Justin Kurzel muss ganz schön dicke Eier haben. Der 41-jährige Australier ist mit seinen wenigen Regiearbeiten international bis dato nicht weiter aufgefallen. Trotzdem wagte er sich an eine visionäre Neu-Adaption von Shakespeares "Macbeth" und damit in sehr, sehr große Fußstapfen, zählen zu den Regisseuren, die dieses wohl düsterste und kompromissloseste aller Shakespeare-Stücke zuvor bereits für die Leinwand adaptierten, immerhin legendäre Namen wie Orson Welles, Akira Kurosawa oder Roman Polanski. Umso erstaunlicher, bemerkenswerter und aufsehenerregender ist es, dass Kurzels Version sich hinter seinen Vorgängern nicht zu verstecken braucht. Ganz im Gegenteil. Sein "Macbeth" ist eine wahre Dampframme einer Theater-Adaption, ein cineastischer Kraftakt sondergleichen, bildgewaltig, hypnotisierend, fesselnd, und bietet selbst für eingefleischte Shakespeare-Kenner aufregende neue Ansätze zur Betrachtung und Interpretation. Wenn im Frühjahr die großen Filmpreise verliehen werden, darf man fest damit rechnen, dass dieser Film vorne mitmischt.
"Macbeth" ist die Geschichte des gleichnamigen schottischen Feldherrn, der durch die Prophezeiung dreier Hexen davon überzeugt wird, dass es seine Bestimmung ist, König zu werden, und der diesem Umstand dann auf die Sprünge hilft, indem er seinen König hinterhältig ermordet - angestachelt von seiner skrupellosen und machthungrigen Gattin, Lady Macbeth. Doch kaum zum Königspaar aufgestiegen, sehen sich die Macbeths zu weiteren Bluttaten genötigt, um ihre Macht zu sichern, und werden mehr und mehr von den psychologischen Folgen ihres brutalen und unmoralischen Handelns zerfressen.
Kurzel und sein Drehbuchautoren-Trio reduzieren Shakespeares Tragödie in ihrer Adaption bis auf die nackten Knochen. Manche Figuren des Originalstücks tauchen hier gar nicht auf, die Erzählung konzentriert sich auf das zentrale Handlungsgerüst, und auch wenn alle Worte, die hier gesprochen werden, die originalen Verse des Dichterfürsten sind, so sind es ihrer doch erstaunlich wenige: Wohl selten bis nie hat man eine Shakespeare-Adaption gesehen, die mit so wenig Dialog auskam, und den Text stattdessen so konsequent in Bilder und visuelle Atmosphäre übersetzte. So ist Kurzels "Macbeth" auch und vor allem ein Triumph in cineastischer Hinsicht, entfaltet einen Großteil seiner enormen Wucht und Wirkung aus Bildgestaltung, Ausstattung, Kostüm-, Maske- und Kameraarbeit.
Schottland ist hier ein finsterer, trostloser Ort, der so karg und wüst und unheilschwanger daliegt, dass man das in seinen Schlachtfeldern versickerte Blut beinahe noch in der Erde schimmern sehen kann, und der Nebel wie ein ständiger Bote weiteren Unheils über das Land wabert. Die Schlachtszenen gleich zu Anfang gemahnen in ihrer ungeschönten Rohheit und Intensität an "Braveheart", sind in ihrer Stilisierung aber ein cineastisch viel aufregenderes Erlebnis. Schmutz und Blut bestimmen von hier an für den Rest des Films die Farbpalette dieses Opus Magnum, während der rhythmische Schnitt und die konsequent eingesetzte, hypnotische Musik dem Film sofort seine ganz eigene, ungemein dichte Atmosphäre geben, die so gar nichts hat von der altbackenen Gesetztheit, die man bei der Adaption einer klassischen Tragödie dieser Größenordnung vielleicht erwarten würde.
Eine der interessantesten Abweichungen, die sich der Film von seiner Quelle erlaubt, ist gleich die allererste Szene. Denn er eröffnet nicht mit den berühmten drei Hexen, sondern mit einer Szene, die es bei Shakespeare gar nicht gab: Macbeth und seine Frau verbrennen in der ersten Szene unter sichtlicher Trauer die Leiche eines Kindes, womit Kurzel sofort einen neuen Interpreationsrahmen eröffnet für das fast besessene Handeln der Macbeths im Folgenden, sowohl was ihre Herzlosigkeit, ihren Machtdrang als auch die Gnadenlosigkeit betrifft, mit der sie nicht nur ihre vermeintlichen Konkurrenten, sondern gleich deren ganze Familien auslöschen. Es sind Details wie dieses oder die Inszenierung von Macbeths Halluzinationen als Symptome eines post-traumatischen Stress-Syndroms, mit denen der Film dem alten und so oft schon umgesetzten Stoff noch neue Facetten und Aspekte abgewinnt und dabei hochmodern wirkt.
Trotz aller bildgewaltigen Inszenierung und (über-)stilisierten Atmosphäre kommt natürlich auch diese Shakespeare-Inszenierung nicht ohne Schauspieler aus, die das alles überzeugend tragen müssen, und auch in dieser Hinsicht ist dieser neue "Macbeth" eine atemberaubende Großleistung. Durch alle Nebenrollen mit herausragenden und wohlverdienten englischen Charakterdarstellern besetzt (wie Paddy Considine oder David Thewlis), sitzt hier jeder Ton und jede Geste, doch alles wird weit überstrahlt vom zentralen Darsteller-Duo: Michael Fassbender und Marion Cotillard spielen Macbeth und seine Lady, als seien sie für diese Rollen geboren worden. Gerade für Fassbender scheint das wirklich so zu sein, er ist schlicht die perfekte Besetzung für Macbeth, ist er doch immer dann am besten wenn er Männer im konstanten Kampf mit ihren inneren Dämonen spielt, immer kurz davor ihre mühsam gewahrte Haltung zu verlieren und völlig in sich zusammenzubrechen, so wie in Steve McQueens "Shame" und "12 years a slave". Fassbender spielt hier im positivsten Sinne wie besessen, seine Verinnerlichung Macbeths ist geradezu furchterregend intensiv, was nicht weniger für Cotillard gilt. Jeweils eine (weitere) Oscar-Nominierung als beste männliche und weibliche Hauptdarsteller dürfte den beiden nicht zu nehmen sein (falls Fassbender sich nicht selbst aussticht mit seiner bald folgenden Vorstellung als "Steve Jobs" - oder er wird einfach zweimal nominiert; sowas ist auch schon vorgekommen).
Nach dem blut befleckten Finale, wenn die in passendem rot gehaltenen Endtitel die Leinwand füllen, weiß man jedenfalls ganz genau, dass man gerade etwas ganz Besonderes gesehen hat. Man mag dem Film vorhalten, dass er zu viel macht, zu sehr auf die Pauke haut und sich nicht bremst in seiner rohen Bildgewalt - subtil ist sicher kein Wort, dass man für Kurzels "Macbeth" verwenden wird, trotz all seiner bildlichen Poesie. Doch das will er auch gar nicht sein. Wenn man Shakespeares große, blutige und düstere Tragödie, die so denkwürdig nihilistisch das Leben bezeichnete als "a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing", wenn man dieses Stück auf seine Essenz herunterkocht und dann auf eine Leinwand gießt, um damit zu malen - dann muss, dann kann nur solch ein Film heraus kommen. Es wird nicht die letzte Macbeth-Verfilmung gewesen sein. Aber nach diesem Film ist es schwer vorzustellen, was danach noch kommen soll.
Was für Justin Kurzel als nächstes kommt, steht allerdings schon fest: Mit dieser mehr als beeindruckenden Arbeit als Visitenkarte wurde ihm die Kino-Adaption des Videospiels "Assassin's Creed" anvertraut, mit einem Multimillionen-Budget. Die Dreharbeiten laufen, in den Hauptrollen: Michael Fassbender und Marion Cotillard. Wir freuen uns jetzt schon drauf. Die dicken Eier haben sich auf jeden Fall bezahlt gemacht.
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