
"Kaltes Land" ist die Verfilmung einer wahren Geschichte,
die schließlich zu einem der wichtigsten Gerichtsurteile
der
USA führte: Minenarbeiterinnen aus dem nördlichen
US-Bundesstaat
Minnesota klagten gegen ihren Arbeitgeber, die
Minengesellschaft,
weil sie nicht vor sexueller Belästigung durch ihre
männlichen
Kollegen geschützt wurden. Das Gerichtsurteil zu ihren
Gunsten
führte dazu, dass im ganzen Land neue Gesetzeslinien zum
Tatbestand
der sexuellen Belästigung geltend wurden. Die neuseeländische
Regisseurin Niki Caro, die mit ihrem wunderschönen
Maori-Drama
"Whale
Rider" internationales
Aufsehen erregt hat, kämpft nun in ihrem ersten
amerikanischen
Film mit den dramaturgischen Tücken dieses Themas, doch
brilliert
unterstützt von einem hervorragenden Schauspiel-Ensemble
mit
einem handwerklich beeindruckenden Film.
Die zweifache Mutter Josey Aimes (Charlize Theron)
kehrt auf der
Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann in ihren Heimatort
in
Minnesota zurück, wo sie jedoch vergeblich auf die
Unterstützung
ihrer Eltern (Sissy Spacek und Richard Jenkins) hofft.
Durch ihre
neue Bekanntschaft Glory (brillant: Frances McDormand)
erfährt
die verzweifelte Josey, dass die örtliche Stahlmine auch
Frauen
einstellt, und um ihren Kindern und sich finanzielle
Sicherheit
bieten zu können, heuert Josey in dem beinharten Job an.
Doch
in der Mine kommen 30 männliche Arbeiter auf eine Frau,
und
vom ersten Tag an sieht sich Josey denselben schmutzigen
Witzen,
Gesten und fiesen Sprüchen gegenüber wie ihre Kolleginnen.
Josey ist schockiert, doch Glory und die anderen Frauen
meinen,
dass sie Schwäche zeigen würden, wenn sie sich beklagen.
Es ist ein harter Job, und man muss eben hart sein, um ihn
machen
zu können. Und so muss Josey ihre Schlacht alleine schlagen
- eine Schlacht, die sie ohne Hilfe nicht gewinnen kann,
und in
der ihr öffentlicher Ruf als "Schlampe" (der Vater
ihres ersten Kindes ist nicht bekannt) einer ihrer größten
Gegner ist. Denn wer glaubt schon einer Frau, dass sie
sexuell belästigt
wird, wenn sie abends in der Kneipe mit den Kerlen auf der
Tanzfläche
flirtet?
Provoziert Josey die sexuellen Anspielungen ihrer Kollegen? Ist das Verhalten der Männer "akzeptabel", weil sie auch nicht die allerbravste Frau der Welt ist? Mit dieser zentralen Frage, auf die sich viele männliche Verteidigungsstrategien in Fällen sexueller Belästigung zurückziehen, beschäftigt sich "Kaltes Land" sehr genau, und macht dabei selbst dem Zuschauer das eigene Urteil so schwer wie nur möglich: Denn auch wenn Josey die Protagonistin und zentrale Sympathieträgerin des Films ist, so macht Caro dennoch deutlich, warum Josey selbst von ihrem Vater für ein "leichtes Mädchen" gehalten wird, und wieso dieses öffentliche Urteil zum Teil sogar berechtigt scheint. Auch wenn nie die Gefahr besteht, dass das Publikum in seiner Sympathie umkippen könnte (dafür erweisen sich Joseys männliche Kollegen als zu große Schweine), bemüht sich Caro trotzdem redlich und erfolgreich, das entscheidende Problem (auch für die Rechtsprechung) beim Vorwurf sexueller Belästigung zu verdeutlichen: Wann wird aus ein paar blöden Sprüchen ein Tatbestand, und wann darf sich eine Frau angesichts ihres eigenen Verhaltens belästigt fühlen?
Das
ist keine einfache Thematik, und da Gewalt und Unrecht
hier auf
einer psychologischen Ebene passieren, kann sich der Film
auch nicht
auf ein großes Drama verlassen, um der eigenen Erzählung
den richtigen Schwung zu geben. "Unspektakulär" ist
eine Kategorie, aus der sich "Kaltes Land" rein von der
Handlung her nicht befreien kann, und wenn man sich nicht
gerade
besonders für das Thema interessiert, gibt es
zugegebenermaßen
kaum schlagende Argumente, warum man sich den Film
unbedingt ansehen
sollte.
Außer
natürlich die brillante Inszenierung, das klug
strukturierte
und exzellent geschriebene Drehbuch und die hervorragenden
Darstellerleistungen,
die "Kaltes Land" nichtsdestotrotz zu einem Schmaus für
alle Freunde wirklich gut gemachter Filme werden lassen.
Charlize
Theron beweist nach ihrer Oscar-Rolle in "Monster"
auch hier wieder gewissen Mut zur Hässlichkeit, und
liefert
mit einer sehr authentischen "White Trash"-Frisur erneut
eine beeindruckende Vorstellung ab. Frances McDormand wird
bereits
leise für den Nebenrollen-Oscar gehandelt, und auch die
anderen
bekannten Namen auf der Besetzungsliste wie Sissy Spacek,
Sean Bean
oder Woody Harrelson überzeugen mit gewohnt guter bis
großartiger
Arbeit.
Das größte Lob hat aber definitiv Regisseurin Niki Caro
verdient: Wie sie die erdrückende, fast unheimliche
Atmosphäre
der Mine einzufangen weiß, geschickt die Vereinsamung von
Josey angesichts der ihr entgegen schlagenden Anfeindungen
inszeniert,
oder immer wieder in großartigen Luftaufnahmen die starre,
kalte Schönheit der zerklüfteten Schneelandschaft würdigt;
all das zeugt von großartigem Regie-Handwerk der
allerersten
Liga - beeindruckend, kreativ und vor allem wirkungsvoll.
Ihr sicheres
Gespür für einen eigenen Ton zeigt sich auch beim
Soundtrack,
der eine nahe liegende, konventionelle Orchestrierung
vollkommen
umgeht und in den dramatischen Schlussmomenten
dankenswerterweise
nicht mit großen Akkorden auf die Tränendrüse zu
drücken versucht.
"Kaltes Land" ist kein großer und auch kein wirklich wichtiger Film, und wer im Kino nach Spektakel (ob nun im visuellen oder emotionalen Sinne) sucht, wird hier kaum fündig werden. Trotzdem ist er der wohl beste Film, der er hätte sein können. Fehler oder Schwächen kann man ihm jedenfalls keine vorwerfen, und solche Filme begegnen einem selten genug.
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