geheimniskrämerei gibt es gar nicht bei diesem
Projekt, denn die Regisseure und Autoren der Geschichte räumen
freimütig ein, sich bei den Charakteren zwar größtenteils
fiktiv ausgetobt, dabei aber sehr viel Wert auf eine akkurate Darstellung
des Milieus gelegt zu haben.
Die Details der Ausstattung bieten also einen schönen Einblick
in die damaligen Verhältnisse dieser keineswegs kleinen ethnischen
Minderheit, und vieles davon dürfte sich auch im Verlauf der
letzten Jahrzehnte nur wenig verändert haben. Konsequenterweise
ist "A Serious Man" daher auch nicht mit prominenten Namen
besetzt. Wo der Vorgänger "Burn
after Reading" noch mit Brad Pitt und George Clooney auftrumpfen
konnte (und so eine stattliche Menge Publikum mit völlig falschen
Erwartungen anzog), haben wir es nun mit weitgehend unbekannten
Theaterschauspielern überwiegend jüdischer Herkunft zu
tun. Gut sind die aber natürlich auch und vor allem Hauptdarsteller
Michael Stuhlbarg legt seinen arg geprüften Larry mit genau
der richtigen Mischung aus stoischer Schicksalsergebenheit und purer
Verzweiflung an, die einen als Zuschauer emotional mit ihm auf die
holperige Reise gehen lässt.
Vielleicht
auch um von vornherein zu demonstrieren, dass wir uns hier nicht
mehr im Mainstream-Land der Kategorie "Ladykillers"
oder "Ein (un)möglicher
Härtefall" befinden, stellen die Coens ihrem aktuellen
Werk einen Prolog voran, der eine (neu ausgedachte) jüdische
Legende erzählt, stolze einhundert Jahre früher spielt
und in dem auch ausschließlich jiddisch gesprochen wird. Von
diesem Kabinettstückchen lässt sich zwar nur schwerlich
eine inhaltliche Verbindung zur Hauptgeschichte ziehen, rein atmosphärisch
fügt es sich aber ganz hervorragend ein und weist so doch irgendwie
auf das dann Folgende hin.
Für den Rest der Laufzeit darf man sich dann auf die typischen
und offensichtlich nie uninteressant werdenden kleinen skurrilen
Einfälle eines echten Coen-Films freuen und wieder einmal ein
paar hoffnungslos mit der Situation überforderten Menschen
dabei zuschauen, wie sie sich bemühen inmitten all des gesellschaftlichen
Wahnsinns ihre Würde zu behalten. Oberstes Ziel scheint es
dabei zu sein das zu erreichen, was der stets höflich und gönnerhaft
agierende, in Wahrheit aber unendlich eitle und egoistische Sy Ableman
innerhalb der Gemeinde darstellt. Der gilt als "Serious Man"
und Larry wäre doch so gerne ebenfalls einer, nicht zuletzt
um sich den Respekt und die Liebe seiner Frau zurückzuholen.
Der Weg dahin beinhaltet jedoch erstmal eine Reihe von Demütigungen,
etwa wenn die fremdgegangene Noch-Ehefrau und ihr Liebhaber allen
Ernstes von Larry erwarten, er möge doch bitte aus dem Haus
aus- und in ein nahe gelegenes Motel ziehen - was Larry dann tatsächlich
auch tut! Den lästigen Bruder Arthur nimmt er dabei gleich
mit, doch verbirgt sich hinter dessen anstrengender Oberfläche
ein zutiefst sensibles Wesen und ein kleines geistiges Genie.
Zu erleben, ob und wie es Larry gelingt die aus den Fugen geratenen
Fäden seines Lebens wieder zusammenzufügen, ist ein großes
Vergnügen und soll hier nicht im Detail beschrieben werden.
Die Schlusspointe des Films allerdings ist an Zynismus und Bösartigkeit
kaum zu übertreffen und dürfte dann endgültig jeden
Stammzuschauer amerikanischer Fließbandware leicht verstört
zurücklassen. Den Freunden von Joel und Ethan Coen aber dürfte
sie gefallen und eher noch dazu beitragen, sich entspannt zurückzulehnen.
Denn nach ihrem leichten Durchhänger von vor ein paar Jahren
(der durch den Oscar-gekrönten "No
Country for Old Men" eindrucksvoll beendet wurde) beweist
auch "A Serious Man" erneut und vielleicht endgültig:
Die Brüder sind immer noch voll da.
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