
David Lynch, der 1997 mit "Lost Highway" nach fünfjähriger Pause auf der Leinwand fulminant reüssierte, bekam ein Jahr später vom US-Sender ABC den Auftrag, die Pilotfolge für eine geplante TV-Serie namens "Mulholland Drive" zu inszenieren. Nach Sichtung des Materials allerdings schlugen die Bosse die Hände über den Köpfen zusammen und erklärten das Projekt für gestorben. Über Umwege landete Lynch dann in Frankreich, wo sich Geldgeber fanden, die es dem Regisseur ermöglichten, aus seinem Material durch nachträgliche Drehwochen und eine ordentliche Postproduction einen eigenständigen Kinofilm zu machen. Nachdem in der Zwischenzeit "The Straight Story" in den Kinos angelaufen war, kann man nun dort Lynchs neuesten Geniestreich "Mulholland Drive" bewundern, der wie die Essenz aus seinen bisherigen Werken daherkommt.
Versuch einer Rekapitulierung: Eine Frau (Laura Elena Harring) überlebt einen Mordanschlag, und versteckt sich in der Wohnung von Betty Elms (Naomi Watts), einer angehenden Schauspielerin. Sie hat ihr Gedächtnis verloren, und nach einem Blick auf ein Filmplakat nennt sie sich Rita. Die beiden Frauen freunden sich an, und zusammen versuchen sie, Ritas Vergangenheit auf die Spur zu kommen.
Parallel: Der erfolgreiche Regisseur Adam Kesher (Justin Theroux) bekommt in einem Treffen, in dem über die Besetzung für seinen neuen Film gesprochen werden sollte, die Hauptdarstellerin von zwei bestimmend auftretenden Männern aufgezwungen, die im Namen eines ominösen Mannes handeln, der allein in einem Sessel sitzt und nur per Telefon mit der Außenwelt kommuniziert. Diese beiden Handlungsstränge kreuzen sich schließlich, und spätestens ab diesem Punkt muß jede Nacherzählung der Handlung scheitern. Der Film, der sich bis dahin wie ein zwar ungewöhnlicher, aber dennoch verständlicher Thriller ausgab, wirbelt nun die Personenkonstellationen und Zeitebenen durcheinander. Alles, was vorher so klar und einleuchtend erschienen war, stellt sich nun als Täuschung heraus, und ein kognitives Nachvollziehen des Geschehens auf der Leinwand ist nicht mehr möglich. Das Großartige bei Lynch ist es aber, daß seine äußerst komplexe Montagetechnik durchaus Sinn zu haben scheint, und man nach Ende des Films das Gefühl hat, daß das ganze Geschehen absolut schlüssig ist; ähnlich wie bei "Lost Highway" hat man den Eindruck eines geschlossenen Kreises.
"Mulholland Drive" gewährt dem Zuschauer einen Einblick in das faszinierende Lynchland, das wohl nur derjenige wirklich erfassen kann, der alle bisherigen Filme des Regisseurs gesehen hat und nachvollziehen konnte. Trotzdem scheint sich ein erkennbarer roter Faden durch seine Werke zu spinnen. Die Abgründe, die sich hinter der scheinbar normalen Oberfläche verbergen, sind auch in diesem Film wieder Thema. Nicht umsonst spielt der Film in Hollywood, und die Ereignisse zum Ende des Films hin ergeben sich anscheinend aus einer Persönlichkeitsspaltung heraus.
Manche Kritiker wenden gegen Lynch und seine Filme ein, daß er die Zuschauer nur verarschen wolle, indem er Filme dreht, die keiner versteht und sich dann darüber amüsiert, wie die Leute versuchen, darin einen Sinn zu entdecken. Tiefsinnige Kunst oder total Schwachsinn sind bei Lynch die beiden entgegengesetzten Pole, dazwischen gibt es nichts. Was man von Lynch halten soll, bleibt jedem selbst überlassen. Doch um sich eine Meinung zu bilden, muß man sich seine Filme anschauen; und das möglichst mehrmals.
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