
Wenn Pressevorführungen von Kinofilmen in den Abendstunden stattfinden und zum üblichen Sortiment an Gratis-Getränken neben Kaffee und Cola auf einmal auch Bier gehört, dann ist man meistens gewarnt: In der Hoffnung, dass "schön trinken" auch bei schlechten Filmen funktioniert, scheinen manche Verleiher die berichtende Presse beizeiten mit Alkohol milde stimmen zu wollen, um für miese Streifen ein wohlwollendes Echo zu ernten. Dass man auch bei "Max und Moritz Reloaded" mit einigen Bierkisten begrüßt wurde, hatte aber ausnahmsweise einen anderen Grund und war quasi echt authentisch: Bei einem Film, dessen Grundidee einst einmal in einer schummerigen Kneipe im subversiven Hamburger Schanzenviertel entstand und der offensiv-anarchisch einen dicken Haufen auf alle Regeln und Institutionen scheißt, kann man eigentlich nur eine Flasche Bier in der Hand haben. Alles andere wäre inkonsequent.
"Max und Moritz Reloaded" ist - kurz und gut - so ziemlich die derbste Komödie, die bisher in deutschen Landen hergestellt wurde, und mitnichten irgendein harmlos-lustiges Familienfilmchen, falls jemand nach wie vor eine verklärte Vorstellung des historischen Lausbuben-Comics von Wilhelm Busch hat. Der ist vielleicht ein Klassiker der deutschen Kinderliteratur, aber wenn man genau hinguckt, ist die Geschichte von Max und Moritz eine anarchistische, ordnungsfeindliche Gewaltorgie, und anders hat auch Ex-Knacki und Ex-Sozialarbeiter Eckhard Theophil seine modernisierte Drehbuch-Fassung dieser Rotzlöffel-Saga nicht aufgefasst: Max (Willi Gerk) und Moritz (Kai Michael Müller) sind die beiden Söhne von Rita Reischke (Katy Karrenbauer aus dem "Hinter Gittern"-Frauenknast), die man am treffendsten als professionelle Kneipenschlampe bezeichnet. Kostprobe: In den ersten Filmminuten empfiehlt sie ihren Söhnen, die nackt im Badezimmer vor ihr stehen, dass sie sich beschneiden lassen sollten. Warum? "Damit ihr, wenn ihr groß seid, so richtig geil ficken könnt." Die engelsgleiche Sozialarbeiterin Paula Winter (Franziska Petri) kämpft wie gegen Windmühlen gegen solch wertorientierte elterliche Erziehung, und kann auch nicht verhindern, dass Max und Moritz nach einer Spritztour mit Alkopop-Überdosis und geklautem Auto vom Hamburger Sozialamt in ein thüringisches "Umerziehungslager" abgeschoben werden. Hier bringen die beiden schwulen Ex-NVA-Offiziere Axel Schultz (Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel) und Henry Maschke (Toni Krahl, Frontmann der legendären DDR-Rockband City) westlichen Großstadt-Rotzlöffeln wieder Disziplin bei - allerdings nicht Max und Moritz, die im Schnellverfahren das Camp-Kommando an sich reißen und einen Kleinkrieg mit dem faschistisch veranlagten Luden Mörder-Hanne (Ben Becker) vom Zaun brechen, der im Ort das "Deutsche Mädelhaus" betreibt - ein rein-rassiger Puff, nur mit Nutten aus dem arischen Gen-Pool.
Falls jemandem jetzt noch eine politische Unkorrektheit einfällt, die "Max und Moritz Reloaded" bis zu diesem Punkt noch nicht abgehakt hat - sie wird bestimmt im restlichen Filmverlauf erledigt. Besonders erfrischend in dieser hemmungslos anstandslosen Anarcho-Komödie: Dass man Ostalgie hier endlich einmal ohne Schönfärberei betreibt. Anstatt - wie so ziemlich alle Beiträge zu diesem bedenklichen Retro-Trend - die DDR-Zeit als eigenwillig-versponnene Ära zu präsentieren, in der zwar alles etwas eingeschränkt und merkwürdig, aber eigentlich doch ganz lustig war, redet "Reloaded" endlich mal Klartext: Angesichts der ewig gestrigen Ex-NVA-Offiziere, die der Ordnung und Disziplin des real existierenden Sozialismus hinterher weinen, fragen Max und Moritz "Warum sind im Osten eigentlich alle so blöd gewesen?" und nehmen jeglicher Verklärung damit den Wind aus den Segeln. Hier wird höchst selbstironisch auf die großen Errungenschaften der DDR zurück geblickt, und wenn Axel und Henry versuchen, mit der Eisprinzessin und ostdeutscher Beat-Musik ihren rebellischen West-Gästen die schönen Seiten des Ostens näher zu bringen, ist das einer der größten Lacherfolge in einem Film, dessen brachial vorgehender Humor zumindest in der ersten Filmhälfte ein solch rasantes und ganz und gar unkorrektes Feuerwerk abbrennt, dass man sich hier bereits im nächsten großen deutschen Kultfilm wähnt.
Dass "Max und Moritz Reloaded" diese Klasse nicht halten kann, ist fast schon tragisch, denn just in dem Moment wo man glaubt, jetzt geht's erst richtig los, geht dem Film ganz fix die Puste aus. Als die beiden Lausbuben das Werk des russischen Pädagogen Makarenko entdecken (der Klassiker in der Erziehungspolitik des Ostblocks) und die idealistischen Vorteile des Kommunismus entdecken, glaubt man schon an eine brillante Polit-Satire der Selbst-Umerziehung - doch leider gibt's davon nicht viel. Stattdessen büßt der Film mit jeder Minute mehr Tempo ein und kann auch immer weniger Lacher verbuchen, so dass der Showdown nur noch als lahme und unkomische Gewaltorgie daher kommt. Die Hommage an den Hippie-Kultfilm "Easy Rider", mit der man sich hier aus der Geschichte davon stiehlt, ist als Schlusspunkt für Max und Moritz äußerst unbefriedigend und wird Nicht-Kenner des legendären Biker-Films wohl auch ziemlich ratlos zurück lassen. Dass der letzte Dialogsatz des Duos "Ergibt der ganze Scheiß irgendeinen Sinn für dich?" lautet, ist da fast schon tragisch-selbstironisch.
So nimmt sich "Max und Moritz Reloaded" mit zunehmender Laufzeit leider einiges seiner ursprünglichen Klasse, deren besonderer Charme auch gerade von der offensichtlichen No-Budget-Produktion herrührt - dass niemand für diesen Film besonders viel Fördergelder rausrücken wollte und der Produzent mit ach und krach die nötigen Mittel zusammen kratzte, sieht man dem Film jede Minute an, macht ihn - in seinem anarchisch-subversiven Grundtenor - aber nur umso authentischer und sympathischer.
Viel von seinem Tempo lässt der Film leider mit seinem überladenen Soundtrack auf der Strecke: Mit Katy Karrenbauer, Sebastian Krumbiegel, Toni Krahl und Ben Becker hat man hier gleich vier Akteure dabei, die entweder haupt- oder nebenberuflich selbst Musik machen, weshalb jeder von ihnen ein- oder zweimal im Film eine gesangliche Kostprobe abgeben darf. Das ist bei den nostalgisch-ironischen Neukompositionen von Krumbiegel und Krahl noch ganz gut gelungen, verliert aber spätestens bei Ben Beckers Puff-Version von "Kann denn Liebe Sünde sein" jegliche Handlungsrelevanz und wirkt zusehends unnötig. Immerhin kriegt man locker ein gutes Soundtrack-Album voll.
Ein bisschen weniger Gesinge und ein bisschen mehr treffsichere Polit-Satire wäre trotzdem schön gewesen, dann wäre der Kontrast zwischen der ersten und der zweiten Filmhälfte vielleicht auch nicht ganz so groß und man könnte rundum begeistert die leere Bierflasche auf dem Tresen vor dem Kinosaal abstellen. So ist "Max und Moritz Reloaded" (nur) eine fast brillante, ätzende Anarcho-Komödie geworden, die ihr anfangs schaulaufendes Potential gegen Ende immer weniger zu nutzen weiß, aber immer noch so ziemlich das frischeste und vor allem frechste deutsche Kulturgut ist, dass es in letzter Zeit auf unsere heimischen Leinwände geschafft hat.
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