Gelobt sei Gott

Originaltitel
Grâce à Dieu
Jahr
2018
Laufzeit
137 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 22. September 2019

Die Firmung von Alexandres Sohn"Das Schweigen ist das zentrale Problem". Dieses ernüchternde Fazit hatte die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in diesem Frühjahr gezogen. Viel zu oft würde weggeschaut, statt Hilfe geleistet und Aufklärung betrieben. Ein Vorwurf, der sich aber nicht nur auf nahe Verwandte und Freunde von Opfern bezieht. Sondern auch auf Institutionen. Ein wahres Trauerspiel war in den letzten Jahrzehnten dabei vor allem die Rolle der katholischen Kirche. Wofür sie dann in letzter Zeit auch vermehrt auf der großen Leinwand ihren filmischen Denkzettel ("Spotlight") bekam. Nun packt sie also auch der prominente französische Autorenfilmer François Ozon ("In ihrem Haus", "Das Schmuckstück") auf die Anklagebank. Setzt aber, im Gegensatz zu anderen Filmen, dabei einen ganz anderen Fokus. Ozon stellt die Opfer eines Missbrauchsskandals und nicht die Täter in den Vordergrund. Und ihm gelingt dabei, nach einem etwas unterkühlten Start, ein genauso berührendes wie facettenreiches Porträt der Menschen, für die das Schweigen der Kirche so zerstörerische Konsequenzen hat.  

Ein solch fragiles Leben führt Alexandre Guérin (Melvil Poupaud) in Lyon. Nach außen wirkt es perfekt. Alexandre hat einen guten Job, eine tolle Frau und gleich fünf wundervolle Kinder. Doch dann reißt eine alte Wunde wieder auf. In seiner Zeit als Pfadfinder wurde Alexandre einst von dem Priester Bernard Preynat (Bernard Verley) missbraucht. Ein Ereignis, das Alexandre erfolgreich verdrängt hatte. Aber ausgerechnet kurz vor der Firmung seiner zwei Söhne erfährt er mit Schrecken, dass Preynat als Priester zurück nach Lyon versetzt wurde und nun wieder mit Kindern zusammenarbeitet. Als frommer Christ wendet sich Alexandre an die Kirche, doch die zögert mit einer Reaktion. Also beschließt Alexandre andere Geschütze aufzufahren. Und merkt bald, dass er nicht der einzige dort draußen ist, dessen Wunden noch nicht verheilt sind.    

Alexandre beginnt zu zweifelnEigentlich ist der französische Regisseur François Ozon ja vor allem für seine starken Frauenrollen ("8 Frauen", "Swimming Pool") bekannt. Für sein neuestes Werk umgibt er sich nun primär mit einem männlichen Ensemble, bleibt seinem Faible für intensives Charakterkino aber treu. Dazu hat er sich einer wahren und ziemlich aktuellen Geschichte aus seinem Heimatland angenommen. Anfang des Jahres hatte der echte Bernard Preynat noch erfolglos versucht, gerichtlich gegen die Veröffentlichung des Films in Frankreich vorzugehen. Und erst im Juli beschloss die französische Bischofskonferenz, den Kleriker aus dem Priesterstand zu verbannen.

Ein für Ozon eher ungewöhnlich heißes Eisen also, doch sein Film ist keine wütende Anklageschrift gegen Preynat geworden. Zwar verurteilt der Film ihn für das massive Leid, dass er den Kindern angetan hat. Gleichzeitig umweht er Preynat aber auch mit einem kleinen Hauch von Tragik, denn dieser wird als Mann gezeigt, der sich seiner Krankheit bewusst ist und, da wird es dann entscheidend, diese auch gegenüber der Kirche angesprochen und nicht etwa verheimlicht hat.

Womit wir dann wieder bei dem berüchtigten Schweigen der Institutionen wären. Und hier sieht Ozon dann auch den wahren Schuldigen. Es ist bezeichnend, dass der französische Filmtitel ("Grâce à Dieu", besser übersetzt mit "Gott sei Dank") auf einem Statement basiert, mit dem der Erzbischof von Lyon einst für einen handfesten Skandal sorgte. Der zeigte sich nämlich zum Entsetzen aller öffentlich darüber erleichtert, dass die Missbrauchsfälle von Preynat verjährt waren. Es ist Ozon aber nicht nur hoch anzurechnen, dass er das wahre moralische Versagen weniger Preynat als dem System und den Menschen zuschreibt, die diesen jahrelang gedeckt haben. Die große Stärke des Films ist, dass er sich bei all der Wut auf das Schweigen der Kirche primär dann doch auf etwas ganz anderes konzentriert: die Schmerzen der Opfer.

Alexandre kontaktiert die KircheDen Stein ins Rollen der Geschichte bringt dabei der Familienvater Alexandre. Eine Figur, die relativ unterkühlt und distanziert daherkommt, was es dem Zuschauer zu Beginn nicht ganz einfach macht so richtig mit ihr emotional anzudocken. Verstärkt wird dieser Effekt auch noch dadurch, dass der anfängliche Kampf von Alexandre vor allem durch oft etwas förmlicheren Brief- und Emailverkehr stattfindet, da Alexandre als frommer Christ auf eine natürliche Einsicht der Kirche hofft. Da lauscht man dann immer wieder längeren Passagen, in denen Figuren ihre Frage- oder Antworttexte formulieren. Emotional geht anders, und zu Beginn wirkt das erst einmal wie ein etwas ungelenkes Mittel, um möglichst effizient Informationen zu vermitteln. Aber nach einer Weile entpuppt sich das ganze als sehr effektives Stilmittel, um den Abnutzungskampf zwischen Opfer und Institution zu verdeutlichen. Ein Kampf, bei dem Alexandre ein um das andere Mal von der Kirche auf später vertröstet wird.

Als es Alexandre aber dann reicht und er sozusagen das Schlachtfeld wechselt und vor Gericht zieht, gewinnt der Film deutlich an Tempo und Emotionen. Alexandre tritt eine Lawine los. Ein ehemaliges Opfer nach dem anderen tritt nun aus dem Schatten heraus und es entsteht eine regelrechte Bewegung. Und hier trifft Ozon eine faszinierende Entscheidung. Er läßt Alexandre in den Hintergrund treten und entzieht dem Publikum sozusagen die vermutete Hauptfigur. Stattdessen rücken andere Figuren ins Scheinwerferlicht, darunter vor allem der impulsive François (Denis Ménochet, "The Program - Um jeden Preis") und der vom Leben stark gezeichnete Emmanuel (Swann Arlaud). Vor allem François zieht mit seiner Energie und Leidenschaft nicht nur andere Opfer, sondern auch das Publikum auf seine Seite. Was auch an der überzeugenden Leistung von Denis Ménochet liegt, der eine ungeheure Präsenz entwickelt und aus einem sowieso schon guten Schauspielensemble am stärksten heraussticht.

François braucht KraftGleichzeitig führt Ozon auch noch einen Haufen weiterer Nebenfiguren ein, die alle unterschiedliche Facetten in diesem Missbrauchsskandal widerspiegeln. So bekommen wir die ganze Bandbreite an Gefühlen mit, die das Aufreißen der alten Wunden bei den Betroffenen auslöst. Angst, Wut, Scham, Leugnung bis hin zu Verdrängung. Wir treffen Menschen, deren Leben damals komplett aus den Fugen geraten ist, und andere, die bis dato erfolgreich die Dämonen bekämpft haben. Und als ob das nicht genug wäre, blickt Ozon auch noch in das Umfeld der Opfer und beleuchtet, wie unterschiedlich hier die Reaktionen ausfallen können.

All das in nur einen Film zu packen ist schon eine kleine Meisterleistung. Natürlich, oft kann Ozon nur an der Oberfläche kratzen. Aber insgesamt gelingt ihm ein wirklich komplexes und einfühlsames Bild davon, welche Bandbreite an persönlichen Schicksalen hinter einem solchen Skandal stecken. Dabei ist "Gelobt sei Gott", trotz der traurigen Thematik in keinster Weise ein deprimierendes Filmerlebnis geworden. Sondern er zeigt auch, welche positive Energie entsteht, wenn ehemalige Opfer sich gegenseitig Trost spenden können und gemeinsam endlich ihr Schweigen brechen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Aber dafür muss es eben auch jemanden geben, der zuhört und nicht wegschaut.

Geteiltes Leid, ist halbes LeidSo ist "Gelobt sei Gott" am Ende ein wirklich bewegender Ensemblefilm geworden. Und auch die Figur des Alexandre, die am Anfang etwas zu glatt daherkommt und dann stellenweise in der Versenkung verschwindet, wird gegen Ende dann doch geschickt wieder in die Geschichte mit eingewoben. Als Stimme der Vernunft, die daran erinnert, dass man es sich mit dem Feindbild Kirche auch nicht zu einfach machen sollte.

Nur einen richtigen Fehltritt leistet sich Ozon, und das ist die Darstellung des jungen Preynat in den zahlreichen Flashbacks. Als schleimiger Goldrandbrillenträger kommt dieser da so übertrieben klischeehaft daher, dass gerade diese so wichtigen Szenen ihrer emotionalen Wucht doch deutlich beraubt werden. Der starken Botschaft des Films tut das aber keinen Abbruch. "Gelobt sei Gott" ist überzeugendes Ensemblekino, für das Ozon prompt auf der Berlinale auch den silbernen Bären für seine Regieleistung in die Hand gedrückt bekam. Ein weiteres kleines Puzzleteil, damit das Schweigen hoffentlich bald der Vergangenheit angehört.

Bilder: Copyright

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