
With a bit of a mind flip
You're into a time slip
And nothing can ever be the same.
You're spaced out on sensation
Like you're under sedation.
Let's do the time warp again!
Kult as Kult can: Wohl kein Film der Welt wird von einer derart enthusiastischen Fangemeinde so frenetisch und standhaft gefeiert wie die "Rocky Horror Picture Show". Trotz des extrem inflationären Gebrauchs der Bezeichnung "Kultfilm", die sich heutzutage auf jedem zweiten Leihvideo findet: Nirgends ist sie so angebracht wie hier. Denn bei kaum einem anderen Film kann das Angucken selbst zu einem derlei kultisch-kultigen Ereignis werden: Für eine ordentliche Vorführung der "Rocky Horror Picture Show" braucht jeder Zuschauer eine Handvoll Reis, eine Zeitung, Wasserpistole, Taschenlampe, Klopapier, Rasseln, und ein paar Gummihandschuhe. Von der selbstverständlichen Verpflichtung zum konsequenten Mitsingen und -tanzen gar nicht erst gesprochen.
Die "Rocky Horror Picture Show", basierend auf dem von Richard O'Brien (der im Film den Butler Riffraff spielt) erdachten Bühnenstück, hatte es zum Kultstatus allerdings auch nicht weit: wohin sonst soll es einen Film treiben, der Science-Fiction-Trash mit einer Musical-Parodie vermischt und dabei ein mitreißendes Plädoyer für sexuelle Selbstentfaltung hält?
Die Verbeugung vor seinen glorreich-fürchterlichen Vorgängern der 50er Jahre B-Film-Welt nimmt die Rocky Show schon mit dem Eröffnungssong vor: "Science Fiction Double Feature" ist gleichzeitig Ode an und Parodie auf billigste SciFi-Streifen, in deren Tradition sich der Film fortan genüsslich suhlt - inklusive der ganz bewusst auf schlecht getrimmten Schauspielleistungen und den hübsch trashig aussehenden "Spezialeffekten".
Doch auch die klischeehafte Welt des Musicals wird ausreichend gewürdigt: Herrlich die verklemmte Romantik im gegenseitigen Liebesgeständnis des jungen Paares Brad und Janet, das sich auf dem Weg in einen konservativ-kuscheligen Kurzurlaub wähnt - bis ihr Wagen in gewittriger Nacht schlapp macht und sie in einem nahegelegenen Haus um Hilfe bitten. Zu dumm nur, dass dies ausgerechnet das Anwesen von Frank N. Furter ist. Und spätestens, wenn sich dieser als "Sweet Transvestite from transsexual Transsylvania" vorstellt, haben wir den Kosmos des Normalen längst verlassen. Mit dem "Time Warp", die ultimative Mitsing- und Tanznummer des Films, reist auch der Zuschauer an der Seite von Brad und Janet in die verrückte Welt von Frank N. Furter, in der sich Motive aus den schrottigsten Kapiteln der Science Fiction reihenweise die Hand geben: von Frankensteins Monster bis zur drohenden außerirdischen Invasion ist ganz sicher nichts dämlich genug, um in dieser brillanten Satire-Collage nicht verwurstet zu werden.
Doch die transsexuelle Freakshow in den Gemäuern des Frank N. Furter ist weit mehr als ein Mittel zum spektakulären Zweck: Unter ihrer knallbunt-verrückten Oberfläche war und ist die "Rocky Horror Picture Show" auch ein Plädoyer für die offene Verwirklichung des eigenen Verlangens. Stellvertretend für alle verstockten Spaßbremsen dieser Welt werden dem prüden Pärchen Brad und Janet erst die Klamotten und schließlich alle Hemmungen genommen - wenn sich am Ende die gesamte Besetzung in Strapsen gekleidet bei einer Orgie wiederfindet, ist es ganz egal, wer vorher alles mit wem geschlafen hat.
Die "Rocky Horror Picture Show" ist ebenfalls ein Zeugnis der maskierfreudigen 70er Jahre, als es kaum etwas Aufregenderes gab, als der langweiligen, grauen Alltagsexistenz in einem wild gestylten Über-Ich zu entkommen - der Wegfall jeglicher Regeln und das Ausleben von allem, worauf man Lust (in jedem Sinne) hat, war die Traumwelt des Egomanen-Jahrzehnts und der letzte Schritt der sexuellen Revolution, als auch einstmals als pervers verstoßene Eigenheiten und Vorlieben akzeptiert wurden. Die "Rocky Horror Picture Show" ist daher auch Sinnbild für jede Form der Selbstverwirklichung und -befreiung, verdeutlicht z.B. in Alan Parkers Coming-of-age-Film "Fame" von 1980, wo ein Besuch der Rocky Show für die oberkorrekt erzogene Doris Finsecker zum Initiationserlebnis ihrer rebellischen Natur wird.
Einen besonderen Spaß bietet die "Rocky Horror Picture Show" auch als Rückblick auf die jungen Jahre inzwischen alteingesessener Damen und Herren: Die renommierte Oscar-Preisträgerin Susan Sarandon hat hier ihren ersten berühmten Auftritt an der Seite von Barry Bostwick, der heute den New Yorker Bürgermeister in der Comedy-Serie "Chaos City" spielt. Und der heftig das Haus rockende (und anschließend verspeiste) Biker Eddie, das ist die stimmgewaltige Rockmusik-Legende Meat Loaf, noch vor seinem ersten großen Hit "Bat out of hell". Nur Tim Curry lieferte als Frank N. Furter eine so brillante Vorstellung ab, dass er sich nie wieder davon lösen konnte - wo auch immer man heute seinem breiten Grinsen begegnet, man denkt stets zurück an die gute alte "Rocky Horror Picture Show". Und wenn einen dann die Lust auf eine Runde "Time Warp" überkommt, dann sollte man dem auch nachgeben. Denn wer Selbstverwirklichung und die Freude am puren Spaß nicht ganz nach oben stellt, der hat Frank N. Furters Abschiedsbotschaft sowieso nie richtig zugehört:
"Give yourself over to absolute pleasure.
Swim the warm waters of sins of the flesh -
erotic nightmares beyond any measure,
and sensual daydreams to treasure forever.
Can't you just see it?
Don't dream it, be it."
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