Martin Scorsese verfasste kürzlich einen offenen Brief, adressiert an seine 14-jährige Tochter Francesca. Darin prophezeite er dem Film eine glänzende Zukunft, im Wesentlichen deshalb, weil mittlerweile jeder dazu in der Lage sei, für wenig Geld einen zu drehen. Was Scorsese dabei allerdings nicht erwähnte: Mittlerweile sind nicht nur Amateurfilmer in die Lage versetzt, eigene Filme zu produzieren, auch speziell entwickelte Computerprogramme fassen zunehmend Fuß am Markt.
Das berühmteste unter ihnen trägt den Namen „Stuart Beattie“ und wurde bereits vor 17 Jahren entwickelt, um Drehbuchautoren während des Schreibprozesses zu unterstützen. Etwa die Drehbücher zu „Collateral“, „Fluch der Karibik“ und „Australia“ entstanden auf diesem Wege. Nachdem sich das Programm in Hollywood etabliert hatte und dabei stetig weiterentwickelt wurde, wagen die Filmstudios nun den nächsten Schritt. Der Fantasy-Actioner „I, Frankenstein“ ist offiziell der erste große Studiofilm, bei dem nicht ein Mensch, sondern „Stuart Beattie“ Regie führte. Wie sich allerdings schon nach wenigen Minuten erkennen lässt, hat die „computergenerierte Filmproduktion“ noch einen weiten Weg vor sich.
Die Schwächen der Software zeigen sich auf nahezu allen Etappen, auf denen ein Film entsteht, beginnend beim Casting (wofür – wie für viele andere Bereiche auch – eigens eine „Stuart Beattie“-Modifikation entwickelt wurde). Noch scheint das Programm nicht dazu in der Lage zu erfassen, inwiefern ein Darsteller zu einem bestimmten Charakter passt. Noch viel gravierender: Es castet einen weithin anerkannten Schauspieler wie Aaron Eckhart für ein filmisches Experiment, das eigentlich zu keinem Zeitpunkt der Entstehungsphase zum Gelingen bestimmt war. Immerhin ist es fähig, Rollenbeschreibungen mit bereits veröffentlichten Werken abzugleichen – deshalb spielt Bill Nighy, böser Vampirfürst im Fantasy-Actioner „Underworld“, seine Rolle einfach so ähnlich nochmal: diesmal als böser Dämonenführer.
Die größten Schwächen zeigt „Stuart Beattie“ sowieso nicht beim Casting, sondern im Bereich Drehbuch und Regie. Was besonders bei Ersterem erstaunt, hat das Programm in der Vergangenheit doch schon gute Ideen zu Drehbüchern beigesteuert. Gerüchten zufolge liegt das Übel in einer nagelneuen, aber total verbuggten Version. Zumindest am Vorgehen hat sich seit 17 Jahren nichts geändert: „Stuart Beattie“ wird mit allen erdenklichen Storybauplänen, Plottwists und Dialogen der Filmgeschichte gefüttert und entwickelt daraus – im Idealfall – eine neue und genießbare Mischung. Leider war die Software hierzu diesmal nicht in der Lage.
Schon die Grundidee lässt vermuten, dass „Stuart Beattie“ mit verminderter Leistung gearbeitet hat: Frankensteins Monster (gespielt von Aaron Eckhart) gerät in einen über Jahrhunderte andauernden Krieg zwischen Gargoyles und Dämonen. Was für erfahrene menschliche Autoren vielleicht eine geeignete Vorlage für witzigen Edeltrash oder neue Facetten der schon so oft beackerten Mythologie bedeutet hätte, stellt das Computerprogramm vor unüberwindbare Hürden. Zwar existiert eine notdürftig zusammengehaltene Handlung, die einigermaßen Sinn ergibt, doch ist darüber hinaus fast alles missraten. Ein Gespür für Dramaturgie fehlt der aktuellen Software-Version vollständig, weswegen beispielsweise die größte Schlacht schon fast zu Beginn des Films zu sehen ist. Der eigentliche Protagonist ist über den Großteil der Laufzeit ein von den Handlungen der anderen Charaktere Getriebener mit außerordentlich geringem Identifikationspotential. Sämtliche Storywendungen sind bestenfalls bekannt, schlimmstenfalls auch noch vorhersehbar. Besonders tragisch ist der geringe Umfang an Dialogen, der „Stuart Beattie“ für diesen Film offenbar zur Verfügung gestellt wurde. Vermeintlich apokalyptisch-coole Sätze wie „This ends tonight“ wollten die Produzenten wohl unbedingt unterbringen – leider hat ihre Software dafür keine geeignete Stelle gefunden und es deshalb wahllos mitten im Film eingestreut. Gut denkbar, dass eine Warnmeldung des Programms, dass dieser Satz bereits in jedem anderen Genrefilm Verwendung fand, einfach ignoriert wurde.
So rasen die Charaktere ziel- und gedankenlos 90 Minuten zwischen den beiden Hauptschauplätzen hin und her und liefern sich dabei potentiell beeindruckende Kämpfe. Doch an dieser Stelle tritt bereits das nächste wesentliche Problem zu Tage: Die Regie-Funktion von „Stuart Beattie“ ist für die Tonne. Wahllos macht es etwa von notdürftig einprogrammierten Zeitlupen- und Beschleunigungseffekten Gebrauch, die „I, Frankenstein“ eher den Look eines Computerspiels statt eines Computerfilms geben. Mit den Seelen der Gargoyles und Dämonen, die nach dem Tod als Lichtstrahl Richtung Hölle und Himmel sausen, gibt es zwar eine optisch nette Abwechslung, doch ansonsten verursacht das Geschehen nur unübersichtliche Langeweile.
Mit den Figuren mitzufiebern ist unmöglich, da die hierfür nötigen Voraussetzungen während der Drehbuchprogrammierung nicht geschaffen wurden. Besonders merkwürdig erscheint die Tatsache, dass die Kamera in manchen Szenen am eigentlichen Schwerpunkt des Geschehens so eigenartig vorbeifilmt und dieses sich dann am Rande oder außerhalb des Bildes abspielt. So scheinen beim Thema „Bildkomposition“ noch viele Stunden Arbeit vor den Programmierern zu liegen (vielleicht sind es aber auch einfach nur Effekte, die bei der zweidimensionalen Vorführung eines 3D-Films verloren gehen...).
Zu den genannten Problemen gesellen sich fast konsequenterweise weitere. Die verwirrten Gesichter der Darsteller, mit Ausnahme vielleicht des in seiner Rolle geübten Bill Nighy, sind nur zu verständlich, fehlen ihnen doch die so wichtigen Regieanweisungen. Und die Tonspur scheint asynchron mit der Handlung – es kann ja kaum gewollt sein, dass die musikalische Untermalung häufig schon erahnen lässt, welchen Schritt die Handlung wenige Sekunden später vollziehen wird.
Wäre „I, Frankenstein“ nicht das Produkt eines hoffentlich noch entwicklungsfähigen Computerprogramms, müsste man wohl von einem lieb-, ideen-, und talentlos zusammengeschusterten Machwerk eines Dilettanten ohne Potential sprechen. So bleibt zumindest die Hoffnung auf Besserung. Billigen Konkurrenzprodukten wie „Friedberg/Seltzer“ („Die Pute von Panem“), die komplett im Zufallsmodus arbeiten, ist „Stuart Beattie“ immerhin überlegen.
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