Eine Arbeitsschicht auf einer Öldrillstation in Alaska geht zu Ende, so dass eine ganze Reihe der Männer auf Heimaturlaub gehen kann. Unter ihnen ist auch Ottway (Liam Neeson), der eigentlich nirgendwo hingehen will, außer weg. Die Erinnerung an eine Frau verfolgt ihn, so dass der für das Vertreiben von Wölfen und anderen wilden Tieren verantwortliche Einzelgänger darüber nachdenkt, ob und wie er sein Leben weiter führen will. Die Entscheidung über sein Schicksal wird ihm jedoch abgenommen, als ihr Flugzeug auf dem Weg in die Zivilisation inmitten der alaskischen Einöde abstürzt. Nur eine Handvoll Männer überleben den Absturz. Abgeschnitten von der Außenwelt und ohne Aussicht auf Rettung haben sie bald ein viel größeres Problem. Sie sind mitten in das Jagdgebiet eines aggressiven Rudels von Wölfen geraten. Gegen diesen unerbittlichen Feind auf vier Pfoten entbrennt sofort ein knallharter Kampf ums Überleben...
Liam Neeson ist "Der Mit Dem Wolf Kämpft". So knackig und kernig kann man diesen Film umschreiben, sollte man aber vielleicht gar nicht, um keine falschen Erwartungen zu schüren, so wie es der Trailer dieses Films bei manchem Zuschauer vielleicht schon gemacht hat. Dort sieht man, wie Liam Neeson – im Fast-Rentenalter ja noch vom Charakterdarsteller zum Actionhelden und zur coolen Leinwandsau mutiert – sich ein Paar Minialkoholflaschen zwischen die Knöchel tapet, um einem Wolf im Kampf Faust-gegen-Pranke so richtig auf die Fresse zu geben. Da johlt der Actionfan, der Neesons so gnadenlosen wie überzogenen (und gerade deswegen ziemlich amüsanten) Rachefeldzug in “96 Hours” verfolgt hat, und will schon das Dosenbier triumphierend in die Luft reißen. Aber Vorsicht: Wer den kompletten Film und dann diese Szene in ihrem Kontext sieht, der wird zustimmen: Mit launiger Haudraufaction wie eben “96 Hours” hat das hier so gut wie gar nicht zu tun.
Knallhart und bitterböse, ohne Humor der gewollten oder ungewollten Art: “The Grey – Unter Wölfen” ist ein erwachsener und mit dem Zuchauer und seinen Erwartungen völlig gnadenlos umgehender Survivalthriller 100%-iger Qualität. Hier gibt es keinen comic relief, keine Nebenfiguren aus den verschiedenen Klischeegruppen, anhand denen man relativ sicher eine Reihenfolge des vermutlichen Ablebens herauslesen kann: “The Grey” insistiert von Anfang an auf einer Tatsache. Hier kann es jeden erwischen und schneller als man denkt. Wenn es nach dem Absturz innerhalb kürzester Zeit 2-0 für die Wölfe steht, merkt auch der letzte Zuschauer: Mit Regisseur und Drehbuchautor Joe Carnahan ist hier nicht zu spaßen.
Davor hatte man ja ein bisschen Angst, nachdem sein abgedrehter Comicquatsch “Smokin' Aces” in bestimmten Kreisen als Kultfilm gilt und Carnahan dann die ebenso albern-comichafte “A-Team”-Verfilmung hinterherschickte. Hier besinnt er sich jedoch auf die stilistische Stringenz und Effektivität und die inhaltliche Dunkelheit seines grandiosen Erstlings “Narc” (unbedingt angucken, wer noch nie gesehen!) und liefert damit auch den stimmigsten und besten Film seit diesem Debüt. Wie alle seine Filme Carnahans ist auch dieser ein Männerfilm, hier wird auch ganz konsequent auf die weibliche Quotenrolle oder gar romantische Subplots verzichtet. “No Hollywood Bullshit!” würde der ja auch wenig zurückhaltende Carnahan da sagen: Was bleibt sind die kalte weiße Einöde Alaskas, die Jagd durch einen unbarmherzigen weil unmenschlichen Gegner und eine Handvoll Männer, die sich die Frage stellen müssen, wie sie die vermutlich letzten Tage und Stunden ihres Lebens verbringen wollen.
Womit wir dann zu dem thematischen und inhaltlichen Knackpunkt von “The Grey – Unter Wölfen” kommen und das Johlen zum Dosenbier in schier unerreichbare Ferne rücken lässt: Dies ist ein Film über den Tod und wie wir ihm gegenübertreten. Versuchen, den Wölfen davonzurennen oder sie konfrontieren? Sich von Wölfen brutal zerfleischen lassen oder sich vielleicht einfach schmerzfrei erfrieren lassen? Ankämpfen gegen Natur und ihre brutalen Vertreter bis zum letzten Atemzug? Oder gibt es einen Moment, an dem es okay ist – für sich, für die anderen Überlebenden der Gruppe, für die stummen, unglücklichen Toten des Absturzes, denen man eventuell etwas schuldet (oder eben nicht) – sich einfach seinem Schicksal zu ergeben?
Diese Fragen werden in “The Grey” gestellt, in dem die Charaktere zuerst ihre Angst mit Machosprüchen zu bekämpfen versuchen, im Verlaufe ihres Kampfs ums Überleben aber immer eingekehrter und grüblerischer werden, bis wir im Schlussdrittel quasi ein existenzialistisches Drama vor uns haben, das in seiner Gegenüberstellung von wunderschöner Natur und ihrer unbarmherzigen Art ein wenig an „Into The Wild“ erinnert. Wie auch „Into The Wild“ atmet „The Grey“ hier den Geist eines Kinos, das sich für Fragen mehr interessiert als für Antworten, für kleine Momente, die sich solchen Antworten annähern statt groß deklarierten Monologen.
„The Grey“ beginnt zumindest nominell als Abenteuerfilm, wird aber im Laufe seiner eindreiviertel Stunden immer ruhiger, als würde sich in der eisigen Luft Alaskas nicht nur über das Gemüt der Truppe, sondern auch das des Zuschauers eine gewisse Zen-Klarheit legen. Spätestens hier hat Carnahan dann das Multiplex verloren und ist quasi auf Kunstkino-Gebiet gelandet. Was ihm dann so dermaßen egal ist, dass er sich ein abruptes Ende traut, das manchen Zuschauer befremden und eventuell auch erzürnen wird, das aber eins und nur eins ist: perfekt gesetzt.
„No Bullshit“ gilt übrigens auch für den Stil und die Effekte hier, bei denen Carnahan nach den Exzessen des “A-Team” gewollt zurückkfährt. So liegen ihm die in jenem Film beizeiten nur wenig überzeugenden CGI-Grafiken (die Container im Finale sahen aus wie überdimensionale Legosteine) noch schwer im Magen und so hat er hier so gut wie möglich auf CGI verzichtet. Was man dem Film – positiv wie negativ – ansieht. Die Wölfe sehen nie so offensichtlich computergeneriert und albern aus wie in vergleichbaren Fällen (Ausnahme: der doch ziemlich zu groß geratene Alpha-Wolf), bei einigen Nahaufnahmen sieht man aber durchaus die Puppenherkunft. Carnahan filmt besonders den Beginn in grobkörniger Ästhetik ab, bevor der Film dann wie seine Figuren zunehmend Klarheit findet.
Um so einen Film umzusetzen, der mit einem Minimum an allem – Schauspieler, Sets, Situationen – auskommt, braucht man natürlich entsprechende Darsteller, denn bei weniger als einem Dutzend Sprechrollen sollten die wenigen Glücklichen dann auch was reißen. Hauptverkaufsargument auf Poster und im Trailer ist natürlich Liam Neeson, dem hier der Löwenanteil (Alphawolfanteil?) der Szenen zukommt und der diese vollkommen souverän ausfüllt, auch wenn sein beinharter, eiskalt nachdenkender Wolfsjäger schon knapp an der Grenze zum Klischee wandelt. Aber auch das ist eine Stärke des Films: Man flirtet mit den Konventionen des Genres und seiner Figurendynamik, ohne diesen gänzlich zu erliegen. Dass natürlich der aggressive Ex-Knacki Diaz Ottways Autorität und Position als Anführer herausfordert, ist reichlich konventionell, spätere Aktionen des Charakters nicht unbedingt. Diaz wird von Frank Grillo gespielt, der vor ein paar Wochen in kleinerer Rolle in „Warrior“ positiv auffiel. Dazu gesellen sich einige unbekanntere Namen wie Dallas Roberts und Joe Anderson sowie als zweiter halbwegs bekannter Name Dermot Mulroney, der mittlerweile weit von seinem Schönling-Image weg ist, das er ja mit absurden Rollen wie in „About Schmidt“ erfolgreich zu bekämpfen versuchte. Mit grauem Haar und buschigem Bart gelingt dies auch hier.
„The Grey“ ist ein beeindruckend kompromissloser Film, der das Abenteurdrama ums Überleben auf eine Extremsituation zuspitzt und dann von dieser nicht ablässt. Mann gegen Kälte und Raubtier. So schnörkellos duchgezogen sieht man das selten und das verdient sich Lob, denn Regisseure mit weniger Vertrauen in die Charaktere hätten sicherlich für mehr und anderes Spektakel gesorgt, um den Zuschauer bei Laune zu halten. Dies ist hier allerdings nicht nötig, denn sobald man in der Einöde Alaskas aufgeschlagen ist, fesselt „The Grey“ den Zuschauer und lässt nicht los. Wie gesagt: spaßig ist das Ganze nicht unbedingt, aber dank seiner unvermuteten Gravitas sicher der beste Film, den Neeson in der Action Man-Phase seiner Karriere gedreht hat. Darauf ein anerkennendes lautes Wolfsgeheul!
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