Seien Sie mal ehrlich, wenn ich Ihnen folgende Zusammenfassung gebe, würden Sie den entsprechenden Film sehen wollen? Ein Über-zwei-Stunden-Film über das Stehlen von Heizöl-Tanklastern und die fehlende Kreditwürdigkeit des angehenden Heizölmagnaten mit ziemlich genau zwei Actionszenen. Wer jetzt sofort sagt „Nö“, verpasst einen sehr gut gemachten Film, hat aber mit seiner Idee, dass dieser Film ein gewisses Langeweilepotenzial innehat, auch nicht ganz unrecht. „A Most Violent Year“ macht es seinen Zuschauern nicht einfach und nur Freunde des geduldigen, langsamen Erzählkinos werden hier auf ihre Kosten kommen. Denn anders als sein Titel es vermuten lässt, gibt es hier recht wenig Gewalt zu sehen (der Titel bezieht sich auf die diversen Gewalttaten, die 1981 New York erschütterten und über die Abel - und somit der Zuschauer - immer bruchstückhaft im Autoradio hört) und das wie schon erwähnt auch nur in ganz wenigen Szenen. Und auch wenn an den Rändern der Gangsterfilm so ein wenig durchblitzt, letztendlich ist dieser Film ein Drama, mit zudem reichlich speziellem Thema und Setting.
Wir befinden uns im New York der frühen 1980er Jahre. Abel Morales (Oscar Isaac) hat gerade einen riesigen Immobliendeal unterzeichnet, für dessen Finanzierung ihm 30 Tage bleiben. Eigentlich kein großes Problem, aber der Chef einer Heizölfirma wird durch Umstände außerhalb seiner Kontrolle in die Bredouille gebracht: Seit einiger Zeit werden in schöner Regelmäßigkeit auf offener Straße und mit Waffengewalt seine Tanklaster gestohlen. Dabei ist es nicht nur der finanzielle Verlust, den Abel zu spüren bekommt, sondern vor allem ein Imageproblem. Die Fahrergewerkschaft will auf seinen Touren alle Fahrer mit Waffen ausstatten, um sich verteidigen zu können, eine Idee, die Abel konsequent ablehnt. Zudem wird ihm noch von dem Stattsanwalt Lawrence (David Oyelowo) mächtig eingeheizt, der Abel und seiner Frau Anna (Jessica Chastain) Unregelmäßigkeiten in der Leitung ihres Geschäfts nachweisen will. Und so droht das eigentlich schon unter Dach und Fach gebrachte Geschäft dem Aufsteiger langsam aber sicher zu entgleiten...
Na, klingt diese Zusammenfassung jetzt nicht so, wie man das von Dramen mit einem Hauch von Thriller erwartet hat? Die Antwort auf diese Frage hängt sicherlich von den Referenzen ab. Nein, mit einem Gangsterepos à la „Goodfellas“ oder gar „Der Pate“ hat man es hier nicht zu tun, auch wenn das Thema des legitimen Geschäfts mit oder ohne Korruption (oder der Frage, wieviel Korrupution tragbar ist) ja durchaus in diesen Filmen mitschwingt. Nein, man wird im Vergleich eher fündig bei den Filmen von Sidney Lumet, der ja nicht nur am liebsten sein geliebtes New York ablichtete, sondern sich auch öfter und durchaus langwierig mit der Stadt und ihrer Korruption auseinandersetzte, etwa im „Prince of the City“ oder in „Power“. Und so sieht „A Most Violent Year“ tatsächlich aus wie ein vergessener Film aus Lumets Filmographie, dessen Setting dank makelloser Ausstattung genau so gut zeitgenössisch sein könnte. Aber Vorsicht: Lumet ist zwar ein Großer mit einem großen Namen, hat aber neben Klassikern wie „Die 12 Geschworenen“ oder „Hundstage“ auch diverse mittelprächtige Filme mit Längen gedreht. Und gerade die beiden obengenannten Filme, die „A Most Violent Year“ thematisch am Nächsten stehen, haben auch ihre Längen. Und dies gilt eben auch ganz klar für „A Most Violent Year“. Dass Regisseur J.C. Chandor ein Mann für präzise geschriebene und gedrehte Filme mit scharfem Auge für Details ist, hat er bereits mit seinem Debüt „Margin Call“ bewiesen. Und da er sich dort der Finanzwelt widmete, ist der Fokus von „A Most Violent Year“ auf unglamoröse Geschäftsmeetings, das Verstecken von Kartons voller Rechnungen und die Finanzierung eines Immobiliendeals nicht völlig überraschend.
„A Most Violent Year“ ist der Film, den man über die Männer im Hintergrund eines „Goodfellas“ machen würde, die ihre semi-legalen Deals ohne Knarren und Drogen abwickeln. Das ist natürlich weniger spektakulär und aufregend, zumal sich J.C. Chandor konsequent jeder billigen Manipulation verweigert. Wo Scorsese oftmals kongenial Pop- und Rocksongs einsetzt, um Schlüsselszenen zu untermalen (man denke nur an die klassichen Montagen zu „Be My Baby“ in „Hexenkessel“ oder „Gimme Shelter“ in „Goodfellas“) lässt Chandor seinen Protagonisten nur einmal während einer Autofahrt zu ein bisschen R'n'B grooven, ansonsten gibt es einen Score der so zurückgenommen ist wie der Protagonist des Films.
Überhaupt, was für ein Protagonist: Mit Abel Morales haben wir es hier mit einem aufstrebenden Magnaten zu tun, der so gar nicht zu den großspurigen und großmäuligen üblichen Vertretern des Genres gehört. Ruhig und fast in sich zurückgezogen reagiert Abel auf die diversen Stolpersteine, die ihm in den Weg gelegt werden. Er ist ein Mann mit einem Moralkodex, der zwar vielleicht nicht hundertprozentig mit dem Wort des Gesetzbuches übereingeht, aber trotzdem unerschütterlich ist. „The most right way“, will Morales wenn irgend möglich einschlagen, den korrektmöglichsten Weg. Diese Art von nicht-flamboyanter, eingekehrter Hauptfigur ist nicht einfach zu spielen, weshalb sich der Grund, warum „A Most Violent Year“ von der US-Kritik so viel Aufmerksamkeit bekommen hat, in ihrem Darsteller finden lässt. Oscar Isaac ist ein Schauspieler mit enormer Leinwandpräsenz, aber einer Präsenz, die nichts Schauhaftes, Großkotziges hat. Während ein Tom Cruise etwa ja mittlerweile aus purer Not ganze Charaktere um seine grinsende, überselbstbewusste Leinwandpersona herumbauen (und dann dekonstruieren) muss, wie etwa in „Edge of Tomorrow“, spielt Oscar Isaac mal um mal das Gegenteil: Einen ruhigen Mann mit einer viel stilleren Art von Selbstbewusstsein; einen, der aufsteigen will, der aber gleichzeitig seine eigene wenig große Bedeutung für die Welt stillschweigend akzeptiert. Um den eingeschlagenen Vergleich zu beenden: Wo ein grinsender Cruise die Welt rettet, rettet ein mildseliger Isaac die Ehre seiner Charaktere, und manchmal nicht mal das. Sein Gangsterehemann in „Drive“ war zum Scheitern ebenso verurteilt wie sein erfolgloser Folkmusiker in „Inside Llewyn Davis“ - und dennoch ist Isaac nicht der Inbegriff des magnificent loser wie etwa ein William H. Macy oder der ältere Jeff Bridges. Isaac ist ein Chamäleon, das sich vollkommen der Rolle und ihrer Gegebenheit anpasst. Man schaue sich mal Szenenbilder seiner Figuren aus „Drive“, „Inside Llewyn Davis“ und „A Most Violent Year“ an. Wären da nicht die seelenvollen Augen, man wolle kaum glauben, dass es sich tatsächlich um denselben Schauspieler handelt.
Dies gilt vor allem auch hier, wo Isaac mit graumelierter Erik-Estrada-Gedächtnis-Föhnfrisur agiert und sich glatt mindestens zehn Jahre älter macht. Diese Art von Schauspielleistung ist meistens zu subtil und zu wenig extrovertiert, um mit Oscars oder anderen Preisen überhäuft zu werden, und die völlig missratene Veröffentlichungspolitik des Studios von „A Most Violent Year“ hat dann zusätzlich dafür gesorgt, dass Isaac nicht mal eine Nominierung abbekommen hat. Dies ist genau die Art von kleinem, unspektakulärem Film mit subtiler aber umso besserer Darstellerleistung, die sich ihr Lob durch Mundpropaganda erarbeiten muss – daher ist es so unverständlich wie desaströs, dass „A Most Violent Year“ in den USA am letztmöglichen Termin, dem Sylvestertag 2014 gestartet wurde und somit genau Null Chance hatte, sich den Leuten ins Gedächtnis zu arbeiten. Ergebnis: genau null Oscarnominierungen, auch wenn Isaac und vielleicht auch Jessica Chastain als seine Frau mit leichten Tendenzen zur Lady Macbeth diese verdient hätten.
Und so kann dieser Film als einzige Auszeichnung nur auf einen möglichst großes Publikum hoffen, dass sich trotz des wenig glamourösen Dramas im Deckmantel des Fast-Gangsterfilms für einen Film begeistern kann, der vor allem von seinem Hauptdarstellerpaar fabulös gespielt und was Ausstattung und Stil betrifft ohne Tadel ist, dessen Erzähltempo aber eben manchmal auch die Konsistenz von Molasse hat. Das nur als erst gemeinte Warnung für diejenigen, die sich erst bei der Wahl des Films vertun und dann mit „noch nie so einen langweiligen Film gesehen“ garnierte Ein-Augen-Bewertungen abgegeben wollen. Ein guter Gradmesser sind dazu auch die Filme von James Gray, etwa der damals auch vom Rezensenten gnadenlos unterschätzte „The Yards“, der in Tempo, Atmosphäre und Story diverse Parallelen aufweist. Wer sich mit jenem Film anfreunden konnte, der liegt auch hier richtig, und wer das damals schon zum Sterben langweilig fand, der sollte hier fernbleiben. Alle anderen können hier aber den besten Film sehen, der jemals über Heizöllieferanten gedreht wurde!
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