An jedem verdammten Sonntag

Originaltitel
Any given sunday
Land
Jahr
1999
Laufzeit
163 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Simon Staake / 30. Mai 2010

"Football is life!" sagte vor vielen Jahren ein Sport-begeisterter Amerikaner. Oder ist es vielleicht doch eher "life, death and money"? In keiner Sportart auf der Welt gibt es mehr Straftäter, die Millionen verdienen. Nicht nur O.J. Simpson, der erst nach seiner Karriere vor Gericht landete, mittlerweile finden sich auch in schöner Regelmäßigkeit aktive Stars vor dem Kadi wieder, die meisten wegen Drogenmißbrauchs, sexueller Belästigung und ähnlichem. Seit kurzem stehen auch zwei Profis wegen Mordes vor Gericht. Und trotzdem boomt die NFL weiter, eine Liga, in der es mittlerweile prozentual mehr Vorbestrafte gibt als in der Gesamtgesellschaft. Die Heimspiele der meisten Teams sind auf Jahre hin ausverkauft und Karten fürs Endspiel, den Super Bowl, zu kriegen ist unmöglich. 
Über dieses Phänomen hat nun Oliver Stone, das Enfant Terrible im Regiestuhl, einen Film gedreht. Allen Mitteleuropäern sei vorab gesagt: Man versteht den Film auch, wenn man keine Ahnung von Football hat.

„On any given sunday you can either win or lose“ ist das Motto vom Chefcoach der Miami Sharks, Tony D’Amato (Al Pacino). Leider hat sein Team die letzten Male verloren, drei Mal in Folge. Und es sieht nicht gut aus für den passionierten Coach: Sein legendärer Starquarterback Jack „Cap“ Rooney (Dennis Quaid), dessen Karriere sich langsam dem Ende neigt, verletzt sich kurz vor den Playoffs schwer. Grund genug für die Besitzerin Christina Pagniacci (Cameron Diaz) – die den Club von ihrem traditionsbewußten Vater erbte – Panik zu schlagen: Die eiskalte Geschäftsfrau will den Club verkaufen oder mit ihm aus der Stadt ziehen. Doch um den Marktpreis zu erhöhen bzw. Investoren zu finden, müssen die Sharks unbedingt in die Playoffs. Die Hoffnungen liegen auf dem jungen Willie Beamen (Jamie Foxx), einem unbekannten, als dritter Quarterback geholten Spieler. Der führt sich erstmal damit ein, daß er auf das Spielfeld kotzt, macht aber sonst seine Sache ganz gut. Als die Sharks dank seiner unkonventionellen Taktiken anfangen, zu gewinnen, wird Willie zum Medienstar – aus dem nervösen „Puking Man“ wird „Steamin’ Willie Beamen“. Ein steiler Aufstieg, der nicht von allen so enthusiastisch verfolgt wird, wie von der Morgenluft witternden Christina. Da ist zum Beispiel „J-Man“ Julian Washington (LL Cool J), der Geld und schöne Frauen liebt und seine Position gefährdet sieht. Oder Luther „Shark“ Lavay (Lawrence Taylor), der eisenharte Abwehrkapitän, der den arroganten Heißsporn mißtrauisch beäugt. Der Erfolgsdruck läßt die schwelenden Konflikte eskalieren: D'Amato, Footballer mit Leib und Seele, will den Vorschlägen des analytisch-sachlichen Chefstrategen Nick Crozier (Aaron Eckhart) nicht Folge leisten, was Christina in einen heftigen Streit mit D'Amato verwickelt, den sie nach der Saison eh abschieben will. „Cap“ Rooney versucht derweil mit Hilfe der Ärzte Mandrake (James Woods) und Powers (Matthew Modine) fit für sein Comeback zu werden, während Willie mit seinen Extratouren nicht nur den Trainer, sondern auch die Mannschaft gegen sich aufbringt. Und die entscheidenden Playoffspiele stehen direkt vor der Tür...

Wer gedacht hat, „An jedem verdammten Sonntag“ wäre der neue Versuch des Provokateurs Oliver Stone, seine amerikanischen Mitbürger vor den Kopf zu stoßen, sieht sich getäuscht. Mit unverblümter Liebe für dieses Spiel zeigt Stone eine Verneigung vor den „Helden von heute“. Dabei ist „An jedem verdammten Sonntag“ Testosteron pur. Football ist hier eine Männerwelt, voller anarchischer Rituale und voller Blut, Schweiß und Tränen. Auf dem Platz stürzen sich die Muskelpakete mit markigen Sprüchen aufeinander und auch außerhalb des Platzes regieren die gängigen Klischees: Drugs and Chicks and Naked Dicks. Dies ist eine Welt zu der Frauen keinen Zugang haben: Christina, die des Vaters Erbe nicht respektiert, ja nicht respektieren kann. Oder auch Cindy (Lauren Holly), die ehrgeizige Ehefrau von Cap Rooney, die den Football nur als Garantie für Reichtum und Ruhm sieht. Und es ist auch eine Welt, die korrumpierbar ist, wie der Rest des Systems: Stones Medienschelte ist zwar nicht so scharf wie sonst, aber er schafft es sehr schön aufzuzeigen, daß alles seinen Preis hat. Und daß jeder diesen Preis zahlen muß. Football ist bei ihm nicht nur ein Spiel, es ist ein Sinnbild für das Leben selbst. Dementsprechend überhöht ist sein Tribut: Spieler sind nicht nur Spieler, es sind Krieger – „warrior poets“ schreibt der selbstsüchtige Reporter Jack Rose (John C. McGinley) – und das Spiel ist nicht nur ein Spiel, sondern ein Kampf um Ehre und Gewissen, um Leben und Tod. In einer Sequenz verwendet Stone Szenen aus „Ben Hur“ und zeigt, worum es ihm auch geht: Die „alten Gladiatoren“ D'Amato, Rooney oder Montezuma Monroe (Jim Brown), der Defense-Trainer der Sharks, müssen den „neuen Gladiatoren“ vom Schlage eines Willie Beamen Platz machen. Und müssen diesen doch erst beibringen, was es heißt, so ein Gladiator zu sein. Stones Leinwandheld Tony D'Amato ist ein Mann, der Football nicht nur lebt und atmet, sondern der sich an ihn klammert, da es das einzige ist, was ihm geblieben ist: „The game is all that matters to me“, sagt er an einer Stelle, „it’s sane. Life isn’t.“ Pacino als alternder Krieger, der seinen Traum nicht loslassen will, ist großartig. Wie in jeder seiner Rollen. Es ist schön, daß man sich auf Schauspieler wie De Niro, Spacey oder eben Pacino verlassen kann. Diese Männer können einfach nicht schlecht spielen, selbst wenn sie wollten. Gegen Pacinos schauspielerische Tour de force kann auch das erlesene Ensemble nichts ausrichten; von Diaz als in ihren Gefühlen schwankende Frau, die doch nur alles richtig machen will, über den sympathischen All American Boy Quaid bis hin zur quirligen Entdeckung Jamie Foxx. 

"An jedem verdammten Sonntag" ist einerseits kein typischer Stone-Film, dann aber wieder doch. Er ist für Stone's Verhältnisse ungewöhnlich schnell geschnitten und erinnert so eher an Michael Mann ("Miami Vice") oder die Higlights-Trailer der NFL. Und genau das macht den Film in seiner Ästhetik glaubwürdig, die Optik erinnert an die spektakulären Bilder, die man vom Football gewöhnt ist. Anderseits vergreift sich Stone wieder einmal an einem Heiligtum der Amis und entlarvt es:
Stone entblößt den Football als eine große Maschine, in die man Menschen reinsteckt und aus der Geld rauskommt. Die Beteiligten werden von der Belastung zerfressen, sie und ihre Familien auf Dauer zerstört, während andere daran verdienen. Man merkt dem Film aber an, daß Oliver Stone leidenschaftlicher Footballfan ist, denn für ein typisches Stone-Werk ist "An jedem verdammten Sonntag" bei weitem nicht radikal genug. Es wird deutlich, daß der Regisseur lieber ein kaputtes Spiel sieht, als gar keins, und so bleiben dem Zuschauer am Ende noch ein paar Illusionen über den sauberen Profifootball. 

Was diesen Film aber besonders wichtig macht ist, daß das, was Stone hier über Football zeigt, im kleinen auf hiesige Verhältnisse durchaus übertragbar ist. Denn auch hier explodieren die Gehälter im Profisport, während Leistung und Bezahlung längst nicht übereinstimmen. Weiterhin sind schon erste Fälle vom Sportler als Straftäter aufgetreten, und genau deshalb sollte man diesen Film vor allem in Europa als eine Art Warnung vor dem, was kommen mag, verstehen.

„An jedem verdammten Sonntag“ ist Oliver Stones massentauglichstes Produkt seit langem. Er hält sich wohltuend zurück und verzichtet auf selbstverliebte Mätzchen. Klar, wilde Kameraperspektiven und geteilter Bildschirm zeugen von dem visuellen Visionär, der sich früher des öfteren in seinen eigenen Visionen verfing. Und in einer wirklich köstlichen Szene blitzt auch Stones bitterböser Humor auf: Hier wird dem Sprichwort „ein Auge auf etwas werfen“ eine völlig neue Bedeutung gegeben. Alles in allem ist „An jedem verdammten Sonntag“ großes Starkino in mitreißender Machart, das hierzulande vermutlich aufgrund des Sujets unverdient an den Kinokassen straucheln wird. Wer sich von der „It’s a man’s world“-Attitüde nicht abschrecken läßt, dem wird hier ein echter Touchdown des Sportfilms geboten. Weil es eben wesentlich mehr als nur ein Sportfilm ist. Sondern halt doch ein bißchen wie das richtige Leben. Und ganz nebenbei ein heftiger Adrenalinanheizer. Ooh, what a rush!

P.S.: Wer nach diesem Film auf den Geschmack gekommen ist, dem seien zwei Filme über die Anfänge der ganzen Misere ans Herz gelegt: "Varsity Blues" und "The Challenge" zeigen den Wahnsinn Profisport bei seinen Wurzeln, High School und College. 


9
9/10

P.S.: Wer nach diesem Film auf den Geschmack gekommen ist, dem sei ein Film über die Anfänge der ganzen Misere ans Herz gelegt: "Friday Night Lights" zeigt den Wahnsinn Profisport bei seiner Wurzel, High School.

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