
Mit satten 13 Nominierungen geht "Emilia Pérez" dieses Jahr ins Oscar-Rennen – und doch wirkt der Film dort fast chancenlos angesichts des Sturms der Entrüstung, den Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón mit ihren Social-Media-Aussetzern entfesselt hat. Werk und Künstler zu trennen, ist bei einem so emotionalen Medium natürlich knifflig, aber den gesamten Film gleich mit in den Abgrund zu reißen, kann jetzt auch nicht die Lösung sein. Und gerade bei "Emilia Pérez" lohnt es sich, unvoreingenommen und mit einer gewissen Lockerheit an diesen heranzugehen. Denn wer die Sache entspannt sieht und auch gegenüber ungewöhnlichen Stilmitteln aufgeschlossen ist, wird an diesem zwar nicht tiefsinnigen, aber hochenergetischen wilden Ritt so seine Freude haben.
In "Emilia Pérez" erzählt Regisseur Jacques Audiard die Geschichte von Juan "Manitas" del Monte (Karla Sofía Gascón), einem gefürchteten mexikanischen Drogenkartellführer. Mit Hilfe der Anwältin Rita Moro Castro (Zoe Saldaña, "Colombiana", "Guardians of the Galaxy") plant dieser, seinen eigenen Tod vorzutäuschen und sich einer geschlechtsangleichenden Operation zu unterziehen. Selbst die eigene Ehefrau Jessi del Monte (Selena Gomez, "Spring Breakers") und die Kinder werden nicht über die Aktion informiert. Als Frau namens Emilia Pérez beginnt Juan nun ein neues Leben, bemüht sich, die eigene Vergangenheit abzuschütteln, und versucht, für die eigenen Taten Wiedergutmachung zu leisten. Doch die Schatten der Vergangenheit lassen sich nicht so leicht abschütteln, und so ist Emilia schon bald wieder auf die Hilfe von Rita angewiesen.

Für viele Kritikerinnen und Kritiker kam die schiere Anzahl von Oscar-Nominierungen für den Film ziemlich überraschend – obwohl "Emilia Pérez" bei den Filmfestspielen von Cannes ja immerhin zuvor den Preis der Jury gewonnen hatte. War man bei der Academy vielleicht ganz besonders vom Aufgreifen des Themas Geschlechteridentität fasziniert gewesen – gerade bei einem Film, der im vom Machismo geprägten Mexiko spielt? Wer hier jetzt auf jeden Fall mit einer starken Botschaft oder Positionierung zu dem Thema rechnet, wird enttäuscht werden. "Emilia Pérez" nutzt seine ungewöhnliche Prämisse vor allem für eine wilde Gangstergeschichte und weniger für eine Betrachtung der Motive, Anfeindungen oder inneren Konflikte, die mit einer solchen Operation einhergehen.
Stattdessen liefert man uns hier vor allem einen mit Gesellschaftskritik unterfütterten Gangsterfilm, der sich in erster Linie an korrupten Eliten und der sinnlosen Gewalt im Land abarbeitet – dem Ganzen aber noch einen ganz besonderen Spin verpasst. Immer wieder brechen die Figuren nämlich in Gesang aus und treiben durch mexikanischen Rock, Pop und Rap die Geschichte voran. Und genau an diesem Stilelement dürften sich bei vielen die Geister scheiden. Und zwar nicht nur daran, dass hier gesungen wird, sondern vor allem daran, wie das erfolgt. Mit professionellem Gesang hat das nämlich meist wenig zu tun, sondern nimmt stattdessen teils abstruse Züge an.

Wenn beispielsweise der Chefarzt einer Klinik urplötzlich anfängt zu singen, dabei aber keinerlei Talent dafür offenbart, ist das vor allem irritierend und nicht wohlklingend. Doch was anfangs befremdlich wirkt, entpuppt sich bald als bewusstes Stilmittel, das diesen Szenen eine rohe, authentische Note verleiht. Wer sich darauf einlässt, wird schon bald seine helle Freude haben, was auch daran liegt, dass die Inszenierung dieser Musical-Momente mit einer ansteckenden Inbrunst und Energie daherkommt. Das ist einfach clever gelöst, wenn zum Beispiel das rhythmische Nachladen von Waffen das nächste Musikstück einleitet oder man geschickt mit der Realität bricht, in dem man von einem Moment auf den anderen seine Figuren auf eine stilisierte Bühne zerrt. Die künstlerische Ästhetik steht dabei oft in spannendem Kontrast zur emotionalen und sprachlichen Rohheit der vorgetragenen Stücke.
Kurz gesagt: Die Energie ist hier einfach ansteckend. Auch weil sich gerade Zoe Saldaña, wie auch die Songtexte von unnötigem Hochglanz-Make-up befreit, mit allem, was sie hat, in ihre Performance wirft. Karla Sofía Gascón spielt zwar auch durchaus überzeugend, hängt aber angesichts weniger intensiver Musikauftritte eher am Tropf der Story. Das ist ein Nachteil, denn ihre Figur leidet später vor allem darunter, dass das Drehbuch nie ganz überzeugend darlegen kann, warum unser knallharter Gangsterboss plötzlich seine Taten bereut. Überhaupt kommt "Emilia Pérez" inhaltlich etwas schwach auf der Brust daher. Die Charaktere selbst bleiben eher skizzenhaft, und manche Entscheidungen – besonders von Rita – wirken inkonsequent und nur schwer nachvollziehbar.

So lebt der Film letztlich vor allem von seinem ungewöhnlichen Stilmittel, der intensiven Atmosphäre und einer starken Zoe Saldaña. Das ist genug für richtig gute Unterhaltung, aber zu wenig, um jetzt wirklich mehrere Tage Eindruck zu hinterlassen. Aber das muss ja nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein, wenn man dafür über zwei Stunden gut unterhalten wird. Die Kompromisslosigkeit, mit der Regisseur Jacques Audiard hier "All-in" geht, erinnert dabei ein wenig an "The Substance" – einen weiteren letztjährigen Preisträger von Cannes. Das mag nicht jedem sein Bier sein, tut der Filmbranche aber auf jeden Fall richtig gut. Und das ist doch mal ein guter Grund, diesen Film aufgrund von hitzigen Nebengeräuschen nicht gleich an den Pranger zu stellen.
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