Rache war schon immer ein äußerst dankbares Thema im Kino. Für ein widerfahrenes Unrecht Vergeltung zu suchen, ist eine für wohl jeden Zuschauer nachvollziehbare Motivation und diente Filmemachern seit jeher als Ausgangssituation für komplexe Fragestellungen über Schuld und Sühne oder auch einfach nur als inhaltliche Rechtfertigung für spektakuläre Schauwerte in Sachen Action und Gewaltdarstellung. Rachegeschichten sind wahrscheinlich so alt wie das Geschichtenerzählen selbst, und dennoch fällt auf, dass gerade in den letzten paar Jahren einige der bemerkenswertesten Beiträge, die das internationale Filmgeschehen zu bieten hatte, von Menschen handeln, die einzig und allein von dem Wunsch nach Vergeltung angetrieben werden. "Kill Bill", Quentin Tarantinos furiose Liebeserklärung ans Exploitation-Kino, kommt einem hier natürlich als erstes in den Sinn. Noch mehr beeindrucken konnten allerdings zwei Filme, in denen die Protagonisten im Gegensatz zur von Uma Thurman dargestellten ‚Braut' keine Befriedigung durch die Erfüllung ihrer Rachegelüste erfahren. Gaspar Noés atemberaubend kühner "Irreversibel" versagt auch dem Zuschauer schon allein durch seine Struktur der umgekehrten Chronologie jegliches Nachempfinden der besinnungslosen Wut seiner Hauptfigur. Er verzichtet somit ganz bewusst auf die einfachen Mechanismen des ‚Rape and Revenge'-Subgenres, dem er rein inhaltlich zunächst anzugehören erscheint, und schickt sein Publikum stattdessen auf einen bisweilen kaum erträglichen Höllentrip von beispielloser Intensität. Ähnlich unbarmherzig, wenn auch mit wesentlich nüchternerem Blick, überraschte im selben Jahr Park Chan-wooks "Sympathy for Mr. Vengeance" aus Südkorea. Rache bedeutet hier ebenfalls keine Erlösung, weder für die Figuren noch für den völlig geplätteten Zuschauer, der eine derart fesselnde Kombination aus formaler Brillanz, inhaltlicher Komplexität und allgemeiner Kompromisslosigkeit selbst angesichts Parks bereits sehr gutem vorherigen Film, dem Grenz-Drama "Joint Security Area", nicht erwarten konnte.
Dass einem Meisterwerk wie "Sympathy for Mr. Vengeance" kein regulärer deutscher Kinostart vergönnt war, ist zutiefst bedauerlich, doch dem zweiten Teil von Parks angekündigter Rache-Trilogie wird die verdiente Aufmerksamkeit offenbar nicht verweigert werden. Der lose auf einem japanischen Manga basierende "Oldboy" gewann den Großen Preis der Jury in Cannes, die Remake-Rechte sind bereits in die USA verkauft, und auch in Deutschland dürfte der Film dank diverser Festival-Einsätze und hoffentlich engagiertem Verleih sein Publikum finden.
Schon die Ausgangssituation verheißt ein nicht alltägliches Kinoerlebnis: Der Familienvater Oh Dae-su wird entführt und in ein Zimmer gesperrt. Man versorgt ihn mit Essen und Kleidung, doch niemand spricht mit ihm. 15 Jahre lang wird er gefangen gehalten, ohne zu wissen, wer ihn aus welchem Grund derart bestraft. Aus dem Fernsehen erfährt er vom Tod seiner Frau, und dass er wegen Mordes an ihr gesucht wird. Als er eines Tages in Freiheit erwacht, weiß er längst, dass es für ihn keine Rückkehr zur Normalität mehr geben wird. Oh Dae-su will nur noch seinen Peiniger finden und sich für sein zerstörtes Leben rächen.
Schon mit diesem Auftakt vermag "Oldboy" den Zuschauer vollkommen in seinen Bann zu ziehen, und auch während seiner kompletten Restlaufzeit verblüfft Park Chan-wook mit einem inhaltlichen und stilistischen Einfallsreichtum, der bei anderen Regisseuren locker für fünf Filme gereicht hätte. Manch einem mag die hier präsentierte Ideenvielfalt schon wieder zu viel des Guten sein, und die Auflösung der Geschichte wird sicher ebenfalls nicht ungeteilten Beifall finden. Doch gerade die Art, wie eigentlich eher bizarr bis abstrus anmutende Elemente hier vollkommen ohne "Guckt mal wie abgefahren ich bin"-Attitüde präsentiert werden, fasziniert. Auch wenn bei "Oldboy" im direkten Vergleich mit "Sympathy for Mr. Vengeance" gelegentlich ein etwas offensichtlicherer Humor aufblitzt und der Film allgemein etwas zugänglicher als sein Vorgänger wirkt, gibt es auch hier Szenen von schmerzhafter Intensität, und gegen Ende offenbart die äußerst konsequente Geschichte eine bittere Tragik, die eine zu befürchtende Kategorisierung als ‚asiatisches Genrekino' endgültig absurd und hilflos erscheinen lässt.
Vielmehr reiht sich Parks Film souverän in die Reihe der Werke ein, die eine strikte Unterscheidung von Genre- und Kunstkino längst unmöglich machen. Auch wenn "Oldboy" mit einer ganzen Reihe der kostbareren "So was hab ich ja noch nie gesehen"-Momente aufwarten kann, kommt man nicht umhin, an dieser Stelle kurz den Namen David Fincher fallen zu lassen, denn trotz des durchaus einzigartigen Gesamteindrucks erinnert Oh Dae-sus Suche nach Vergeltung zwischenzeitlich ein wenig an Michael Douglas' Erlebnisse in "The Game". Die filmische Umsetzung der Geschichte hält wiederum Vergleichen mit "Fight Club" durchaus stand. Sprich: Park begeistert abermals mit einer schlichtweg brillanten Inszenierung auf allerhöchstem technischen Niveau und mit einem Einfallsreichtum, der nur noch staunen lässt. Dabei hat man noch nicht mal den Eindruck, den Regie-Eskapaden eines Mannes zuzusehen, der hier etwas beweisen will. Park Chan-wook präsentiert die unglaublichsten Dinge mit einem zumeist gelassenen Blick und kann wohl inzwischen als Filmemacher mit ganz eigener Handschrift und ganz eigenem Weltbild angesehen werden.
Man könnte noch viel sagen über "Oldboy". Über die Atmosphäre, über die Ausstattung, über die Musik, über die Darsteller, über den Tintenfisch. Über die großen Fragen, die der Film aufwirft, und über die kleinen Details, denen er ebenso viel Aufmerksamkeit widmet. Über seine Grausamkeit und seine Schönheit. Man könnte auch sagen, dass der ruhigere, ernstere und fokussiertere "Sympathy for Mr. Vengeance" vielleicht ein sogar noch besserer Film ist. Egal. "Oldboy" muss man selbst sehen. Ansonsten verpasst man eines der aufregendsten, packendsten und faszinierendsten Erlebnisse, die das Kino derzeit zu bieten hat.
Neuen Kommentar hinzufügen