Micmacs - Uns gehört Paris!

Originaltitel
Micmacs
Land
Jahr
2009
Laufzeit
104 min
Genre
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Frank-Michael Helmke / 6. Juni 2010

Die Brötchen werden wieder kleiner für Jean-Pierre Jeunet. Nachdem er Anfang dieses Jahrzehnts mit "Die fabelhafte Welt der Amelie" den gesamten Kino-Globus im Sturm eroberte, sah es ganz danach aus, als würden von nun an große Dinge für den fantasievollen Franzosen ("Delicatessen", "Alien - Die Wiedergeburt") folgen. Doch sein nächstes Projekt "Mathilde - Eine große Liebe" (wieder mit "Amelie" Audrey Tautou in der Hauptrolle), als Leinwand-Epos im Oscar-Format geplant und mit jede Menge Kohle aus Hollywood finanziert, erwies sich nach sehr langer Produktionsgeschichte als höchstens mäßig beeindruckend und auch nur sehr mäßig erfolgreich. Die Regie für den fünften Harry Potter-Film, die im zwischenzeitlich angeboten wurde, wollte Jeunet nicht übernehmen, und so hieß es im Jahre Acht nach Amelie dann zurück nach Hause, Schluss mit internationalen Großproduktionen und wieder mal einen "kleinen", eigenwilligen Film machen voller skurriler Ideen und schräger Gestalten.

Klingt ein bisschen wie "Amelie", ist es aber leider nur bedingt. Dafür hat sich Jeunet als Star seines neuen Films den momentan heißesten Star von ganz Frankreich geschnappt. Der Komödiant Dany Boon ist zwar kein Posterboy, hat aber den Mega-Erfolg "Willkommen bei den Sch'tis" zu verantworten und ist ergo von der Bretagne bis ins Elsass so beliebt wie Will Smith und Adam Sandler zusammen. In "Micmacs" spielt er Bazil, der als Kind zur Halbwaise wird, als sein Vater in unschönen Kontakt mit einer Landmine kommt, und 20 Jahre später ein unaufgeregtes Leben als Videothekar führt, bis es vor dem Laden zu einer Schießerei kommt und Bazil einen Querschläger in den Kopf kriegt. Die Kugel wird von den Ärzten im Kopf gelassen um zu vermeiden, dass Bazil zu wandelndem Gemüse wird. Zurück aus dem Krankenhaus muss Bazil feststellen, dass er Job und Wohnung verloren hat und nun ziemlich planlos dasteht. Schließlich findet er Anschluss an eine wunderliche Gruppe von Gestalten, die unter der Obhut der mütterlichen Cassoulet (Yolande Moreau) in einer Art Höhle auf einem Schrottplatz leben. Als Bazil dann herausfindet, dass die beiden Waffenkonzerne, welche die Vater-tötende Landmiene sowie die Kugel in seinem Kopf hergestellt haben, ganz in der Nähe angesiedelt sind, kann er sich bei der Umsetzung eines recht außergewöhnlichen Rachefeldzugs auf die Mithilfe seiner neuen Freunde verlassen.

An sich ist hier alles, wie man es aus Jeunets besten Filmen "Delicatessen" und "Amelie" kennt und liebt: Eine Welt mit sanftem Hang zum Absurden, bevölkert von angenehm schrägen Gestalten, von denen niemand wirklich schön, aber alle durchaus liebenswert sind, und alle naselang hüpft eine aberwitzige Idee oder ein skurril-amüsantes Detail durchs Bild, einfach nur, weil es nett anzusehen und einfach mal was anderes ist.
Doch während sich diese Mischung bei "Amelie" zu einem genialen Gesamtkunstwerk der Glückseligkeit ergänzte, bleibt "Micmacs" leider Stückwerk, das sich nicht so recht zu einem runden Ganzen zusammenfügen mag. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es Jeunet und sein Co-Autor Guillaume Laurant vor lauter Einfallsreichtum versäumen, ihren Hauptfiguren klare Konturen zu geben. So wirkt Bazil weitestgehend wie ein Mensch ohne echte Eigenschaften, der auch seinen Schicksalsschlägen ziemlich stoisch begegnet, was wiederum nicht zu dem Rachefeldzug-Motiv gegen die verantwortlichen Waffen-Konzerne passt. Die bunte Schrottplatz-Truppe merkwürdiger Individuen bleibt geschlossen auf die ihre Schrägheit begründenden Charakteristika reduziert, ihre potentiell Konturen verleihende Hintergrundgeschichte (wo kommen sie alle her und wie kam es dazu, dass sich die Gruppe an diesem Ort formte) bleibt im Dunkeln. Es scheint fast so, als würden sich Jeunet/Laurant jenseits der Skurrilität ihrer Figuren nicht weiter für sie interessieren. Weshalb die Truppe letztlich zu einer oberflächlichen (wenn auch liebevollen) Freakshow verkommt.
Am meisten steht sich "Micmacs" jedoch selbst im Weg, weil er keinen seiner Ansätze so richtig zu Ende führt. Hier wird viel angerissen und dann einfach liegen gelassen, der bunte Strauß an verrückten Ideen und kuriosen Details wirkt zum Teil vollkommen beliebig und entsprechend konfus zusammengewürfelt. Aus dem Aufhänger, dass Bazil eine Kugel im Kopf hat, die ihn theoretisch jeden Moment umbringen könnte, wird zum Beispiel eigentlich überhaupt nichts gemacht. In anderen Momenten reißt der Film selbstironisch die Mauer zwischen Leinwand und Zuschauer ein, wenn seine Helden diverse Male an Werbeplakaten für eben jenen Film vorbeifahren, in dem sie gerade spielen, oder Bazil nach einer erschütternden Nachricht aus einem Gebäude tritt, die Soundtrack-Musik unheilschwanger hochfährt - und die Kamera dann auf einer großen Treppe hinter Bazil ein komplettes Orchester ins Bild rückt, das eben jene Soundtrack-Musik intoniert. Eine an sich schöne Idee, die für sich allein stehend aber einen Ton anschlägt, der im Rest des Films nicht weiter bespielt wird, und mit ihrer ironischen Brechung der Filmrealität letztlich nur die Distanz zwischen Zuschauer und Leinwandhelden noch weiter erhöht.

Auch daran liegt es, dass einem die Abenteuer und Kapriolen von Bazil und Konsorten letztlich ziemlich kalt lassen; ein halbgar ausgeführter Liebessubplot wirkt wie uninspiriert und pflichtschuldig dazu addiert, weil man irgend so was in die Richtung halt auch machen muss; emotional mitgenommen wird man von diesem Film jedenfalls nicht. So bleibt letztlich nur eine Menagerie an mal mehr, mal weniger beeindruckenden Jeunet-Ideen, von denen manche zwar sehr nett, aber auch alle zusammen kein überzeugender Grund sind, dafür nun unbedingt ins Kino gehen zu müssen.

Bilder: Copyright

8
8/10

Schwierig diese Rezension, denn die Kritikpunkte kommen nicht von ungefähr. Was mich aber ein wenig ärgert sind die zwei Maß, mit denen hier oftmals gemessen wird. "MicMacs" ist Effekt-Kino. Und die Effekte sind hier nicht vordergründig die CGI-Einstellungen, sondern Jeunets manigfaltiger Ideenreichtum. Hier gibt's in einer Einstellung mehr Kreativität als in den meisten anderen Filmen. Und das ist durchaus ein Schauwert. (Davon ab, dass der Film einfach ein optischer Genuss ist) Es ist ein Feelgood-Movie, ein filmisches Märchen, das zumindest mir über die gesammte Laufzeit ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Und mehr will der Film auch gar nicht. Er hegt weder politischen Anspruch, noch will er tiefe Dramen oder Gefühle erzählen. Es ist eher ein moderner Stummfilm, eine Verbeugung an die Wurzeln des Kinos.

Die Charaktere sind nicht besonders tiefgründig. Das sind sie bei Avatar auch nicht. Doch da werden 10 Augen gezückt. Auch da geht es ausschließlich um Schauwerte. Aber das ist ja technisch sehr beeindruckend. Hier ist es kreativ sehr beeindruckend und ich finde es schade, dass dies wohl weniger wert zu sein scheint.

Wenn ich bedenke, dass dieser Film die gleiche Wertung hat, wie der neue "Biss alle Vampire einschlafen"-Schund von der Stange, dann wundert es mich nicht, dass das Kino immer mehr Richtung Müllentsorgungsanlage wander.

Aber das ist nur meine Meinung.

Permalink

8
8/10

@MKenda das ist nicht nur deine meinung... ich sehe das ganz genauso.

mich hat der film sehr gut unterhalten und dany boon fand ich auch super. ich muss auch sagen, das man sich eben auf all das einlassen muss was da so passiert. z.b. finde ich schon, das aus der kugel im kopf etwas gemacht wurde. jedes mal wenn bazil eine art "anfall" hat, hatte ich angst er könnte umfallen ohne seinen plan vollendet zu haben. man muss eben einige gedanken die angesprochen werden im kopf behalten ;o)

bewegend fand ich auch die szene als die waffenschmuggler reingelegt werden und die verhüllten frauen mit den kinderfotos dort sitzen.

alles in allem ein durchaus sehenswerter film, dem man allerdings die verwandschaft zu amelie sehr anmerkt. das kann man mögen oder eben nicht.

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