
Für
den investigativen Journalisten Pierre Peders (Steve
Buscemi) heißt
es heute Nacht: Zurück zu den Wurzeln. Obwohl in
Washington
D.C. die Regierung samt Staatsoberhaupt zu kippen droht
und sich
so für einen alten Hasen wie ihn ein wahrer
journalistischer
Knüller zusammenbraut, ist er in New York. Sein
Chefredakteur
hat ihm ein Interview aufgezwungen. Doch im feinen
Restaurant wartet
kein Staatsoberhaupt oder ein politischer Funktionär auf
ihn.
Nein, es erscheint (und zwar mit erheblicher Verspätung)
niemand
geringeres als Katya (Sienna Miller), ihres Zeichens
Model, Schauspielerin
und vor allem Highsociety-Skandalpromi. Schnell wird
ersichtlich,
dass weder der eine noch der andere wirklich Lust auf
dieses Interview
hat. Tatsächlich scheint es zunächst auch so, als ob das
Treffen schnell enden würde. Doch ein kleiner Unfall führt
dazu, dass beide sich in Katyas riesengroßem Loft wieder
finden.
Für eine Nacht sitzen sie hier gemeinsam fest. Aus der
anfänglichen
Abstoßung wird nach und nach ein teuflisches
Katz-und-Maus-Spiel,
bei dem beide allmählich die Masken fallen lassen.
In den Niederlanden galt er lange Zeit als 'Enfant
terrible' und
gleichzeitig auch als künstlerischer Visionär. Theo Van
Gogh drehte insgesamt 32 Filme, doch der ganz große
internationale
Erfolg blieb aus. Als er 2004 auf offener Straße von einem
fundamentalen Islamisten umgebracht wurde, gingen die
Bilder um
die Welt. Beim New Yorker Filmfestival beschlossen
daraufhin einige
enge Freunde und Produzenten van Goghs, seinen ganz großen
Wunsch post mortem zu erfüllen: Drei Van Gogh-Filme
sollten
mit internationalen Stars
neu gedreht werden. Der erste Film dieser Trilogie heißt
"Interview"
und kommt nach einer ausgiebigen Festivalreise nun auch in
die deutschen
Kinos. Als prominenter Pate für dieses Projekt konnte
Schauspieler
Steve Buscemi ("Fargo", "Ghost
World") gewonnen werden. Der Darsteller übernahm aber
nicht nur die männliche Hauptrolle, sondern schrieb auch
an
der Drehbuch-Adaption mit und führte Regie.
Buscemi inszeniert "Interview" sehr dicht an dem
niederländischen
Original von 2003. Er hat ein sehr schönes Gespür für
die klaustrophobische Atmosphäre, die sich während des
Abends zwischen den beiden Protagonisten entwickelt. Doch
es ist
nicht der visuelle Charakter des Films der einen packt. Es
ist viel
mehr die intelligente Auseinandersetzung über den Schein
und
die Lüge in den heutigen Medien, vor allem aber auch die
Suche
nach den Grenzen zwischen diesen beiden Ebenen, die sich
schon nach
kurzer Zeit als äußerst fließend erweisen. Wenn
Katya zum Beispiel im Laufe des Abends immer mehr von der
befragten
zur fragenden Person mutiert, muss auch Pierre einige
dunkle Geheimnisse
lüften.
"Was ist dein schlimmstes Vergehen?", fragt Katya einmal.
Dann bricht es aus dem Journalisten plötzlich und ohne
Vorwarnung
heraus. Er erzählt die Geschichte von ihm und seinem
Bruder,
die als Korrespondenten während des Kosovokrieges die
Massenvergewaltigungen
an einer Gruppe von Frauen ziemlich direkt miterlebten.
Eine Schilderung,
die das ganze Grauen und die Unmenschlichkeit des Krieges
hervorbringt.
Und Katya hält mit der kleinen Digicam drauf. Aber ist das
auch wirklich die Wahrheit? Ist es zum Beispiel wahr, wenn
Katya
von Heiratsplänen mit ihrem Freund erzählt, oder Pierre
einen mittelschweren Zusammenbruch erleidet, als er Katya
koksend
im Bad erwischt. Seine Tochter, so meint er, wäre an
diesem
Zeug zu Grunde gegangen. Sie ist daran gestorben. Wenn in
diesem
Augenblick scheinbar eine Annäherung zwischen Pierre und
Katya
stattfindet, jedenfalls suggerieren das die Bilder, dann
wird dieser
Eindruck sofort im Keim erstickt.
Wir sehen Pierre an Katyas Laptop sitzen. Er entdeckt ihre
Tagebücher
und kann seiner Neugier einfach nicht nachgeben. Seine
Entdeckungen
wecken in ihm die alten, fast schon verbrauchten
investigativen
Instinkte. Sind das etwa die Gedanken einer
suizidgefährdeten
Person? Er will Katya damit konfrontieren. Aber auch jetzt
wissen
wir als Zuschauer nicht was hier wirklich Wahrheit oder
eiskalt
durchprogrammierte Lüge ist. Noch weit weniger als Pierre
können
wir Katya einschätzen, denn der Film nimmt immer die
Perspektive
des Journalisten an. Sie, und Sienna Miller spielt dies
fantastisch,
vollzieht eine knallharte Wandlung vom dümmlichen Paris
Hilton-Verschnitt
zum manipulierenden Machtweib. Eines wird schnell klar, so
dumm
wie wir uns sie zu Beginn noch vorgestellt haben, ist
diese Frau
mit Sicherheit nicht.
Und
so geht es in dieser whiskeydurchtränkten Nacht immer
wieder
hin und her. Der Zuschauer bekommt ein über weite Strecken
außergewöhnlich konsequentes Kammerspiel zu sehen und
ein Darstellerduo, welches sich nie in die Karten sehen
lässt.
Es ist wunderbar, wie herrlich ahnungslos der Betrachter
von einer
Seh- und Betrachtungsmöglichkeit in die nächste geworfen
wird und sich so haltlos bis zum Ende einfach dem Sog der
Atmosphäre
hingeben muss. Auch die Reminiszenzen an den verstorbenen
geistigen
Vater des Projektes sind unübersehbar. So hält auf der
Straße ein Lastwagen mit dem Schriftzug "Van Gogh
Transports"
und wenn Pierre mit seiner Digicam Katyas Wohnung filmt,
finden
sich auf ihrem Schreibtisch Fotos und Privataufnahmen von
Van Gogh
und seiner Frau. Eine schöne und vor allem unaufdringliche
Huldigung des Niederländers.
Am Ende meint man alles durchschaut zu haben, aber warum
sehen wir
Steve Buscemi im Taxi seelenruhig nach Hause fahren und
nicht voller
Panik zurück ins Loft rennen? Es könnte ihm das ganze
Leben, die Karriere und seine Reputation kosten, denn das
was er
noch später in dieser ereignisreichen Nacht vor dem
Kameraauge
und auch vor Katya beichtete, ist nichts weiter als ein
skrupelloses
Verbrechen. War auch das gelogen? Was wir am Ende wissen
oder, besser
gesagt, was wir zu wissen glauben, beschränkt sich auf
kleine
Fetzen und Momentaufnahmen. Der Film versucht erst gar
nicht Partei
für eine Seite zu ergreifen. Es ist jedem selbst
überlassen,
wem er nun glauben möchte oder auch nicht. Doch sich
Festlegen
würde nach Aussage und Intention von "Interview"
heißen, den medialen Lügenbildern glauben zu schenken.
Doch es ist ja nicht immer die korrekte Antwort auf die es
ankommt.
Manchmal sollte man einfach glücklich darüber sein, dass
hier jemand die richtigen Fragen stellt.
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