
Die Kamera schleicht sich aufreizend langsam durchs dichte Tropengestrüpp, welches diesem Film seinen Namen gibt, der Lärm der Grillen ist fast unerträglich, wir fühlen uns für einen Moment an David Lynchs "Blue Velvet" erinnert - und dann finden wir ihn, den zerbrochenen Körper einer Frau. Eine Frau ist tot, soviel steht fest, aber wer ist diese Frau und warum musste sie sterben? Wir blenden zurück auf ein Kaleidoskop aus Menschen, einsamen Menschen. Allen voran der Polizist Leon (Anthony LaPaglia), der die Welt um sich herum aus trägen, schweren Hundeaugen anstarrt und dessen Gefühle schon lange verschüttet, verloren oder vergraben sind: "I'm numb, I'm just totally fucking numb!" deklariert er dort, wo Worte nicht mehr von Nöten sind. Diese Geschichte ist vor allem die seinige, er ist der Netzpunkt, der die verhakten Erzählstränge um die verhakten Leben um ihn herum zusammenhält. Leon betrügt seine Frau Sonja (Kerry Armstrong) mit der denselben Tanzkurs belegenden Jane (Rachael Blake), ohne dass sein leeres Leben dadurch gewinnt. Sonja sucht Rat bei der Psychologin Valerie Somers (Barbara Hershey), deren Ehe mit John (Geoffrey Rush) durch den gewaltsamen Tod der kleinen Tochter ebenfalls zu zerbrechen droht. Außerdem hat Valerie Probleme mit ihrem Patienten Patrick (Peter Phelps), einem herausfordernden Homosexuellen. Leons Seitensprung Jane muss sich derweil mit ihrem Exmann Pete (Glenn Robbins) auseinandersetzen, während ihre Nachbarn Nik und Paula (Vince Colosmo & Daniella Farinecca) das einzig glückliche Paar weit und breit zu sein scheinen. Alle diese Personen sind Teil der Ereignisse, deren Zentrum eine tote Frau im Gestrüpp ist. Wer aber ist die tote Frau, warum musste sie sterben, und was bedeutet dies für das Leben all dieser Menschen?
Die lateinamerikanischen Rhythmen (sowie der dazugehörige Tanzkurs, den einige der Protagonisten belegen) sind ironische Reflexion, denn der Salsa ist das einzig impulsive, lebendige im Mikrokosmos der gezeigten Menschen. Ansonsten: Entfremdung, Gefühlskälte, Emotionslähmung. Dazu passend die vorzügliche Kameraarbeit von Mandy Walker: Wer bisher meinte, Sydney sei ein sonnenumstrahltes Paradies, wird hier eines besseren belehrt. In kalten Tönen, die für die erkalteten Gefühle ihrer Bewohner steht, wird die Umgebung eingefangen, und selbst die fahlen Bilder eines sonnigen Tages strahlen eine elegische Stimmung aus. Dementsprechend geht es hier im Endeffekt auch nicht um einen Thriller im herkömmlichen Sinne, die Suche nach dem Mörder wird gen Ende hin immer unwichtiger, was bleibt ist das Portrait einer auf denkwürdige Weise verbundenen Gruppe von einsamen Menschen.
So, wer hat da jetzt eben "Magnolia" gerufen? Ganz falsch ist dieser Einwurf sicherlich nicht, denn wer "Lantana" sieht, der muss zugeben, dass Paul Thomas Andersons Film wohl als Blaupause diente. Bis auf den geschickten Thrilleransatz, der für sich genommen hervorragend funktioniert, auch wenn der Zuschauer, der eben jenen Thriller erwartet, weniger bekommt als gedacht. Andererseits bekommt er soviel mehr, dass sich nur die der vollkommen stromlinienförmigen Unterhaltung Verhafteten beschweren können.
Denn "Lantana" ist ein kleines Wunderwerk, ein mit großer Präzision und Können umgesetzter Ensemblefilm, dessen verhakte Erzählstränge beeindrucken und der getragen wird von tollen Darstellern. Um die bis hin zur Unsympathie glaubwürdigen und realistischen Figuren überzeugend auf die Leinwand zu bringen, bedarf es schon besonderer Schauspieler, und dieser Film hat sie. Dass das Ensemble alle vier Darstellerpreise beim heimatlichen Oscarpendant abräumte sei hier nur für die Statistik erwähnt, was zählt ist das Ergebnis in Zelluloid: LaPaglia - in seiner Hollywoodkarriere viel zu oft in Ramsch verheizt - liefert hier die Darstellung seiner Karriere, die bis auf den wie immer hervorragenden Geoffrey Rush eher unbekannten Darsteller sind allesamt exzellent. Selbst wer Peter Phelps noch als arroganten Bademeister aus seligen "Baywatch"-Zeiten kennt, wird positiv überrascht.
Zu den Darstellern die entsprechenden Rollen. Komplexe, schwierige, widersprüchliche Charaktere haben wir hier. Dazu sollten zwei Anmerkungen genügen: Dies ist weder ein Hollywood-, noch ein amerikanischer Film, und er hält sich daher auch nicht an die üblichen Charakterstereotypen. Besonders auffällig ist dies bei den männlichen Figuren, die hier mindestens eben so kompliziert und vielschichtig daher kommen wie ihre weiblichen Kolleginnen. Und wenn zum Schluss Paare auseinandergerissen werden oder sich wieder vorsichtig annähern, wenn den meisten nur der Weg zurück ins Gefängnis der Einsamkeit bleibt und die Hoffnung nur ganz, ganz schwach glimmt, dann möchte man fast wie damals bei "Magnolia" mit Aimee Mann "Wise Up" singen. Und begreift "Lantana" nicht als dessen müden Abklatsch, sondern sein kongeniales Begleitstück. Einer der wenigen, wirklichen Klassiker des Kinojahres 2002.
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