Reconstruction

Originaltitel
Reconstruction
Land
Jahr
2003
Laufzeit
91 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 17. Januar 2011

Auch Dänen denken über die Liebe nach, nur etwas anders als der Rest der Welt. Diesen Eindruck erwecken zumindest die jüngsten filmischen Beiträge zum Thema. Nachdem Ex-Dogmatiker Thomas Vinterberg kürzlich in "It's all about Love" schon recht abgehoben seine Ansichten über die Geheimnisse des Herzens zum Besten gab, legt Nachwuchs-Regisseur Christoffer Boe jetzt noch eins drauf: Sein Erstling heißt zwar "Reconstruction", tatsächlich wird hier aber zuerst einmal dekonstruiert - nämlich die Konventionen der gebräuchlichen Film-Lovestory, bis kaum noch Handlung, und umso mehr Metaphorik übrig bleibt.
"Alles ist ein Film. Alles ist konstruiert. Und tut trotzdem weh." Dieses Motto stellt Boe an den Anfang und das Ende seines Films, und macht daher schon von vornherein klar, dass eine gewöhnlich strukturierte Handlung hier nicht zu erwarten ist. Stattdessen werden den Zuschauern von Beginn an die Sinne geschärft für die Doppelbödigkeit der Geschichte dieses Films, die für bare Münze genommen nur bedingt Sinn machen würde: Da haben wir den jungen Fotografen Alex, der mit seiner Freundin Simone zwar recht glücklich ist, aber einen unbestimmten Wunsch nach dem kleinen bisschen Mehr zu hegen scheint. Geradezu im Vorbeilaufen verguckt er sich in Aimee, die attraktive Frau des Schriftstellers August Holm, und folgt ihr in eine Bar, wo ein merkwürdig vertrautes Gespräch zwischen den beiden beginnt, das schließlich im Hotelbett endet. Am nächsten Tag ist die Welt für Alex nicht mehr die selbe, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Wo einst seine Wohnung war, findet sich nur eine verschlossene Speichertür, und niemand scheint ihn mehr zu kennen: Nicht die Vermieterin, nicht der beste Freund, noch nicht einmal Simone. Einzig Aimee weiß noch, wer er ist, doch auch sie ist ihm nicht sicher: Ihr Ehemann August fürchtet um seine Frau und beginnt, um ihre Liebe zu kämpfen.

Wer am Ende dieser leicht alptraumhaften Geschichte auf eine zufriedenstellende Auflösung hofft, ist hier garantiert im falschen Film, denn wie die Eröffnungsbemerkung schon klar machte: Alles ist konstruiert. Und nicht so, dass es als "realistische" Story Sinn macht, sondern so, dass es eine tiefere Aussage erzeugt. Regisseur und Autor Boe verstrickt geschickt verschiedene Interpretationsebenen, legt zum Beispiel die Möglichkeit nahe, dass Alex nur eine Figur in einer selbstreflexiven Kurzgeschichte des Schriftstellers August ist, und erschafft dabei einen Film, der trotz all seiner betonten Konstruiertheit Wirkung zeigt.
Das liegt zum einen an den gelungenen Charakteren, deren jeweils eigenes emotionales Dilemma fast von ihrem ersten Auftritt an spürbar ist, zum anderen aber vor allem an der schlicht kongenialen Inszenierung von Boe und seinem Kameramann Manuel Alberto Claro. Als würden sie hier auch einen Anti-Dogma-Film machen (eine verständliche Reaktion für einen dänischen Nachwuchs-Regisseur, der sich von dem programmatischen Purismus von Lars von Trier und Konsorten distanzieren will), lassen die beiden ihrem visuellen Einfallsreichtum freien Lauf, mischen Einflüsse von Tom Tykwer ("Lola rennt") bis Darren Aronofsky ("Requiem for a Dream") und entwickeln mit eindringlichen Motiven eine Bildsprache von erstaunlicher Aussagetiefe.
Die ist allerdings auch nötig, denn ansonsten würde "Reconstruction" für den weniger Arthouse-trainierten Zuschauer ganz schnell zum verkopften, unverständlichen Traktat verkommen - ein Urteil, das trotz der gelungenen Inszenierung nie so ganz fern liegt. Denn "Reconstruction" ist eine einzige große Metapher, in deren Tiefen sich so ziemlich jede allgemeine Wahrheit über die Liebe und unsere Suche danach versteckt, mitunter in mehreren Varianten. Dass Simone und Aimee von derselben Schauspielerin dargestellt werden, hat dementsprechend auch weit mehr Bedeutung, als der Regisseur freiwillig zugeben will: Der behauptet, er hätte einfach mit keiner anderen als Marie Bonnevie, "die schönste und talentierteste Schauspielerin in Skandinavien", arbeiten wollen - und da es zwei weibliche Rollen gab, musste sie eben beide spielen.

Wer vielschichtiges Arthouse-Kino mag, wird an "Reconstruction" seine reine Freude haben. Soviel einladenden Spielraum für Selbst-Interpretationen kriegt man im Kino höchstselten serviert, und dementsprechend verwundert es nicht, dass sich der Film letztes Jahr zum Festival-Liebling mauserte, und unter anderem in Cannes den Preis für den besten Debütfilm einsacken konnte. Wer im Kino nicht gerne mitdenkt, wird sich mit "Reconstruction" ganz sicher schwer tun, doch das Prädikat "Nicht Jedermanns Sache" kann dennoch nicht verhehlen, dass Christoffer Boe mit seiner eigenwilligen, prägnanten Inszenierung Eindruck hinterlässt. Auch wenn alles konstruiert ist: Es wirkt trotzdem. Und darauf kommt es schließlich an.


10
10/10

einfach unglaublich...
wie schon oft hier erwähnt..er..dieser film lässt einen nicht mehr los..ohne worte!

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10/10

Schöner geht nicht.
Stieß zufällig gegen 00.30 anhand meines sonst meist nur rumstehenden Fernsehers dazu.
Schlafen war danach nicht mehr.
Hat sich bei mir festgesetzt da, wo außer "Der Spiegel" nur wenige Zutritt fanden.

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10
10/10

Bin auch eben zufällig auf diesen Film gestoßen und er hat mich völlig mitgenommen. Ich war selten so aufgewühlt nach einem Film. Wird mich wohl nur langsam wieder loslassen diese Nacht. Wow!

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