Der große Meisterregisseur Martin Scorsese scheint seine neue Heimat bei den Streamingdiensten gefunden zu haben. Doch während es sich bei „The Irishman“ mit seinem Mafia-Thema und den dafür prädestinierten Namen De Niro und Pacino um einen Film handelte, der an sich auch für große Kinoverleiher sehr interessant gewesen wäre, sieht die Sache bei „Killers of the Flower Moon“ etwas anders aus. Denn da begeben wir uns in eine Zeit und an einen Ort, der bisher praktisch überhaupt nicht kinoerprobt ist und der zudem ein ziemlich düsteres und unangenehmes Kapitel der amerikanischen Geschichte beleuchtet. Und so etwas fassen die klassischen großen Filmstudios spätestens seit Michael Ciminos legendärem Mega-Flop „Heaven's Gate“ nur mit der Kneifzange oder lieber gar nicht an. Daher wurde das neue Scorsese-Werk nun also von Apple produziert und wird demnächst bei dessen Streamingdienst Apple TV+ zu sehen sein. Einen Kinostart gibt es aber in Zusammenarbeit mit Paramount dennoch und der soll auch gar nicht mal von vornherein so limitiert ausfallen wie man es u.a. von Netflix gewohnt ist.
In der Werbung teilweise als „Western“ vermarktet, ist „Killers of the Flower Moon“ aber keinesfalls als klassischer Beitrag zu diesem Genre zu verstehen (was uns bei Herrn Scorsese auch überrascht hätte). Er beschäftigt sich vielmehr mit den Nachwehen der großen Indianerkriege und der kuriosen Tatsache, dass Mitglieder des indigenen Osage-Stammes ausgerechnet in dem ansonsten eher unwirtlichen, ihnen zugewiesenen Reservat zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf riesige Ölquellen gestoßen sind. Was sie zu einem Reichtum geführt hat, der naturgemäß den weißen Machthabern in der Umgebung nicht wirklich gefällt. Zu denen gehört der Rinderbaron William Hale (Robert De Niro), der sich einerseits als großer Wohltäter und Freund der Osage gibt, im Hintergrund aber Intrigen spinnt, um deren Geld wieder in die Kreise zu überführen, in die es seiner Auffassung nach gehört. Dies gelingt ihm vorwiegend durch die Heirat von ihm ergebenen Männern mit den Frauen der Osage. Wofür sich der gerade aus dem ersten Weltkrieg heimgekehrte, attraktive Ernest Burkhart (Leonard DiCaprio) ganz hervorragend eignet, und auch diese Saat geht auf: Ernest verliebt sich sogar aufrichtig in die eigensinnige Mollie (Lily Gladstone) und führt diese auch bald zum Altar. Doch als in deren Familie und Umfeld immer mehr Menschen auf merkwürdige Weise ums Leben kommen, wachsen auch in Lily die Zweifel, wem sie denn noch vertrauen kann.
Es ist faszinierend mit anzuschauen, wie raffiniert die Manipulationen des intriganten Patriarchen Hale ihre Wirkung entfalten, und man kann ohne Zögern behaupten, dass diese wirklich die beste und stärkste Rolle ist, die Robert De Niro seit vielen Jahren gespielt hat (den „Irishman“ eingeschlossen). Diese Mischung aus Jovialität und oberflächlicher Freundlichkeit auf der einen und eiskalt berechnender Härte auf der anderen Seite wird von ihm mit einer Natürlichkeit demonstriert, die es sogar nachvollziehbar macht, warum er lange Zeit damit durchkommt und nicht in den Verdacht gerät für die immer häufiger auftretenden Morde verantwortlich zu sein. Besonders perfide ist dabei, dass für Hale das, was er tut, ganz selbstverständlich ist und die Dinge lediglich in den seiner Meinung nach gottgegebenen Lauf zurückführt – weshalb in ihm keinerlei Unrechtsbewusstsein aufkommt und er sich trotz seiner Taten ernsthaft weiterhin für einen echten Freund der Osage hält.
Kaum weniger reizvoll ist aber auch die Figur, die Leonardo DiCaprio zu verkörpern hat, denn sein Ernest tut ebenfalls unglaubliche Dinge bzw. lässt sie geschehen und kommt dennoch nicht als simpler Schurke rüber, denn die Liebe zu seiner Frau ist aufrichtig vorhanden. Den dabei nicht allzu hellen und leicht zu manipulierenden, einfach gestrickten Charakter verkörpert DiCaprio ebenfalls sehr überzeugend und es ist absolut nachvollziehbar, dass er sich letztlich für diese Figur entschieden hat, obwohl er hier ursprünglich die Rolle des ermittelnden FBI-Agenten spielen sollte. Die hat stattdessen Jesse Plemons („The Power of the Dog“) übernommen und nimmt nun weit weniger Raum ein als in der Romanvorlage von David Grann. Im Grunde bildet aber tatsächlich die von Lily Gladstone gespielte Mollie mit ihrer Wärme und Menschlichkeit das Zentrum der ganzen Geschichte, die sie auch als Erzählstimme begleitet.
Starkes Schauspielerkino also zweifelsohne, aber auch in die Ausstattung ist sichtbar viel Aufwand und Geld geflossen. Das Setting der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ist prächtig und wirkungsvoll und wenn für wenige Sekunden ein ganze Armada von zeitgenössischen Automobilen die sandigen Straßen aufwirbelt, um sich ein spektakuläres Rennen zu liefern, dass an sich überhaupt nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun hat, wird klar: Auf ein paar Dollar mehr oder weniger kam es hier offensichtlich nicht an. Dass die auf wahren und lange wenig beachteten Ereignissen beruhende Geschichte sich nur sehr langsam aufbaut und entfaltet ist nicht als Nachteil zu sehen, da es erstens große Freude macht in diese akribisch und liebevoll entworfene Welt einzutauchen und sich dadurch zweitens auch die Bindung zu den Figuren vertieft.
Dass der Film dann aber an einem Punkt, an dem eigentlich alles gesagt und geklärt ist, gleich mehrfach die Gelegenheit verpasst auch mal ein Ende zu finden und stattdessen immer noch eine weitere Szene anfügt, ist schließlich der einzige ernsthafte Kritikpunkt. Aber es ist tatsächlich einer, auch wenn uns dieses Vorgehen dann ganz zum Schluss sogar noch einen kleinen Cameo-Auftritt von Mr. Scorsese persönlich beschert. Es ist noch nicht ganz klar wie lange „Killers of the Flower Moon“ in den Kinos zu sehen sein wird, aber mit dem Besuch sollte man sicherheitshalber vielleicht doch nicht allzu lange warten. Denn der lohnt sich definitiv.
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