Zutiefst menschliches Sozialdrama kann sich im deutschen Kino wieder sehen lassen, und das ist vor allem einem Mann zu verdanken: Andreas Dresen, Regisseur solch hautnaher Filme wie "Nachtgestalten" oder jüngst der großartigen Dokumentation "Herr Wichmann von der CDU", inszeniert seine Filme stets mit einfachsten Mitteln, viel Improvisationsfreude, somit großer Nähe zur Realität und diesbezüglich nichts beschönigend: Gerade in seinen im wirtschaftlich brachliegenden Grenzgebiet um Frankfurt an der Oder spielenden Filmen "Die Polizistin" und "Halbe Treppe" macht sich Dresen auf die Suche nach ein bisschen Menschlichkeit in alltäglichen Dramen von Hoffnungslosigkeit.
Sieht man sich "Lichter" an, hat man daher nicht zu unrecht das Gefühl, im neuen Dresen-Film zu sitzen. Doch hier hatte jemand anderes das Kommando: Hans-Christian Schmid, gemeinsam mit seinem Co-Autor Michael Gutmann verantwortlich für sämtliche jüngeren Höhepunkte des deutschen Teenager-Films ("Nach fünf im Urwald", "23", "Crazy", "Herz im Kopf") wagt mit "Lichter" einen krassen Stilbruch auf allen Ebenen: Weg von seinen jungen Protagonisten, weg von einer spürbaren Inszenierung, raus auf die Straße mit der wackeligen Handkamera. Schmid springt kopfüber in ein beinhartes Sujet, in dem er eigentlich gar nicht zuhause ist, aber weiß dieses vorzüglich zu beherrschen.
"Lichter" ist dabei ein wenig prägnanter Titel für einen Film, dem es auch an einer klar fassbaren Geschichte fehlt: Schmid zeigt Momentaufnahmen sozialer Trostlosigkeit rund um Frankfurt und der polnischen Stadt Slubice auf der anderen Seite der Oder, aufgeteilt in sechs größtenteils voneinander unabhängige Episoden: drei Flüchtlinge aus der Ukraine wurden von ihrem Schlepperkommando verladen und vor der deutschen Grenze abgesetzt, und suchen nun verzweifelt nach einem anderen Weg in den goldenen Westen; ein junger Zigarettenschmuggler verliebt sich in die Freundin und Komplizin seines Bruders und handelt sich so eine Menge Ärger ein; der Pächter eines ruinösen Matratzengeschäftes versucht mit allen Mitteln, seine Existenz zu retten; ein polnischer Taxifahrer versucht verzweifelt, das nötige Geld für das Kommunionskleid seiner kleinen Tochter zusammen zu bekommen; eine deutsche Polizei-Dolmetscherin wagt sich spontan auf eine Mission gegen den Apparat und für die Rettung eines Einzelnen; ein ambitionierter Jungarchitekt wird mit den harten Gepflogenheiten der Realität und dem Wiedertreffen mit einer alten Liebe konfrontiert.
Dies alles läuft ohne viele Berührungspunkte parallel zueinander ab, über einen Zeitraum von knapp 24 Stunden. Um Ordnung in seine Episoden zu bringen, hält sich Schmid an eine anscheinend streng chronologische Ordnung der verschiedenen Sequenzen, was die Orientierung für den Zuschauer erleichtert, da die Parallelität der Ereignisse so besser beobachtet werden kann. Andererseits führt dies zu dramaturgischen Schwächen, da zum Beispiel die (besonders gute) Episode um den Matratzenverkäufer über einen größeren Zeitraum unbeobachtet bleibt und so viel verdiente Aufmerksamkeit verliert. Zudem ist es fraglich, ob diese chronologische Montage als ordnendes Prinzip berechtigt ist, da es Schmid offenkundig nicht darum geht, die von Zeit und Ort her eng verknüpften Ereignisse aneinander zu binden, sondern jede Episode exemplarisch steht für einen anderen Aspekt der sozialen Problematik in diesem wirtschaftlich trostlosen Teil Deutschlands.
Bezeichnenderweise ist es auch diese Darstellung der alltäglichen sozialen Härte, die bei "Lichter" am meisten beeindruckt, und zwar so, dass es richtig aufs Gemüt schlägt: Vor allem der Matratzenverkäufer Ingo, der nicht mehr versucht, als sich seine Existenz zu erhalten, muss eine endlose Reihe von Demütigungen hinnehmen, bevor er das eigene Versagen wirklich eingestehen kann. In ähnlicher Weise bedrücken auch die anderen Episoden mit erbarmungslosem Realismus. Alle Charaktere sind in der einen oder anderen Form auf der Suche nach Glück, Freiheit, Liebe oder Wohlstand, jedoch in einem Umfeld wo das alles letztlich unmöglich ist. Am Ende sind sie alle gebrochen, wenn sie nicht sogar - noch schlimmer - sich selbst verraten und enttäuscht haben.
Konsequent entzieht Schmid all seinen Szenarien jeglichen Ansatz einer tröstenden Illusion von Besserung, verliert jedoch vor lauter systematischer Hoffnungslosigkeit eine klare Aussage aus den Augen. Die Moral der verschiedenen Episoden von "Lichter" lässt sich wenn dann nur auf ein nihilistisches Motto wie "Die Welt ist schlecht und alles ist scheiße" reduzieren, und das wäre nicht nur erdrückend einseitig, sondern auch zu wenig: Der ganz klar als Vorbild fungierende Andreas Dresen findet selbst in seinen düstersten Szenarien zumindest noch den Ansatz für einen Weg nach oben - da ist es letztlich wenn überhaupt die Schuld der Figuren selbst, dass sie diesen Ansatz nicht wahr nehmen. Schmid ist da pessimistisch-konsequenter: Eine Chance hat sowieso keiner, und die Guten kriegen sogar noch wesentlich eher einen reingedrückt.
"Lichter" ist ein hervorragend inszeniertes, konsequent durchdachtes und vielschichtiges Drama, das seine verschiedenen Episoden effektvoll nutzt, um viele Seiten des wirtschaftlich-sozialen Elends im deutsch-polnischen Grenzgebiet zu beleuchten - einzig: das Endergebnis ist dermaßen deprimierend, dass potentielle Zuschauer schon wissen sollten, worauf sie sich hier einlassen. Schmid liefert eine kraftvolle Sozialstudie ab, die sich Lösungsansätze konsequenterweise verwährt, und überrascht im Lichte seiner bisherigen Werke mit einem - zumindest inszenatorisch - vollständig geglückten Stilbruch. Auch wenn "Lichter" in seinem beinharten, dunklen Realismus nur schwer zu ertragen ist: Er markiert auf jeden Fall die Reifung eines der größten deutschen Regietalente, von dem nun noch wesentlich mehr zu erwarten ist als zuvor.
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